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Kultur

Ein Königsberger Universalgenie

Vor 200 Jahren starb E. T. A. Hoffmann – Über den Umweg als Richter, Komponist, Musikkritiker und Maler fand er zur Schriftstellerei

Harald Tews
23.06.2022

Ostpreußen hat bekanntlich eine Reihe herausragender Dichter und Autoren hervorgebracht. Simon Dach wäre da zu nennen oder Johann Gottfried Herder, Hermann Sudermann oder Siegfried Lenz. Aber seien wir ehrlich: Weit über die deutschen Grenzen hinaus sind sie nicht bekannt. Das ist im Fall von E. T. A. Hoffmann völlig anders. Mit ihm hat auch Ostpreußen einen Klassiker von Weltrang hervorgebracht.

Allerdings hatte dieser Klassiker anfangs mit dem Phänomen zu kämpfen, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Dem „Gespenster-Hoffmann“, wie er abschätzig wegen seiner schaurig-düsteren „Nachtstücke“ genannt wurde, hat man wegen seiner „fratzenhaften“ Erzählungen (Ludwig Tieck) pathologischen Wahnsinn oder den Genuss von Opium unterstellt. Allen voran Goethe. Wer, so fragte er, „hat nicht mit Trauer gesehen, daß diese krankhaften Werke des leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verwirrungen als bedeutend fördernde Neuigkeiten gesunden Gemütern eingeimpft worden?“

Im Ausland sah man die Dinge anders. Besonders in Frankreich, wo man Hoffmanns Phantasiereichtum für die Bühne entdeckte. Jacques Offenbach erweckt in seiner Oper „Hoffmanns Erzählungen“ eine ganze Reihe Hoffmannscher Figuren zum Leben, Léo Delibes Ballett „Coppélia“ basiert auf der Hoffmann-Erzählung „Der Sandmann“, und Peter Tschaikowsky schuf auf Grundlage von Hoffmanns „Nußknacker und Mausekönig“ sein zeitloses „Nußknacker“-Ballett. Dabei kannte er das Original nicht, sondern stützte sich auf eine Vorlage aus zweiter Hand, und zwar auf die Kinderbuchversion des Mäuseknacker-Märchens durch den französischen Romancier Alexandre Dumas père.

Selbst bis über den Großen Teich reichte die Wirkung Hoffmanns. Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ liest sich wie eine Coverversion von Hoffmanns Erzählung „Das Majorat“, die von dem Schloss Rossitten auf der Kurischen Nehrung erzählt, in dem es spukt und das am Ende in Trümmern liegt.

Seine ostpreußische Heimat hat der am 24. Januar 1776 in Königsberg geborene Romantiker in seinen Werken eher spärlich thematisiert. Ein „Heimatdichter“ war er nie. Überhaupt war ihm wohl selbst nicht klar, dass er einmal als Autor Erfolg haben würde. Als Richter durchlief er eine bürgerliche Beamtenkarriere, neben der er eine künstlerische Karriere anstrebte. „Ob ich wohl zum Maler oder Musiker geboren wurde?“, fragte er sich noch 1803 als preußischer Regierungsrat in der masowischen Stadt Plock, die nach der zweiten polnischen Teilung an Preußen gefallen war. Bevor er mit der Schriftstellerei anfing, war das Multitalent als Maler, Karikaturist, Kapellmeister und Komponist unterwegs. Aus Verbeugung vor seinem Idol Mozart änderte er seinen dritten Vornamen Wilhelm in Amadeus, woraus sein Kürzel E. T. A. (Ernst Theodor Amadeus) entstanden ist.

Doch sein Leben war seitdem von Missgeschicken bestimmt. Seine für einen Karnevalsscherz angefertigten satirischen Zeichnungen führten erst zu einem Karriereknick in seiner Juristenlaufbahn und dann zu deren vorläufigem Ende, als Napoleon 1806 in Warschau einmarschierte; in Bamberg, wo es heute das E.T.A.-Hoffmann-Theater mit einer Bronzestatue des Autors davor gibt, wurde er nach kurzer Zeit als Kapellmeister gefeuert; als Musikdirektor in Dresden und Leipzig lief es nicht besser; nachdem sich der verheiratete Mann in eine junge Musikschülerin verliebt hatte, lehnte sie sein Werben ab wegen des unvorteilhaften Äußeren – der Biograph Rüdiger Safranski nannte ihn „Gnom“ und von „zwergenhaftem Wuchs“; ein Brand im Königlichen Schauspielhaus von Berlin stand 1817 dem weiteren Erfolg seiner dort uraufgeführten Oper „Undine“ im Wege; und wegen satirischer Anspielungen auf die Obrigkeit in seiner Erzählung „Meister Floh“ kam er in Konflikt mit der preußischen Zensur-Verordnung, was ihm ein Disziplinarverfahren eingebracht hätte, wäre er nicht kurz zuvor, am 25. Juni 1822, wegen sich verstärkender Lähmungserscheinungen womöglich infolge von Syphilis in Berlin gestorben.

Die vielen Pannen als Musiker und Maler brachten ihn recht spät auf die Spur der Schriftstellerei. Hier hatte er sein eigentliches Thema gefunden: die Spannung zwischen Bürgertum und Künstlertum, also der Zwiespalt, der in ihm selbst als Beamter und Künstler steckte.

Nach seinen Musikerzählungen „Ritter Gluck“ und „Kreisleriana“ – die Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler wird später in seinem Roman „Lebensansichten des Katers Murr“ ein weiteres Mal auftauchen – lebte Hoffmann seinen exitentiellen Dualismus in solchen Kunstmärchen aus wie „Der goldene Topf“, die vor rauschhaften Phantasien und Ausdrucksmitteln so voll sind, dass es einem vorkommt, als hätte der Autor unter Drogen gestanden, als er sie niederschrieb.

Dabei ist dieses Schwanken zwischen bürgerlicher Rationalität und künstlerischem Chaos Romantik pur. Hoffmann hat damit unsterbliche Werke geschaffen, die erst im Ausland, dann aber auch bei späteren deutschen Dichtergenerationen Anerkennung fanden. Seine Erzählung „Bergwerke zu Falun“ hat Hugo von Hofmannsthal dramatisiert und „Das steinerne Herz“ Arno Schmidt zu einem Roman inspiriert. Nebenbei schrieb Hoffmann mit „Das Fräulein von Scuderi“ den ersten Detektivroman deutscher Sprache. Er war eben ein Universalgenie, vielleicht eines der letzten in Deutschland.


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