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Roman um Wilhelm von Habsburg soll Freiheitswillen der Ukrainer bezeugen
Die Ukrainerin Natalka Sniadanko vermischt in ihrem neuesten Roman über Wilhelm von Habsburg (1895–1948) historische Fakten und literarische Fiktion, um kaum bekannte ukrainische Geschichte einmal ganz anders erleben zu lassen.
Pünktlich zum 100. Todestag des letzten österreichischen Kaisers Karl I. sowie dem Beginn von Putins Krieg gegen die Ukraine hat Sniadanko sich einem Cousin des Kaisers, dem Außenseiter Wilhelm von Habsburg, gewidmet, der heute in der Ukraine als Nationalheld gilt, weil er bereits 1918 an eine unabhängige und freie Ukraine geglaubt hat.
So wie der letzte Habsburger Thronfolger Otto von Habsburg, der bereits 1990 von Putins KGB-Karriere in der DDR gehört und danach bis zu seinem Lebensende 2011 vor Putin gewarnt hatte, ebenso wie seine Tochter Gabriela seit 2009 als Botschafterin Georgiens in Deutschland, so warnt auch Sniadanko in ihrem Geschichtsroman anhand des Lebens von Wilhelm von Habsburg davor, den Unabhängigkeits- und Kampfeswillen der Ukrainer zu unterschätzen.
Die Autorin benutzt dazu zwar die historische Figur Wilhelm von Habsburg, lässt sie jedoch nicht 1948 in den Fängen der Sowjets als Doppelspion sterben (siehe Seite 10) – wie es bislang die Historiker glauben – aber nicht sicher wissen, sondern sie lässt den Totgeglaubten in Lemberg wieder auferstehen. Der verwöhnte Lieblingsspross seiner Eltern entschließt sich nämlich, nach dem Ende seiner persönlichen Machtambitionen, den Unabhängigkeitskampf der Ukrainer gegen die Bolschewisten an führender Stelle zu unterstützten.
Die in Lemberg lebende Sniadanko schlüpft in ihrem Roman meisterhaft in die fiktive Rolle einer Enkelin des Habsburgers und eröffnet den Blick aus deren Perspektive auf die Ukraine der Gegenwart, wie sie seit 1991 von einer Sinn- in eine Lebenskrise schlittert, der Putins Appetit auf die Ukraine nur noch vergrößerte. Gleichzeitig entdeckt sie in den Anekdoten ihres Großvaters etwas, das vor 100 Jahren schon einmal da war: eine gemeinsame Geschichte, ein gemeinsames Europa.
Die vielen Kapitel des Buches, das auch eingehend auf die in Deutschland bestens bekannte Sisi, Elisabeth von Österreich, eingeht, haben keine Titelüberschriften, sondern nur Jahreszahlen, damit der Leser sich orientieren kann, in welchem Jahr die jeweils zeitlich wechselnde Handlung gerade spielt. In diesen Wechseln gewinnt der Roman immer wieder enorm an Spannung, denn Wilhelm war eine überaus spannende und schillernde Figur des 20. Jahrhunderts.
Als Mitglied einer der wichtigsten Dynastien Europas war er für die noch zu etablierende Ukraine als König vorgesehen. Als diese Pläne scheitern, engagiert er sich leidenschaftlich für die Unabhängigkeitsbestrebungen des Landes, bis auch diese 1920 vorerst zerschellen. Wilhelm zieht sich nach Paris zurück und wird zum kosmopolitischen Lebemann.
Im Zweiten Weltkrieg arbeitet er als Doppelspion, was ihm nach Kriegsende in dem von den Sowjets besetzten Wien zum Verhängnis wird. Dort wird er 1948 vom KGB entführt und zurück in die Ukraine gebracht. Was dort mit ihm geschah, ist bis heute nicht geklärt. Hier setzt die Phantasie von Sniadanko ein, sie lässt Wilhelm den Schergen Stalins entkommen und im sowjetischen Lemberg untertauchen. Auf dem Schwarzmarkt gelingt es dem Habsburger, endlich zum König aufzusteigen und eine Familie zu gründen.
Für seine Enkelin Halyna wird das Leben eines voller Umbrüche. Sie erlebt 1991 die wiedergeborene Ukraine mit all ihren Schwächen, die sie seit 2014 zu einer leichten Beute Putins werden lässt. Hatte nicht Putin im Vorfeld seines Krieges gegen die Ukraine selbst gesagt, sie sei Russland und ein kleiner Rest Habsburg? Dass er den Freiheitswillen der Ukrainer und der Habsburger nicht unterschätzen sollte, zeigt dieses Buch.