Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Die Kapelle im wiederaufgebauten Turm der Garnisonkirche ist in Dienst genommen. Bleibt zu hoffen, dass auch das ganze Gotteshaus wiederhergestellt wird. Im Sinne Potsdams – und im Sinne der Versöhnung mit der Geschichte
Es ist ein Festtagsgeschenk der besonderen Art. Am Ostermontag, dem 1. April 2024, wurde mit einem feierlichen Gottesdienst unter Leitung des Landesbischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, die Kapelle im wiederaufgebauten Turm der Potsdamer Garnisonkirche in Dienst genommen. Dabei erklang erstmalig auch die neue Orgel aus der Potsdamer Traditionswerkstatt Alexander Schuke, auf der Kreiskantor und Kirchenmusikdirektor Björn O. Wiede die Bachkantate „Erfreut euch, ihr Herzen“ erklingen ließ.
Mit der Indienstnahme der Kapelle – die fortan den Titel „Nagelkreuzkapelle“ trägt – samt neuer Orgel und dem sogenannten Feldaltar aus der alten Garnisonkirche, der die Zerstörung des Gotteshauses im Zweiten Weltkrieg überlebt hatte, ist ein erstes Etappenziel auf dem mühsamen Weg des Wiederaufbaus der gesamten Kirche erreicht. In den nächsten Monaten sollen die weiteren Räumlichkeiten in den oberen Turmetagen und schließlich die Haube des Kirchturms samt neuem Glockenspiel folgen. Die Aussichtsplattform in fast 60 Metern Höhe soll dann auch einen spektakulären Blick auf Potsdam, weite Teile Berlins und das Umland bieten.
Entspricht die äußere Gestalt weitgehend dem barocken Vorbild, so ist das Gebäude im Inneren schlicht und vergleichsweise modern gehalten. Der Grundriss der neuen Kapelle ist kreuzförmig und deutlich größer als jener des Turms der alten Garnisonkirche, der lediglich als Durchgang in das Kirchenschiff diente. Rund einhundert Personen haben dank dieser architektonischen Neuplanung hier künftig Platz. An das historische Vorbild erinnert der Fußboden, der mit Fliesen aus Basalt und Muschelkalk zweifarbig gehalten ist und mit den helleren Tönen den Grundriss der Heilig-Geist-Kapelle markiert, die sich nach der Zerstörung Potsdams und der Kirche zwischen 1950 und 1968 im erhalten gebliebenen Kirchturm befand, bevor dieser auf Geheiß der SED-Führung gesprengt wurde. An den Wänden der neuen Kapelle ist kaum mehr zu sehen als eine dezente Holzverkleidung, wie sie für viele Kirchen der Mark Brandenburg typisch ist. Nach oben abgeschlossen wird der Raum durch ein Deckengewölbe, das im Stil eines 1878 vom Berliner Maurermeister Carl Rabitz angemeldeten Patents ausgeführt ist.
Das Konzept und seine Gegner
Eine Kirche im klassischen Sinne werden die Kapelle und das Turmgebäude indes nicht sein. Das Konzept der das Projekt tragenden Stiftung Garnisonkirche Potsdam sieht neben der Nutzung für Gottesdienste auch ein Forum vor, „das für die Einhaltung der Menschenrechte und Wahrung der Freiheit wirbt, für Frieden und Demokratie steht“. Zudem soll in diesem Forum die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der historischen Vorgängerkirche gesucht und Brücken zu aktuellen Themen der Gegenwart geschlagen werden.
Ob dies die Kritiker des Wiederaufbaus beruhigen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Seit den ersten Überlegungen für eine Rückkehr der Garnisonkirche speist sich der Widerstand aus drei wesentlichen Quellen. Die erste ist eine ablehnende Haltung gegenüber dem Anfang der 1990er Jahre gefassten Beschluss, den historischen Stadtkern Potsdams weitestgehend wiederherzustellen. Es sind vor allem Anhänger der DDR und ihrer sozialistischen Betonarchitektur, die in den vergangenen dreißig Jahren zahlreiche Niederlagen einstecken mussten. So musste das auf dem Boden des früheren Lustgartens errichtete „Ernst-Thälmann-Stadion“ ebenso weichen wie das neben der Nikolaikirche errichtete Gebäude der Fachhochschule Potsdam sowie auch das „Haus des Reisens“. Die wohl größte Schlappe war indes der Wiederaufbau des Stadtschlosses, das zudem seit 2014 Sitz des brandenburgischen Landtags ist.
Würde die Garnisonkirche vollständig wiederaufgebaut, müsste dafür mit dem Rechenzentrum eines der letzten markanten Gebäude der DDR-Zeit aus der Potsdamer Innenstadt weichen. Der außen um diesen Bau herumlaufende 60 Meter lange und unter Denkmalschutz stehende Mosaikzyklus „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ ist eines der stärksten Argumente der Streiter für die Bewahrung sozialistischer Kunst und Baukultur. Denn dieser steht – ob man den Stil persönlich mag oder nicht – zweifellos für einen besonderen Abschnitt deutscher Kulturgeschichte. Doch rechtfertigt das die fortdauernde bauliche Verunstaltung einer ganzen Innenstadt? Und gibt es nicht Wege, das Mosaik zu sichern und etwa in einem Museum zu zeigen?
Verkannte Geschichte
Eine zweite Quelle des Widerstands gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche sind denkmalpflegerische Aspekte. So zeigte sich der damalige Direktor des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege, Detlef Karg, im Jahr 2012 skeptisch, dass sich die evangelische Kirche an dem Projekt beteiligen wolle, während gleichzeitig zahlreiche der 1164 Dorfkirchen und 700 Stadtpfarrkirchen in Brandenburg gefährdet seien. Es sei, so Karg, „nicht Aufgabe der Denkmalpflege, einen verlorenen Bau wieder aufzurichten.“ Ein Punkt, der sicherlich auch bei den Anhängern des Wiederaufbaus ins Gewicht fallen dürfte.
Die dritte Quelle des Widerstands gegen die Garnisonkirche ist ihre Interpretation als Symbol des „preußischen Militarismus“ sowie des „antidemokratischen Geistes von Potsdam“, den reaktionäre Kräfte wie der „Stahlhelm“ oder der „Alldeutsche Verband“ nach dem Ersten Weltkrieg gegen den „Geist von Weimar“ der jungen Republik heraufbeschworen. Am schwersten wiegt für die historisch motivierten Skeptiker jedoch, dass die Garnisonkirche am 21. März 1933 durch die NS-Führung als Kulisse für einen Staatsakt genutzt wurde, der als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte einging. Das Bild vom Händedruck des neuen Reichskanzlers Hitler und des greisen Reichspräsidenten Hindenburg samt – scheinunterwürfiger – Verbeugung des „Führers“ vor dem Eingang der Kirche ist in das kollektive Gedächtnis des geschichtsbewussten Deutschlands eingegangen.
Doch gibt dieser Moment nur einen winzigen Bruchteil der vielfältigen Geschichte des zerstörten Gotteshauses, der Stadt Potsdam und erst recht Preußens wieder. Schon bei einer oberflächlichen Betrachtung der Historie wird deutlich, dass der Nationalsozialismus mit den Traditionslinien des alten Preußen wenig bis nichts gemein hatte. So war Preußen seit den Tagen Friedrichs des Großen – und auch Immanuel Kants – ein Zentrum der deutschen und europäischen Aufklärung, während das nationalsozialistische Deutschland ein System der Unterdrückung Andersdenkender errichtete. So war Preußen seit der Einführung des Allgemeinen Landrechts der erste europäische Rechtsstaat, während die Nationalsozialisten einen Unrechtsstaat errichteten, in dem der Wille der politischen Führung über dem Gesetz stand. Und so wurden in Preußen die Juden zur Siedlung angeworben und bereits 1812 in einem königlichen Edikt gleichgestellt, während sie im nationalsozialistischen Deutschland systematisch verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Weitere Beispiele, die belegen, dass das In-die-Nähe-Rücken Preußens zum Nationalsozialismus absurd ist, ließen sich nennen.
Das wahre Preußentum
Was im Großen für den Staat Preußen gilt, gilt im Kleinen auch für die Garnisonkirche. In ihrer Gruft wurde 1740 König Friedrich Wilhelm I. beigesetzt und – gegen seinen testamentarischen Willen – 1786 Friedrich der Große. Auf der Orgel spielte 1747 Johann Sebastian Bach und nannte das Instrument „ein gar prächtig Werk“. 1805 gingen Preußens König Friedrich Wilhelm III. und seine Gemahlin Königin Luise mit Russlands Zar Alexander I. in die Gruft, um den Geist des Großen Königs gegen die heraufziehende napoleonische Gefahr zu beschwören. Ein Jahr später stieg Napoleon I. selbst in die Gruft, um nach seinem Sieg über Preußen bei Jena und Auerstedt seinen Respekt vor dem Alten Fritz zu bezeugen.
Natürlich hat alles das nichts mit einer modernen Demokratie zu tun. Doch taugt es dazu, ein Gotteshaus derart zu diskreditieren, dass sein Wiederaufbau eine Gefahr für die Demokratie wäre?
Hinzu kommt, dass die Garnisonkirche keineswegs nur ein Schauplatz des Absolutismus war. So tagten hier im August 1809 infolge der preußischen Reformen erstmals die frei gewählten Abgeordneten der Residenzstadt Potsdam. Und 1817 feierten hier anlässlich des 300. Jahrestags der Reformation die 1809 zur Kirche der Altpreußischen Union vereinten Lutheraner und Calvinisten erstmals gemeinsam Gottesdienst. Insofern lässt sich die Garnisonkirche sogar als Lernort der Demokratie – wie es im modernen Pädagogen-Deutsch heißt – und als Stätte gelebter religiöser Toleranz verstehen. Zumal Friedrich Wilhelm I. gleich nebenan, im Militärwaisenhaus am Langen Stall, bereits in den 1730er Jahren für die Muslime in Potsdam einen Saal als „erste Moschee“ herrichten ließ.
Kurz vor ihrem Untergang zeigte die Garnisonkirche, dass gerade das preußische konservativ-monarchische Denken und das NS-Regime völlig verschiedene Welten sind. Während die Nationalsozialisten das Gotteshaus lediglich einen Tag als Propagandakulisse missbrauchten, gehörten der Kirchengemeinde der Garnisonkirche zahlreiche Offiziere des in Potsdam beheimateten Infanterie-Regiments 9 an, aus dem prägende Köpfe des 20. Juli 1944 hervorgingen, darunter Henning von Tresckow, Axel von dem Bussche, Carl-Hans Graf von Hardenberg, Paul von Hase, Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Es braucht schon ein großes Maß an Unkenntnis und/oder Ignoranz, um angesichts dieser und weiterer Namen die Geschichte der Garnisonkirche auf den „Tag von Potsdam“ zu reduzieren.
Doch wie weiter? Jan Kingreen, Pfarrer und Programmverantwortlicher der neuen Nagelkreuzkapelle, wies bei einem Pressetermin am Gründonnerstag darauf hin, dass es derzeit keine konkreten Pläne für eine vollständige Wiederherstellung der Garnisonkirche gäbe, dass andererseits jedoch das Ziel des Wiederaufbaus noch immer die geltende Beschlusslage der Stadt Potsdam und zudem auch im Bebauungsplan der Landeshauptstadt vorgesehen sei.
Der Ruf aus Potsdam
Darum sei zum Schluss dieser Ausführungen an jenen Aufruf erinnert, der vor zwanzig Jahren den Impuls zum Wiederaufbau des Turms und der Kirche im Ganzen gegeben hat. Am 15. Januar 2004 unterzeichneten der damalige Landesbischof Wolfgang Huber, der seinerzeitige Ministerpräsident Matthias Platzeck und der damalige Innenminister Jörg Schönbohm zusammen mit über hundert Repräsentanten von Politik, Kultur und Wirtschaft den „Ruf aus Potsdam“, in dem sie zum vollständigen Wiederaufbau der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche aufriefen. Zahlreiche weitere Persönlichkeiten wie die britische Queen Elisabeth II., die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Modedesigner Wolfgang Joop, der Dirigent Christian Thielemann oder die Fernsehjournalisten Lea Rosh und Günther Jauch schlossen sich dem Aufruf an und/oder spendeten für das Projekt. Allein diese Liste von Unterstützern zeigt, dass wesentliche Argumente der Kritiker wie dasjenige, dass mit dem Wiederaufbau ein „Hort der Reaktion“ entstehe, nicht stichhaltig sind. Zudem belegen über 25.000 Unterzeichner des „Rufes aus Potsdam“, dass die Gegner zwar laut, doch letztlich in der Minderheit sind.
Und so bleibt die Hoffnung, dass nach dem ersten Schritt der Indienstnahme der Kapelle und nach der bald erfolgten Fertigstellung des Turms der Widerstand gegen den Wiederaufbau der ganzen Kirche allmählich nachlässt – und das neu erbaute Gotteshaus seinen Platz einnehmen kann, ohne den Potsdam – das sich in weiten Teilen längst wieder zu jenem städtebaulichen Schmuckstück entwickelt hat, das es vor seiner Zerstörung lange war – nicht vollständig ist.
Nähere Informationen zur „Nagelkreuzkapelle“ und zur Stiftung Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam unter
www.garnisonkirche-potsdam.de
Jost Lücke am 10.04.24, 06:41 Uhr
Ich danke der PAZ für diesen tollen Artikel. Eine wahrliche Hommage auf das aufgeklärte Preußen! Auf daß der Wiederaufbau der Garnisionskirche voranschreite.
Peter Faethe am 06.04.24, 17:18 Uhr
Dass der Wiederaufbau von Stadt-Zentren in Mitteldeutschland gegen die Absichten von Airmarshall A. Harris und Gen. W. Ulbricht irgendwelcher Begründungen bedarf, hätte ich am Vormittag des 10. November 1989 nicht erwartet.
Aber was ist in diesem Masochismus-Staat schon undenkbar.