Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Memelländer Rudolf Naujoks beschreibt in seinem posthum erschienenen Buch „Brücke am Kanal. Meine Jugend im Memelland 1903–1918“ seine Kinder- und Jugendzeit in Ostpreußen bis hin zum Neuanfang in Bad Camberg
Rudolf Naujok wurde 1903 in dem Fischerdorf Starrischken Kreis Memel am Kurischen Haff geboren und verstarb 1969 in Bad Camberg im Taunus. Er gilt als ein wichtiger Autor seiner Heimat Ostpreußen. Die „Brücke am Kanal“ verfasste Naujok Mitte der 60er Jahre, also kurz vor seinem Tod. Sein Sohn Herwarth verwaltete den umfangreichen literarischen Nachlass des Vaters, unter anderem auch das Manuskript der „Brücke am Kanal“. 2024 wurde es im Selbstverlag erstmalig veröffentlicht.
Das Buch beschreibt in 18 Kapiteln chronologisch Kindheit und Jugend des Autors in seiner Heimat im Land an der Memel. Trotz der ruhigen und friedlichen Landschaft muss Naujok bittere und ihn aufwühlende Ereignisse erleben und bewältigen: der frühe Tod seiner Eltern und seine folgende Erziehung in einem staatlichen Waisenhaus der Stadt Memel sowie die Jahre des Ersten Weltkrieges mit zeitweiliger Besetzung durch zaristische Truppen.
Naujok schreibt durchgehend in der Ich-Form. Beeindruckend sind seine Persönlichkeit, seine Interessen, seine Beobachtungsgabe, seine Gefühle und Empfindungen. So zeigt er die unverwechselbare Landschaft zwischen Haff und Wald. Die Leser erleben das für Städter hart erscheinende Leben auf einem ostpreußischen Bauernhof im Wechsel der Jahreszeiten, aber auch die Feste zu Taufen, Hochzeiten und Feiertagen wie Weihnachten. Er zeichnet die Charaktere von Vater, Mutter, Onkel, Cousins und weiteren Verwandten und Nachbarn. Er beobachtet das Wachsen und Erblühen der heimischen Pflanzen.
Für den Leser entsteht das Bild einer ostpreußischen Landschaft, natürlich mit zahlreichen Storchenpaaren. Nachhaltig wird der Autor geprägt durch das städtische Waisenhaus und besonders durch den Direktor. Es sind ganz entscheidende Jahre seines Lebens: Er entdeckt sich als Persönlichkeit, findet Zugang zu den großen Autoren und Dichtern der deutschen und europäischen Literatur und beginnt selbst zu schreiben.
Gleichberechtigte Nachbarn
Bemerkenswert ist sein Interesse an Geschichte, so besonders die der Prußen und der deutsche Anteil an der 800-jährigen Geschichte Ostpreußens. Seine bestimmende Gesamthaltung bezeichnet er als preußisch-konservativ, mit starker Neigung zur englischen Demokratie. Das bedeutet, dass er ohne Arroganz Russen, Polen oder Litauer als völlig gleichberechtigte Nachbarn sieht. Damit wird seine Anti-Kriegseinstellung klar. Gegen Ende seiner Zeit im Memelland ist ein großes Ereignis für ihn eine Bahnfahrt durch Ostpreußen zur Marienburg, die ihn stark beeindruckt; bisher hatte er noch nie seine Heimat am Haff verlassen.
Es überrascht, dass Naujok seinen endgültigen Abschied aus Ostpreußen im Zuge der Vertreibungen 1944/45 nicht beschreibt. Im letzten Kapitel „Alte Heimat, neue Heimat“ widmet er sich seiner neuen Heimat Bad Camberg im Taunus. Seine Sympathie beweisen zahlreiche Fotos und Zeichnungen des Städtchens: „Fern im Osten liegt verloren das Land meiner Kin-dertage. Hier ist das Land, das mir das Schicksal zum Altern zugewiesen hat. Wie könnte ich das nicht dankbar annehmen?“ Unausgesprochen drückt sich in diesen Worten die Trauer um die verlorene Heimat östlich von Oder und Neiße aus.
Das Buch ist in verständlicher Sprache geschrieben, litauische oder russische Ortsnamen sowie ostpreußische Begriffe werden durch Anmerkungen erklärt. Sehr zum Verständnis des Raumes, in dem Naujoks lebte, tragen die Karten des Memelgebiets und des Kreises Memel sowie Ostpreußens 1905 und Mitteleuropa 2024 bei.
„Die Brücke am Kanal“ vermittelt dem Leser einen kleinen Ausschnitt von Ostpreußen, wie es war. Dieses Erbe muss bewahrt werden, Es stimmt hoffnungsvoll, dass für deutsche Landsleute Ostpreußen wieder ein attraktives Reiseziel ist.
Rudolf Naujok: „Brücke am Kanal. Meine Jugend im Memelland 1903–1918“, BoD, Norderstedt 2024, gebunden, 256 Seiten, 38 Euro