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Gerhart Hauptmanns „Im Wirbel der Berufung“ – Aus dem Theaterleben in der kleinen Residenzstadt
Es gibt nicht viele Putbus-Romane. Das 1924 begonnene und erst 1935 durch den Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862–1946) vollendete Werk „Im Wirbel der Berufung“ schöpft in seinen Beschreibungen sichtlich aus dem eigenen Erleben des Autors. Mit sicherer Präzision beschreibt er die zunächst örtlichen Gegebenheiten, bettet die Handlung anfangs in eine heitere Atmosphäre der Sommerfrische in Putbus (hier „Granitz“ genannt) auf Rügen ein, um dann William Shakespeares „Hamlet“ nicht nur Raum gewinnen, sondern auch die Handelnden selbst ihr Hamlet-Schicksal erleben zu lassen.
Recht unspektakulär beginnt der Roman mit einer Tafelrunde im Putbusser „Felsenkeller“, die zu einem ausgedehnten Frühschoppen an einem sommerlichen Sonntag wird. In der Mitte der geselligen Runde: Erasmus Gotter. Er war über den Sommer im Gärtnerhaus bei der Witwe des Garteninspektors Herbst untergekommen. Seine Unterkunft lag abseits des Ortes und seinem „hellen, mit einem Obelisken geschmückten Zirkusplatz“. Der Ort selbst ist nämlich auf dem Gipfel einer flachen Geländewelle angelegt, die sich zum Greifswalder Bodden senkt.
Am Nachmittag des gleichen Tages traf er sich mit dem Schauspieler Jetro. Schon zu Beginn dieses Treffens sollte der Blick der Männer auf ein Hamlet-Bändchen fallen, welches Gotter in Venedig entdeckt haben will. Bald entsteht auch die Idee: „Hamlet“, ein Drama was sich aus Gotters Sicht eigentlich nur zwischen drei Personen – König Claudius, Königin Gertrud und Hamlet – abspielt, in dem kleinen Sommertheater des Ortes auf die Bühne zu bringen. Der Inhalt? Klassisch: Hamlet will nach dem Tod des Vaters sein Erbe antreten, muss aber feststellen, dass der Thron besetzt ist.
So nehmen die Dinge sowohl bei der Aufführung des Stückes im Inseltheater als auch bei den in der kleinen Fürstenresidenz Rügens aufeinander Getroffenen ihren Lauf. Es ist dabei keineswegs zufällig, dass Gotters Berufs- und Berufungskrise mit einer Ehekrise verknüpft ist, denn diese Erfahrung, sich erst seiner eigentlichen Berufung bewusst zu werden, war auch dem Autor Hauptmann in der Zeit der Entstehung seines Putbus-Romans bestens vertraut. Der Roman versucht, diese Erfahrung zu verarbeiten und lässt ihn zu einem autobiographischen Werk werden.
Hauptmanns Hamlet, Erasmus Gotter, ist übrigens 23 Jahre alt, seit drei Jahren verheiratet und Vater von zwei Kindern und Doktor der Philosophie. Eigentlich suchte er in der kleinen Residenz Erholung nach einer gerade überstandenen Typhuserkrankung. In Kontakt mit dem für die Sommerspielzeit vom Fürsten engagierten Ensemble des Theaters kann er allerdings nicht der Versuchung widerstehen, den Hamlet zum Fürstengeburtstag auf die Bühne zu bringen. Dadurch allerdings tun sich neue Konflikte für Gotter auf.
Den Reizen des leichtlebigen Theatervolkes erliegt Gotter in Gestalt der reizenden Irina Bell und der bezaubernden Prinzessin Ditta. Beide buhlen um die Gunst Gotters für die Rolle der Ophelia, Hamlets Geliebter. Der bürgerlich denkende Gotter, der mehrfach Gelegenheit hat sich von seiner Ehe auszuruhen, ergreift jedoch letztlich die Flucht und kehrt in den Schoß seiner Familie zurück, da ihm seine Frau großzügig vergeben hat. Er bekennt am Ende: „Wenn ich den Granitzer Wochen gänzlich entfremdet bin, so hat mich das Hamlet-Problem noch immer nicht losgelassen ...“
Bleibt zu hoffen, dass dieser für Putbus bedeutende Roman auch im Ort selbst wieder seine Entdeckung findet, um den Ausgangspunkt der Handlung – den „Felsenkeller“, in dem auch Hauptmann viele schöne Stunden verbrachte, zu retten und ihm die entsprechende Würdigung zu Teil werden zu lassen. Aus diesem Grunde sollen sich an dieser Stelle auch Vergangenheit und Gegenwart bildlich gegenüberstehen, denn – um aus Shakespeares „Hamlet“ zu zitieren – „die Zeit ist aus den Fugen“.