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Stephen Thomson beschäftigt sich mit Stärken und Schwächen Norman Mailers
Das literarische und journalistische Werk des amerikanischen Schriftstellers Norman Mailer (1923–2007) lässt sich nicht leicht auf einen Nenner bringen. Bereits mit seinem Weltkriegsroman „Die Nackten und die Toten“ landete der Autor und Hobbyboxer einen großen nationalen und internationalen Erfolg. Fortan träumte der Sohn jüdischer Eltern davon, der größte US-Schriftsteller seiner Zeit zu werden.
Mit dem historischen Monumentalroman „Frühe Nächte“ erkundete Mailer das alte Ägypten. Weitere Werke waren Jesus, John F. Kennedy, Madonna, Adolf Hitler und dem Mörder Gary Gilmore gewidmet. Viele seiner Bücher können über den LangenMüller-Verlag bezogen werden, in dem nun auch – zum 100. Geburtstag des Enfant terrible der amerikanischen Literaturszene (siehe PAZ vom 27. Januar) – eine Biographie des Deutsch-Amerikaners Steve Thomsen erschienen ist.
Lohnt sich überhaupt noch eine Beschäftigung mit dem Werk Mailers, dessen machohafte Attitüde und sein betont viriles Auftreten wie aus der Zeit gefallen scheinen? Sein Biograph beantwortet die Frage – wenig überraschend – mit Ja. Mailers nichtfiktionale Arbeiten seien unentbehrlich „für alle jene, die wissen wollen, wie Menschen in den USA des zwanzigsten Jahrhunderts gedacht und gefühlt haben. Ein Eindruck, den Geschichtsbücher üblicherweise nicht vermitteln.“
Eine Beschäftigung mit dem kleinen Kraftpaket aus New Jersey mit der Wuschelmähne und den schier endlosen Frauengeschichten lohnt aber vor allem deshalb, weil er so anders war, als heutige Schriftsteller es bisweilen sind. Mailer war kantig. Er kämpfte gegen übersteigerten Feminismus und politische Korrektheit und war ein entschiedener Gegner der Zensur. So setzte er sich beispielsweise für seine Kollegen Henry Miller und Vladimir Nabokov ein, deren Werk in den Vereinigten Staaten eben von der Zensur bedroht wurde. So ist denn auch die US-amerikanische Journalistenikone Gay Talese, ein Mitbegründer des literarischen Journalismus in den USA, der Meinung, dass sein Land heute einen Norman Mailer nötiger hätte denn je: Die Vereinigten Staaten seien inzwischen in Geiselhaft woker Wortführer, die bereit seien, jeden mundtot zu machen, der öffentlich eine Meinung vertrete, die ihren Überzeugungen zuwiderlaufe.
Thomsen lässt es in seiner sehr flüssig geschriebenen Lebensbeschreibung „menscheln“. Der Leser erfährt viel über Mailers außereheliche Eskapaden, die dann oft wieder zu neuen Ehen führten. Mailer war sechs Mal verheiratet und hatte neun Kinder. Seine immense Produktivität war auch finanziellen Nöten geschuldet. Mailer war ein „Getriebener seiner Geldnöte“.
Opfer seiner Zeit?
Thomsen schildert Mailer in seinen Stärken und Schwächen, ohne ihn zu be- oder gar zu verurteilen. Seine permanente sexuelle Untreue, sein Alkoholismus, die Depressionen und sein Hang zur Gewalt werden nicht unter den Teppich gekehrt, weil diese Themen immer wieder in seinen Büchern auftauchen. Im November 1960 verletzte er seine damalige Ehefrau Adele Morales sogar so schwer mit einem Taschenmesser, dass sie in Lebensgefahr schwebte. Sie zeigte ihn nicht an. Aus heutiger Sicht ist es völlig unverständlich, dass Mailer damals vor allem als Opfer gesehen wurde, das von seiner Frau beleidigt und verbal gedemütigt worden sei. Die Wut eines Jahrzehnts habe ihn dazu gebracht. Mit dieser merkwürdigen Argumentation versuchte der Autor, sich als Opfer seiner Zeit darzustellen, da er mit den Wertmaßstäben der 1950er Jahre über Kreuz gelegen hatte.
Neben seinen journalistischen und literarischen Ambitionen hegte Mailer auch politische. So wollte er Bürgermeister von New York werden. Letztlich reichte es aber nur zu einer Verbandstätigkeit als Präsident der US-amerikanischen Sektion der Autorenvereinigung PEN. In dieser Funktion gelang es Mailer zusammen mit seinem PEN-Vize Talese, der Donald Trump damals privat kannte, den späteren US-Präsidenten dazu zu bewegen, für Schriftsteller aus Deutschland, Spanien, Italien und anderen Ländern rund 200 kostenlose Hotelzimmer zur Verfügung zu stellen. Trump tat dies kostenlos, weil die beiden gewieften Autoren an sein übergroßes Ego appelliert hatten.
Thomsens Biographie enthält auch berührende Momente. So fiel es Mailer, der in seiner Kraftmeierei seinem Vorbild Ernest Hemingway nacheiferte, sehr schwer, das langsame Sterben seiner geliebten Mutter zu akzeptieren. Auch sein eigenes Sterben wird auf den letzten Seiten des Buches einfühlsam geschildert. Sein Sohn Michael bereitet seinem Vater am Sterbebett einen letzten Drink zu, den dieser mit Mühe, aber selig zu sich nimmt. Danach lächelt er und reckt den Daumen nach oben. Dann möchte er, dass alle Anwesenden aus dem Glas trinken. Am 10. November 2007 endet Mailers pralles Leben. Mit Mailer starb ein Autor, der sich zu keinem Zeitpunkt den Erwartungen der Allgemeinheit gebeugt hat.
Steven Thomsen: „Norman Mailer. Die Biographie“, LangenMüller Verlag, München 2022, gebunden, 376 Seiten, 25 Euro