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Kunst

Ein „Gott“ im Vatikan

Vor 500 Jahren starb in Rom der Künstler Raffael. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt er als der bedeutendste Renaissance-Maler. Sein Gemälde „Verklärung Christi“ war berühmter als die „Mona Lisa“

Veit-Mario Thiede
04.04.2020

Vor einem halben Jahrtausend verschied ein „sterblicher Gott“. Mit diesem Ehrentitel bedachte der Künstlerbiograf Vasari den am 6. April 1520 in Rom gestorbenen Raffael. Der bis heute hoch Verehrte war über Jahrhunderte das Maß aller künstlerischen Dinge. Stefano Zuffi erklärt in seiner jüngst erschienenen Raffael-Publikation: „Was sich in der Entwicklung der Malerei vom 16. bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog, geschah stets in Auseinandersetzung mit Raffael.“

Diesen überragenden Einfluss auf nachfolgende Künstler will Dresdens Gemäldegalerie Alte Meister am Beispiel der berühmten Bildteppiche mit Szenen aus dem Leben der Apostel Petrus und Paulus veranschaulichen, für die Raffael und dessen Werkstattmitarbeiter die Vorlagen entwarfen. Die Eröffnung der Sonderausstellung war für den 3. April geplant. Doch wegen der Corona-Pandemie bleiben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vorerst bis 19. April geschlossen.

Andernorts hatten die Ehrungen Raffaels bereits begonnen. Die in der Scuderie del Quirinale von Rom eröffnete größte Raffael-Schau aller Zeiten hatte eine Lebensdauer von drei Tagen, bevor sie zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen wurde. Im Internet hat sie ihre Wiederauferstehung gefeiert. Unter dem Hashtag „#RaffaelloInMostra“ kann man in den sozialen Netzwerken Videospaziergänge durch die Ausstellung unternehmen. In der Berliner Gemäldegalerie sollte bis 26. April eine Kabinettschau mit Madonnen-Gemälden Raffaels laufen. Aber nun ist sie bis auf Weiteres geschlossen. Und die Hamburger Kunsthalle hat ihre ursprünglich ab dem 21. Mai vorgesehene Raffael-Ausstellung mit Zeichnungen und Grafiken aus dem eigenen Bestand auf den 22. Januar 2021 verschoben.

Was wissen wir überhaupt über den vermutlich am 28. März 1483 in Urbino geborenen Raffaelo Sanzio? Arnold Nesselrath, Verfasser der neuen Raffael-Monografie, schreibt: „Wir können zwar viele Vermutungen zum Leben des Künstlers anstellen, aber die eigentliche Befundlage ist äußerst spärlich.“

Raffael ging bei dem angesehenen Maler Perugino in die Lehre, schulte in Florenz sein Können an den Werken Michelangelos und Leonardo da Vincis. Papst Julius II. berief ihn 1508 nach Rom und betraute ihn mit der Ausmalung der als „Stanzen“ berühmten päpstlichen Gemächer. Sein Nachfolger Leo X. ernannte Raffael zum Oberaufseher der römischen Altertümer sowie Chefarchitekten des neuen Petersdoms – und damit der bedeutendsten Baustelle der Renaissance. Raffael war aber kein einsames Genie. Seine zahlreichen Aufträge bewältigte er seit 1511 als Dirigent einer vielköpfigen Werkstatt.

Laut Vasari brachte Raffael die idealen Voraussetzungen mit, um seine Werkstatt erfolgreich zu leiten und mit seinen hochrangigen kirchlichen wie weltlichen Auftraggebern bestens auszukommen. Er berichtet in seiner 1550 verfassten und 1568 überarbeiteten Lebensbeschreibung, dass Raffael sich durch Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, Güte und Großzügigkeit auszeichnete. Vor allem aber beschreibt und kommentiert der Biograf dessen Kunstwerke. Dazu rät auch Nesselrath, der über 30 Jahre die 2012 abgeschlossene Restaurierung der vatikanischen Stanzen leitete: „Das Werk in all seinen vielfältigen Aspekten ist die direkteste, intimste und komplexeste Begegnung“ mit Raffael.

Die Figuren „reden“

Besonders die liebenswürdigen Madonnen-Gemälde des jungen Raffael haben viele Verehrer. Etwa die „Heilige Familie aus dem Hause Canigiani“ (1507) in Münchens Alter Pinakothek. Maria sitzt mit dem Jesuskind im Freien. Sie haben Besuch von Elisabet und dem Johannesknaben. Hinter den dicht zusammengerückten Müttern und Kindern steht Josef. Weit weniger gut organisiert wirkt der Auftritt der an der viel bewunderten „Grablegung Christi“ (1507, Rom, Galleria Borghese) beteiligten Figuren. Josef von Arimathäa tritt Maria Magdalena auf den Fuß, und dem rückwärts gehenden vorderen Träger des Leichnams Christi steht Johannes im Weg.

Aber schon bald bewährt sich Raffael als begnadeter Regisseur weit größerer Menschenmengen. Das beweist das eindrucksvolle Fresko des „Disputs über das Sakrament“ (1510-1511) in der Stanza della Segnatura. Während in der
Himmelsphäre Moses und Petrus, Maria und Johannes der Täufer sowie zehn weitere Glaubenszeugen zu Seiten Christi sitzen, sind in der irdischen Sphäre links und rechts des Altars über 40 gestikulierende Gestalten harmonisch gruppiert.

Der ungemeine Reiz der Werke Raffaels besteht darin, dass sie einen „ansprechen“. Das liegt an der wie aus dem Leben abgeschauten Mitteilungsfreudigkeit des Bildpersonals. Die Figuren „reden“ durch Gesten, Blicke oder Mienenspiel miteinander – und sprechen uns durch Fingerzeige oder Augenkontakt direkt an. Das zeigt aufs Schönste die „Sixtinische Madonna“ (1512–1513, Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister). Mit dem Kind auf dem Arm scheint sie uns Betrachtern vom Himmel herab entgegenzukommen und uns dabei anzusehen. Derweil wirken die beiden berühmtesten Kinderengel der Welt, die Raffael an den unteren Bildrand gemalt hat, gelangweilt, wie ihre verdrehten Augen verraten.

Nicht etwa Leonardos „Mona Lisa“, sondern Raffaels „Verklärung Christi“ (1518–1520, Vatikanische Museen) galt über Jahrhunderte als das berühmteste Gemälde der Welt. Vasari berichtet, dass der verstorbene Raffael in seinem Atelier aufgebahrt lag, „ihm zu Häupten das Bild der Verklärung“. Sein im Jubiläumsjahr mit einer Rose geschmücktes Grabmal im Pantheon von Rom hat sich Raffael selbst entworfen.

• Neue Bücher zum Jubiläum

Giorgio Vasari
Das Leben des Raffael von Urbino
Reclam, 122 Seiten, 7 Euro

Stefano Zuffi
Raffael. Meisterwerke im Detail
Verlag Bernd Detsch, 224 Seiten, 29,95 Euro

Arnold Nesselrath
Raffael!“
Belser, 224 Seiten mit 150 Farbfotos, 89 Euro


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