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Genie und Wahnsinn: der Dichter Friedrich Hölderlin
250 Jahre nach seiner Geburt im württembergischen Lauffen wird Friedrich Hölderlin ein nachträgliches Corona-Opfer. Am 20. März wollte man in Baden-Württemberg das Jubiläum groß feiern. Empfänge, Reden, Ausstellungen – alles war geplant, aber nun aus Ansteckungsangst abgesagt. Wenn man sich schon in häusliche Quarantäne begeben soll, kann man ja versuchen, sich vom Hölderlin-Virus anstecken zu lassen. Das ist aber gar nicht so leicht. Denn die Dichtung ist so verrätselt und bedeutungsschwer, dass die heutige schnell konsumierende Lesergeneration dagegen ziemlich immun geworden ist.
Das war allerdings zu seinen Lebzeiten kaum anders. Seine verstreut veröffentlichten Gedichte sowie sein Briefroman „Hyperion“ interessierten weniger als sein Leben in geistiger Umnachtung in einem Befestigungsturm der Stadtmauer von Tübingen. 37 Jahre fristete er dort in einem kleinen Zimmer bis zu seinem Tod als 73-Jähriger. Der in Selbstgesprächen versunkene Alte hinterließ aus der Zeit 27 Gedichte, von denen er einige mit dem Rätselnamen „Scardanelli“ unterschrieb.
Dass ihm ein ähnliches Schicksal wie Friedrich Nietzsche widerfuhr, machte ihn erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder interessant. Plötzlich wurde auch Hölderlin zur Kultfigur. So wurden der George-Kreis und Rainer Maria Rilke auf ihn aufmerksam. Und schließlich auch die Wissenschaft. Insgesamt vier Forschergruppen bereiteten unabhängig voneinander die hinterlassenen Textfassungen in historisch-kritischen Werkausgaben auf, die jede Korrektur in Hölderlins Handschriften abbildete. Auf diese Weise sollte der rätselhafte Sinn Hölderlinscher Dichtung entschlüsselt werden.
„Kehren die Kraniche wieder zu dir, und suchen zu deinen / Ufern wieder die Schiffe den Lauf ...“ Mit solchen Hexametern hat Hölderlin die deutsche Literatur bereichert. Mit dem griechischen Versmaß aus sechs Daktylen – auf je eine betonte folgen zwei unbetonte Silben – tut sich die deutsche Sprache zwar schwer, aber bei Hölderlin klingt es dennoch kristallklar schön. Wären nur nicht „das Göttliche“, „das Himmlische“ und all der andere schwülstige Pathos, welche das Verständnis so schwer machen.
Hölderlin war der Philosoph unter den Dichtern. In seinen Oden und Hymnen besingt er sein ästhetisches Programm: seine Vision einer harmonischen Welt. Diese fand er zunächst – wie alle klassischen Dichter – im antiken Griechenland, wo Politik, Kunst und Religion eine Einheit bildeten. Dieses Ideal sah er durch Feudalismus und Kleinstaaterei gesprengt. Mit der Französischen Revolution, so meinte er, könnte nach einem exzentrischen Verlauf der Geschichtsbahn der Urzustand wiederhergestellt werden.
Seine geschichtsphilosophischen Überlegungen hatte er sich als Theologiestudent in Tübingen angeeignet, wo er mit Friedrich Hegel, dessen ebenfalls 250. Geburtstag im August ansteht, und mit Friedrich Wilhelm Schelling eine Art Wohngemeinschaft bildete. Entscheidenden Einfluss auf ihn hatte aber Johann Gottlieb Fichte, dessen Vorlesungen zur Wissenschaftslehre er in Jena hörte.
Jena war gerade dabei, zur Hauptstadt der deutschen Romantik zu werden. Schelling, die Schlegels, Novalis – sie alle waren schon da. Und fast wäre auch aus Hölderlin ein Romantiker geworden. Doch 1795 verließ er Jena fluchtartig, mutmaßlich, weil er sich seinem dort lebenden Idol Friedrich Schiller nicht gewachsen fühlte. Dabei hatte dieser dem Verleger Cotta noch eine Empfehlung für den Roman „Hyperion“ geschrieben und für den jüngeren Kollegen wohlwollende Worte übrig gehabt: „Er hat recht viel Genialisches und ich hoffe auch noch einigen Einfluss darauf zu haben.“
Den meisten Einfluss auf Hölderlin aber hatte neben seiner offenbar dominanten Mutter eine gewisse Susette Gontard. Die Ehegattin eines Frankfurter Bankiers war Hölderlins große Liebe. Nach Beendigung seines Studiums entschied sich Hölderlin entgegen dem Wunsch seiner pietistischen Mutter (der Vater war da schon lange tot), Hauslehrer zu werden. So kam er nach Frankfurt am Main, um die Tochter der Gontards zu unterrichten, steigerte sich aber in eine unglückliche Liebe zur verheirateten Mutter.
„Wem sonst als Dir“
„Wem sonst als Dir“: Diese Widmung für Susette Gontard schrieb der Dichter in ein Exemplar seines Romans „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“. Als Diotima taucht Susette in dem Roman wieder auf, der auch so etwas wie eine verschlüsselte Biografie des Autors ist. In poetischen Monologen an seinen deutschen Brieffreund Bellarmin erzählt der unter der Maske eines Griechen namens Hyperion getarnte Hölderlin, wie er auf seinen Wanderungen die Freundschaft mit einem revolutionär gesinnten Alabanda schloss. Dahinter verbirgt sich sein Studienfreund Isaac von Sinclair, bei dem er in Homburg einige Zeit lebte (siehe auch Seite 21). Da er nicht den Weg des gewaltsamen Umsturzes gehen will, wandert Hyperion weiter und trifft Diotima, der zuliebe er als Dichter zum „Erzieher des Volkes“ werden will.
Der Mensch, der durch einen Dichterführer umerzogen wird: Das also steckt hinter dieser geistigen Revolution. Mit „Hyperion“ hinterließ Hölderlin ein poetologisches Programm, in dem wie in Wielands Romanen das klassische Griechentum heroisiert wird. Hölderlin war selbst nie in Hellas. Wenn er davon spricht, meint er seine Utopie von Deutschland. Dass man weit davon entfernt war, wird im zweiten Teil des Buchs deutlich, wo es heißt: „Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen.“
Nach diesem Roman hat sich Hölderlin noch an dem Drama „Tod des Empedokles“ versucht, kam aber über den ersten Akt nie hinaus. In dem Dramenfragment geht es um den antiken Philosophen Empedokles, der sich der Legende nach in den Schlund des Ätna gestürzt hat, um wieder mit der Natur eins zu werden. Heißt in metaphorischer Verschlüsselung nichts anderes, als dass die Deutschen sich wieder auf ihre eigene Natur (und Kultur) besinnen sollten.
Da er mit seinen Dichtungen nie viel Geld verdiente und auch aus dem Haus Gontard geworfen wurde, nahm er 1802 eine Hauslehrerstelle bei einem Hamburger Konsul in Bordeaux an, kehrte aber aus unerfindlichen Gründen nur wenige Wochen später geistig zerrüttet und äußerlich zerlumpt zurück in die Heimat. Dort erfuhr er vom Tod Susette Gontards, was ihn in eine solche Raserei versetzte, dass er für seine Mitmenschen unerträglich wurde. Er wurde in eine psychiatrische Klinik gebracht, um dann den Rest seines Lebens bei einem Tübinger Schreiner in einem Turmzimmer zu leben – dem heute als Museum genutzten Hölderlin-Turm direkt am Neckar.