25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Geschichte

„Ein Freundespaar“

Was den Sultan des Osmanischen Reiches von 1876 bis 1909, Abdül Hamid II., und den deutschen Kaiser von 1888 bis 1918, Wilhelm II., Verbündete werden ließ

Thomas Weiberg
19.02.2022

Die französische Wochenzeitung „L'Illustration“ versah im Jahre 1898 eine Darstellung des osmanischen Sultans Abdül Hamid II. und des deutschen Kaisers Wilhelm II. mit der Unterschrift „une paire d'amis“ (ein Freundespaar). Man muss nicht unbedingt von Freundschaft sprechen, doch nahmen die deutsch-osmanischen Beziehungen in den elf Jahren von 1888 bis 1909, in denen Abdül Hamid II. und Wilhelm II. an der Spitze ihrer jeweiligen Staaten standen, eine bemerkenswerte Entwicklung. Was waren die Gründe?

Nicht zuletzt um aus dem (außen-)politischen Schatten des mächtigen Reichskanzlers Otto von Bismarck herauszutreten, bahnte Kaiser Wilhelm II. schon bald nach seinem Regierungsantritt 1888 eine aktive Orientpolitik an – und traf damit in Konstantinopel auf offene Türen. Der damalige Sultan des Osmanischen Reiches, der schillernde Abdül Hamid II., lavierte sein instabiles Staatsschiff geschickt durch das Meer der großen Politik und suchte einen starken Bündnispartner unter den europäischen Großmächten, während das Kaiserreich neben seinem militärischen Engagement bei der Modernisierung der osmanischen Streitkräfte zunehmend auch an wirtschaftlichen Kontakten interessiert war, um Absatzmärkte für deutsche Produkte zu erschließen.

„Blutiger Sultan“

„Aber wer im Okzident kennt unsere Geschichte? Wer unterzieht sich der Mühe, sie kennenzulernen?“ So fragte vor weit mehr als einhundert Jahren Abdül Hamid II. und zielte damit vor allem auf die Bereitschaft der Europäer zu einer tieferen Auseinandersetzung mit Osmanen oder Türken. Zumindest in Bezug auf die breite Öffentlichkeit scheinen beide Fragen des Sultans noch immer aktuell. Trotz intensiver deutsch-türkischer Begegnungen auf vielen Ebenen ist die Türkei ein Land, dessen Geschichte in Deutschland oft unbekannt ist. Das gilt auch für die Jahre zwischen 1888 und 1918, die eine Phase sich dynamisch entwickelnder Beziehungen zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich waren und schließlich in die schwierige sogenannte Waffenbrüderschaft während des Ersten Weltkrieges mündeten.

Beide Monarchen und deren Politik wurden schon damals ausgesprochen kontrovers bewertet. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Der autokratisch herrschende Abdül Hamid II. galt wegen der mit äußerster Brutalität niedergeschlagenen Aufstände der armenischen Bevölkerung bereits in den 1890er Jahren als „sultan sanglant“ (blutiger/verdammter Sultan) und als ein von Verfolgungswahn geplagter Despot.

Schon die Zeitgenossen Wilhelms II. verspotteten den Kaiser als „Wilhelm den Plötzlichen“. Er galt als sprunghaft und wenig ausdauernd im politischen Tagesgeschäft. Er gefiel sich in glanzvollen Inszenierungen, ließ es oftmals an politischem Feingefühl fehlen. Erst in jüngerer Zeit hat sich der einseitige Blick auf beide Herrscher und ihre Politik geändert, kamen neue Facetten hinzu.

Zu einer Zeit, da die Politik der Fürsten bereits weitgehend durch die Politik der Kabinette abgelöst war, wollte Wilhelm II. die Politik intensiv bestimmen, griff häufig in das politische Tagesgeschehen ein und sprach lieber persönlich mit dem russischen Zaren oder dem osmanischen Sultan, als dies den Diplomaten zu überlassen. Bis heute wird er dafür scharf kritisiert, doch agierte er in osmanischen Angelegenheiten zumeist mit für ihn erstaunlicher Sensibilität. War genau dieses direkte Vorgehen Wilhelms II. nicht sehr modern? Heutzutage ist es selbstverständlich, dass die Großen dieser Welt politische Themen kurzfristig in direkten Gesprächen auf Augenhöhe erörtern, Wirtschaftskontakte anbahnen und „Freundschaften“ pflegen. Über die mediale Präsenz der Staats- und Regierungschefs mokiert sich heute niemand mehr. Wurden die glanzvoll inszenierten Konstantinopel-Besuche Wilhelms II. 1889 und 1898 in zahlreichen Fotografien der Nachwelt überliefert, so war es bei seinem dritten Staatsbesuch 1917 schon ein Wochenschau-Film, der den Deutschen zeigte, wie ihr Kaiser in einem Boot über den Bosporus fuhr und vom Sultan empfangen wurde. Frühzeitig erkannte Wilhelm II. die Bedeutung der Massenmedien, wurde jedoch zumeist dafür belacht, dass er alles im Bild und bald auch im Film festhalten ließ.

„Wilhelm der Plötzliche“

Bei Wilhelm II. prägte sich früh eine Vorliebe für die Außenpolitik aus. Der konkrete Gegenstand seines Interesses allerdings überraschte – es war das Osmanische Reich, auf das die europäischen Großmächte in kolonialer Attitüde begehrliche Blicke gerichtet hatten. Das Interesse für den Orient und das Osmanische Reich sollte fortan den deutschen Kaiser begleiten. Zumindest bis 1909, dem Jahr, in dem Abdül Hamid II. abgesetzt wurde, waren die osmanischen Angelegenheiten für Wilhelm II. gewissermaßen Chefsache, und auch danach ließ er sich wenigstens ausführlich unterrichten.

Und Abdül Hamid II.? Der Sultan beherrschte die politische Klaviatur bravourös und war sehr daran interessiert, seine Beziehungen zur deutschen Führungsebene – dem Kaiser sowie den Bundesfürsten – zu verfestigen und weit in die Zukunft auszurichten. So empfing der Sultan die älteren Söhne des Kaiserpaares ebenso wie einige Bundesfürsten und deren designierte Nachfolger. Um den Erhalt seines schwachen Reiches zu sichern, strebte Abdül Hamid II. eine enge Verbindung mit dem Deutschen Reich, der damals stärksten Macht des europäischen Kontinents, an und spekulierte zeitweilig sogar darauf, als vierter Partner in das Bündnis zwischen Italien, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich aufgenommen zu werden. Dazu kam es dann zwar nicht, aber – abgesehen von einigen teils auch schweren Verstimmungen – entwickelten sich die Beziehungen zwischen 1888 und 1909 zur gegenseitigen Zufriedenheit.

Als Wilhelm II. 1927 im Doorner Exil Erinnerungen an seine Regierungszeit niederschrieb, widmete er seinen beiden glanzvoll inszenierten Konstantinopel- Besuchen 1889 und 1898 breiten Raum. Der dritte Staatsbesuch im Oktober 1917 war ihm hingegen keine Erwähnung mehr wert.

• Der 1965 in Seesen geborene Historiker Thomas Weiberg studierte Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Berlin. Dabei entstanden frühzeitig die Interessenschwerpunkte deutsch-europäische Geschichte zwischen 1860 und 1920 sowie Kulturgeschichte des wilhelminischen Deutschland. Er hat sich in mehreren Büchern mit den deutsch-osmanischen Beziehungen in der Kaiserzeit befasst. Weiberg lebt in Berlin und arbeitet seit 2005 für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Sein jüngstes Werk, das 439-seitige Buch „Sultan und Kaiser. Abdül Hamid II. und Wilhelm II. Orientpolitik zwischen Wunsch und Wirklichkeit“, ist vergangenes Jahr im Göttinger Verlag MatrixMedia erschienen.

 


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Waffenstudent Franz am 21.02.22, 14:46 Uhr

Öl ist ein wichtiger Rohstoff. Und es geht bei jedem deutschen Patrioten runter wie Öl, wenn er sieht, daß Weinstein Kirchhügel nicht, wie geplant, das Kaiserreich sondern sein Empire in dem zweiten dreißigjährigen Krieg von 1914 bis 1945 total vernichtete.

Geplant hatte die Briten den Waffengang bereits 1887. Auch weil eine neutrale Bagdad-Bahn die Nordsee mit dem Persischen Golf verbinden sollte. Aber türkisches Öl für Europa, an dem die Angloamerikaner nicht 99% vom Reibach verdienen sollten, das war beim Wilhelm, dem Hussein und auch dem Gaddafi allemal Kriegsgrund genug.

Die Intrigeninsel versklavte 1914 ein Drittel der Welt. Die Amis entledigten sich der Indianer. Belgien und die "De Beers" ließen 10 Millionen in ihren Diamantminen verrecken. Aber der Kaiser und der Sultan, die sollten der Welt aus Schurken präsentiert werden. Der Zar hatte Glück; denn man ermordete seine Familie und feierte das.

da Empit´re

Siegfried Hermann am 19.02.22, 09:53 Uhr

Ne Liebesbeziehung war das sicher nicht, eher eine Vernunftehe und der Ehering hieß Bagdadbahn.
Wie wie die PAZ andeutet war außenpolitisch der Kaiser eher ein Grobmotoriker als Feingeist.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS