30.09.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Geschichte

Ein ganz gewöhnlicher „Kuss-Skandal“

Bei Kriegsende vor 80 Jahren entstand in New York ein berühmtes Foto – Schöpfer war der gebürtige Westpreuße Alfred Eisenstaedt

Bettina Müller
16.08.2025

Im Herbst 1979 reist ein US-Bürger nach Deutschland. Er ist auf der Suche nach Fotomotiven, die unter anderem in einer Ausstellung im Smithsonian Institute in Washington gezeigt werden sollen. Und so durchstreift der Mann mit seiner kleinen Leica-Kamera unter anderem auch Berlin, die Stadt, die er seit seiner Emigration vor 44 Jahren nicht mehr gesehen hat. Alfred Eisenstaedt ist 81 Jahre alt und einer der berühmtesten Fotoreporter der Welt. Sein Aufenthalt wird vor allem in Berlin, wo er von 1906 bis Ende 1935 lebte, auch zu einer Reise in seine (deutsche) Vergangenheit.

Der 1898 im westpreußischen Dirschau geborene Eisenstaedt, der bereits als 14-Jähriger seine ersten Fotos machte, arbeitete nach seiner Gymnasialzeit in Berlin und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zunächst mit im Geschäft der Familie. Als er 1927 zum ersten Mal ein Foto an die „Berliner Illustrirte Zeitung“ verkaufen konnte, beendete das seine Kaufmannslaufbahn. 1929 bekam Eisenstaedt seinen ersten großen internationalen Auftrag, als er die Verleihung des Nobelpreises fotografisch begleiten durfte.

Nach seiner Emigration in die USA, in die er später auch eingebürgert wurde, brachte er es bis zum Hausfotografen des „Life“-Magazins. Eines seiner 90 Fotos, welche die Titelseite schmückten, war der ikonische Kuss eines Paares am New Yorker Times Square. Es entstand vor genau 80 Jahren anlässlich der Siegesparade, nachdem am 15. August (Ortszeit) der japanische Tenno die Kapitulation verkündete und der Zweite Weltkrieg damit auch im pazifischen Raum endete.

Es wird Eisenstaedt im Jahr seiner Rückkehr nach Berlin geschmerzt haben zu sehen, wie sich die Stadt verändert hatte. Nun war sein Auftrag, aktuelle Fotos den alten aus seiner Berliner Zeit gegenüberzustellen. Vor allem das geteilte Berlin muss für ihn sehr befremdlich gewesen sein. Seine alte Heimat, so wie er sie kannte, war unwiderruflich verloren. So gerieten die Berlin-Bilder auch zu einer Art persönlichem Abgesang. Eisenstaedt sah eine Stadt, die durch eine Mauer geteilt worden war, als ob sie der Zweite Weltkrieg nicht sowieso schon bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt hatte.

Eisenstaedt fotografierte unter anderem ein Schaufenster des KaDeWe, wo man anlässlich der Israel-Wochen vom
14. bis zum 29. September 1979 ein eigenes Fenster gestaltet hatte, das als Werbung für die Präsentation israelischer Waren dienen sollte. „Shalom Jerusalem“ hieß es auf dem Fenster, während sich darauf der Mercedes-Stern auf dem Dach des Büroturms des Europa-Centers spiegelte, aber auch der prägnante Rundbau des Leiser-Schuhgeschäfts. Und das steht heute symbolhaft dafür, wie die Zeiten sich geändert haben. 2025 würde dieses Fenster in der Stadt, in der es viele Israel-Hasser gibt, nicht lange vorhalten.

Eisenstaedt besuchte auch den jüdischen Friedhof Weißensee, wo er als Zehnjähriger um seinen Großvater getrauert hatte und nur drei Jahre später um seinen fünfjährigen Bruder Herbert. Auch 1925 hatte er dort gestanden.

Bilder einer deutschen Teilung
Der Vater hatte aber immerhin eine Grabstätte, anderen Mitgliedern der Familie Eisenstaedt blieb das versagt. Alle vier Kinder von Salomon Eisenstaedt – Johanna, Ida, Arthur und Erna – Alfred Eisenstaedts Onkel und dessen Ehefrau Rosa geb. Blumenheim wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Und so geriet das junge trauernde Mädchen, das er dort auf Weißensee wohl zufällig traf, stellvertretend für seine eigene Trauer.

Vergangenheit und Gegenwart vermischten sich in diesem einen zufälligen Moment, als das Mädchen, das auch das Grab ihrer Familie besuchte, apathisch auf den Boden starrte und Eisenstaedts kleine Kamera klickte. Der Privatmensch vermischte sich mit dem professionellen Bildreporter.

Beängstigend war das Foto eines Todesstreifens an der Berliner Mauer, aber auch das von dem Gedenkort für den Mauertoten Bernd Lünser, der am 4. Oktober 1961 bei einem Fluchtversuch an der Bernauer Straße gestorben war, als er von einem Hausdach sprang und dabei das von der West-Berliner Feuerwehr aufgespannte Sprungtuch verfehlt hatte. Und die Soldaten – auf einem weiteren Foto – im Wachturm an der Mauer, die durch die ungewöhnlichen Lichtverhältnisse schemenhaft wirkten, sahen so noch anonymer aus, weil sie fast mit dem Beton zu verschmelzen schienen. Es sind Fotos, die auch dokumentarischen Wert für die Geschichte der deutschen Teilung haben.

Für Eisenstaedts persönliche Historie ganz besonders symbolträchtig war die Stelle, an welcher der Bunker stand, in dem Hitler starb. An Bösartigkeit übertreffen konnte das nur noch ein Foto, das Eisenstadt 1933 im Rahmen einer Reportage über die Konferenz des Völkerbunds in Genf gemacht hatte. Es lässt einen heute noch erschaudern, weil Goebbels' Blick und Haltung verrieten, wie sehr er Eisenstaedt aufgrund seiner Religion verachtete. Doch Eisenstaedt einzuschüchtern gelang ihm nicht, weil er laut eigener Aussage völlig angstfrei war, sobald er eine Kamera in der Hand hielt. Diese kleine Kamera in Verbindung mit Eisenstaedts Persönlichkeit hatte oft unsichtbare Schranken beseitigt und gesellschaftliche Barrieren aufgelöst; doch bei Goebbels versagte dieses Talent.

Diese Symbiose eines Fotografen mit seiner Kamera suchte seinesgleichen: den „erzählenden“ Moment finden und für die Ewigkeit festhalten, sich selber dabei zurücknehmen und vor allem keinesfalls vor dem anderen in Ehrfurcht erstarren, wer auch immer er war. Eisenstaedt war ein Mensch, der durchaus wusste, was er konnte, der privat einen gesunden Lebensstil pflegte, nicht rauchte und nicht trank. Der früh ins Bett ging und um 5 Uhr morgens aufstand, und somit eigentlich preußische Disziplin pflegte.

Der preisgekrönte Fotoreporter starb vor 30 Jahren, am 23. August 1995, während seines Urlaubs in Martha's Vineyard (Massachusetts) an einem Herzstillstand. In Erinnerung bleibt er vor allem durch sein Foto am Times Square, als ein Matrose spontan eine ihm unbekannte, vermutlich aus Österreich stammende Arzthelferin im weißen Schwesternkittel küsste. Hätte sich der Kuss in heutigen Zeiten abgespielt, wäre die Szene womöglich als sexueller Übergriff gewertet worden. Der Matrose wäre dann ähnlich wie beim „Kuss-Skandal“ im spanischen Fußball, als nach dem Gewinn der Frauenweltmeisterschaft ein Funktionär im Freudentaumel eine Spielerin küsste, mindestens zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Online-Ausstellung über Eisenstaedt: www.icp.org/browse/archive/constituents/alfred-eisenstaedt 


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS