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Kultur

Ein Dorf wird verurteilt

Der ZDF-Dreiteiler „Unterleuten“ nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh

Anne Martin
07.03.2020

Eine Star-Autorin kann für eine Verfilmung eine Hypothek bedeuten. Bei „Unterleuten“ waren die Verhandlungen besonders heikel, denn die vielfach mit Preisen ausgezeichnete Juli Zeh ist auch eine ausgebildete Juristin und derzeit über ein SPD-Ticket ehrenamtliche Richterin beim Verfassungsgericht Brandenburg.

Regisseur Matti Geschonneck vertraute deshalb auf ein persönliches Gespräch: „Wir haben uns getroffen, und ich bemerkte ihre Skepsis, den Roman wegzugeben. Das kann ich gut nachvollziehen, wenn man zehn Jahre lang daran gearbeitet hat. Aber ich muss mir die Geschichte, die Figuren zu eigen machen.“

Man einigte sich schließlich auf einen Kompromiss. Geschonnek gegenüber der PAZ: „Ich muss eine der Vorlage entsprechende Tonalität finden. Dabei entferne ich mich von dem Roman, um immer wieder zu ihm zurückzukommen.“ Kleine Eingriffe in das opulente Figurentableau behielt er sich vor: So spielt Dagmar Manzel die katzenvernarrte Einzelgängerin, die mit dem Dorfchef eine geheime Affäre unterhält – in Zehs Buch ist diese Figur eine Zwergin.

„Unterleuten“ (Sendetermine: 9., 10. und 11. März um 20.15 Uhr im ZDF) wird in drei Folgen erzählt. Es ist eine Moritat vom beschaulichen Landleben, das zum Kriegsschauplatz mutiert, kaum dass ein Projektentwickler einen Windpark in die Idylle pflanzen will. Zeh über ihren Roman: „In den letzten Jahren hieß es immer: Die großen kulturellen Unterschiede bestehen zwischen Ost und West, zwischen Morgen- und Abendland, zwischen Islam und Christentum. In Wahrheit aber gilt auf der ganzen Welt: Die Unterschiede bestehen zwischen Stadt und Land. Ein Krisenforscher meinte sogar, Bürgerkriege seien immer Kriege zwischen der urbanen und der ruralen Bevölkerung. Dieser Satz ist eine Keimzelle meines Buches.“

„Unterleuten“ spielt in Brandenburg, könnte aber, so Regisseur Geschonneck, „auch in Bayern oder im Schwarzwald spielen. Da ginge es dann womöglich um eine Kiesgrube.“ Nun ist es eben ein geplanter Windpark, für den eine smarte Projektentwicklerin Land aufkauft und prompt die Begehrlichkeiten der Dorfbewohner weckt.

Kaum sind die Pläne publik, wird intrigiert und geschachert, dass die Fetzen fliegen. Da ist auch egal, ob in manchen Köpfen noch die Ideale des untergegangenen Sozialismus spuken mögen. Wo Euros winken, hört die Freundschaft auf.

Aus Weizen- wird ein Roggenfeld

Was Heimat für jeden Einzelnen ausmacht, wird von Juli Zeh, die mit ihrer Familie ebenfalls in einem Brandenburger Dorf wohnt, so genau wie boshaft geschildert: Da ist die Städterin (Rosalie Thomass), die auf dem Land die Idylle sucht und Störfelder mit Ingwertee austreibt. Ihr Mann (Ulrich Noethen) wird zwischen den Befindlichkeiten der Gattin und dem eigenen Bedürfnis nach Ruhe aufgerieben. Daneben der heimliche Dorfkönig Gombrowski, in der DDR eine einflussreiche Figur, der sein Dorf zusammenhalten will und auf tragische Weise scheitert. Dieser alte König, dargestellt von Thomas Thieme, liegt dem Regisseur besonders am Herzen: „Den liebe ich.“

Die anderen Figuren nicht minder: Gombrowskis Frau etwa, die verbittert hinter ihrer Gardine lauernde Elena (Christine Schorn). Oder die ehrgeizige Jungunternehmerin (Miriam Stein), die eiskalt mitpokert, hat sie doch die zur Baugenehmigung noch benötigten Hektar Land im Angebot.

Zehs 640-Seiten-Opus spielt 2010, also lange nach der deutschen Vereinigung, wo längst Gras über Gräben gewachsen sein sollte. Hier wird gezeigt, wie dünn diese Grasnarbe noch ist. Die Schauspieler in diesem vergifteten Heimatfilm sind exzellent und bewarben sich geradezu um ihre Rollen: Charlie Hübner spielt einen Dorfbewohner im ewigen Unterhemd, Bjarne Mädel einen Schriftsteller, der sich im Wolkenkuckucksheim gut eingerichtet hat, Jörg Schüttauf den resignierten Bürgermeister, der sich in sein Schicksal fügt.

Eine besondere Herausforderung für das Filmteam: Wo sollte „Unterleuten“ spielen? Dem Zuschauer wird kaum auffallen, dass der fiktive Weiler aus zehn Dörfern (darunter Freudenberg, Bredow und Willmersdorf) zusammengeschnitten wurde. Und er wird auch nicht merken, dass die wogenden Weizenfelder, die genauso für Idylle stehen wie der blassblaue Himmel Brandenburgs, ebenfalls einem Trick geschuldet sind: Als Geschonneck im Mai zur Drehortsuche aufbrach, war das Korn nur knapp kniehoch.

So würde es auch den Sommer über bleiben, erfuhr der Regisseur mit Schrecken – der Weizen sei extra niedrig gezüchtet. Geschonneck: „Ich habe schon befürchtet, wir müssten in die Ukraine ausweichen.“ Also ließ er nach wogenden Ähren fahnden. Was nun auf dem Bildschirm wogt, ist Roggen. Merke: Nichts ist so, wie es scheint.


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