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Ein Leben wie im Film

Vor 40 Jahren starb Romy Schneider, die größte Diva des deutschen Nachkriegskinos. Ihre Vita enthielt alles, was das Kino ausmacht: zärtliche Romanzen, Happy Ends – und traurige Tragödien

Matthias Matussek
27.05.2022

Als vor 40 Jahren, am 29. Mai 1982, die Nachricht von ihrem Tod die Runde machte, war es, als sei ein goldener Klang für immer aus der Welt verschwunden: Romy.

In einem ansehnlichen Haus am Königssee, in dem die in Wien zur Welt gekommene Romy Schneider ihre Kindheit verbrachte, ist eine ganze Wand reserviert für Illustriertentitel mit ihrem Konterfei: so viele Gesichter. Das einer jugendlichen Prinzessin, eines amoralischen Teenagers, einer Hure, einer Mörderin, eines jüdischen Opfers. Viele Opferrollen, einige Täterrollen, Frauen auf der Kippe. Dazwischen zunehmend zerfließende Lebensrollen, doch immer dieselbe Frau, die unwiderstehlichste und verlorenste, die das deutsche Kino je hervorgebracht hat. Eine romantische Diva.

Ein schwarzer Fluch

Magda Schneider, ihre Mutter und ihrerseits ein Filmstar, hat dieses Haus gebaut – ihren Vater Wolf Albach-Retty, ebenfalls ein Leinwandidol, hat die kleine Romy angebetet, und sie wusste schon früh und schrieb es in ihr Tagebuch: „Ich muss auf jeden Fall einmal eine Schauspielerin werden! Ja! Ich muss!“ Das ist weit mehr als pinkfarbene Mädchenträumerei. Das ist – in ihrem Fall – ein schwarzer Fluch, ganz wie im Märchen.

Unter der eisernen Regie ihrer Mutter wurde sie eine, schon in Teenager-Jahren, und selbstverständlich half Magda Schneider, der man eine Affäre mit Josef Goebbels nachgesagt hatte und die daher später dem neuen deutschen Kino als leicht zweifelhafte Figur galt, ihrer eigenen Karriere damit ebenfalls.

Heimatfilme waren die Eintrittskarte zum Erfolg, die Deutschen wollten nach der moralischen und militärischen Katastrophe der Hitlerjahre entrückt werden in eine unschuldige Gegenwelt, und nichts war unschuldiger als dieses junge Mädchen-Strahlen vor der Kulisse von Berggipfeln und Blumenwiesen in Filmen wie „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“.

Und dann kam, 1955, „Sissi“ in die Kinos, vor der nicht nur deutsche Fans in den Staub sanken. Die ganze Welt ging in die Knie. Rund 30.000 Fans warteten auf den Rollfeldern in Madrid, in Paris und Rom, um Romy Schneider zu feiern, die mit dem „Sissi“-Film 1956 auf Promotion-Tour ging. Sie war die erste Königin der Herzen, gleich zu Beginn des hysterischen Zeitalters. Die 17-Jährige wurde von ihren Fans buchstäblich auf Händen ins Flughafengebäude getragen.

Der Sissi-Stoff lehnt sich an die theatralische Biografie der österreichischen Kaiserin Elisabeth an, die auf ihre Weise bereits Pop war: Sie war magersüchtig, schrieb Hunderte Gedichte, schmachtete in Tagebücher, sie wurde ermordet und danach kultisch verehrt. Gegen diese Elendsbiografie strahlt Romy Schneiders „Sissi“. Man kann sich heute kaum vorstellen, wie sehr ihre Kunstfigur die Seelenlandschaften der Zeit durchwühlt hat, wie sehr sie, ein paar Jahre nach der Kriegskatastrophe, die Sehnsüchte nach Anmut, Reinheit, Jugendfrische, Zartheit, Neubeginn gebündelt hat.

Zeitgenössische Märchenfigur

Wer mochte es den Kinobesuchern verdenken, wenn sie ihre Trümmerhaufen für ein paar Stunden vergessen wollten, dazu ist Kino da, das Fluchtmedium schlechthin, durch alle Zeiten. Sie war eine zeitgenössische Märchenfigur.

Königinnen der Herzen bestreiten ihren Rang aus nichts als der Zuwendung der Massen und der Magazine. Sie binden Traumenergien. Sie sind purer Pop, und Romy Schneiders tragische Lebensbahn nahm den Kometenschweif von Lady Di vorweg.

Die drei Teile – „Sissi“ (1955), „Sissi, die junge Kaiserin“ (1956), „Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin“ (1957) – waren unglaublich instinktsichere Spielereien aus Zeremoniell und Natur, aus höfischer Enge und der Freiheit der Berge. Lauter kleine Fluchten und große Herzsprünge. Die Märchenkönigin gebietet selbst den Tieren, wenn die Tauben auf dem Markusplatz den Schriftzug „Sissi“ formen, und sogar die Wiesen geben sich Mühe, fotogen zu sein, wenn die jugendliche Romy auf ihnen herumtanzt und Blumen pflückt.

„Sissi“ ist kein Film, sondern Kult. Karlheinz Böhm, der junge Kaiser Franz Joseph aus „Sissi“, sammelte auf Sissi-Fanseiten für seine Afrika-Hilfe, Gothic-Fans feiern Sissi auf ihren Webseiten, sie ist göttlicher Trash weit über das Kino hinaus, und sie überzeugt immer neue Mädchengenerationen davon, wie sehr sie in ihren Poesiealben recht haben gegen die böse Welt.

Flucht nach Frankreich

Romy Schneider hatte auf diese Rolle hingelebt, sie war Sissi, und sie blieb es auf vertrackte Art bis an ihr Ende, denn diese Art von Königinnen sterben immer an gebrochenem Herzen.

Sie dreht in den Sissi-Jahren einen Kostümschinken nach dem anderen, und bald ist es das Zeremoniell des Kostümkinos, aus dem sie ausbrechen möchte. Das Volk murrt, es ist ein unsicherer Kantonist. Es schaut nicht mehr hin.

Sie spielt eine entzückende Lügnerin in „Monpti“ (1957) und in „Die Halbzarte“ (1959) die amoralische Tochter einer amoralischen Theaterfamilie, die sich ein Stück über ein amoralisches 17-jähriges Mädchen aus den Fingern saugt, um damit endlich einen Erfolg zu landen. So weitsichtig war Papas Kino schon damals: „Nichts lesen die Menschen so gern wie die Memoiren einer unmoralischen 17-Jährigen.“ Hätte doch Billy Wilder einen dieser Filme gesehen, diese absoluten Nichtigkeiten in der Meterware, die sie damals verlegten, mit diesem hinreißend frivolen Leuchten im Zentrum – er wäre nie auf die Idee gekommen, 1963 die Rolle der „Irma La Douce“ an Shirley MacLaine zu vergeben.

Dann, 1961, besetzt sie Luchino Visconti für ihre erste Theaterrolle in dem elisabethanischen Inzestdrama „Schade, dass sie eine Hure ist“, und er setzt sie dem wohl aufregendsten Kerl zur Seite, den die Schattenwelt trivialer Mythen nur ausbacken kann, Alain Delon.

Sie zieht zu ihm nach Paris, verlobt sich mit ihm. Sie dreht mit Orson Welles und Otto Preminger für den Film „Der Kardinal“, wird für den Golden Globe nominiert, doch in der Zwischenzeit hat sich Delon von ihr getrennt und sie säbelt an ihren Pulsadern herum. Ende der 60er Jahre steht sie in dem Streifen „Der Swimmingpool“ mit ihm vor der Kamera, da ist sie aber bereits über ihren Kummer hinweg und lässt die Erwartungen der Illustrierten auf ein Liebescomeback ins Leere laufen.

„Synthese aller Frauen“

In den 70ern ist Romy neben Catherine Deneuve der weibliche Star des französischen Kinos. Für die deutschen Jungregisseure verkörpert sie wegen ihrer „Sissi“-Filme „Opas Kino“, das diese abschaffen wollen. In Frankreich reißen sich die Regisseure um sie. In „Das Mädchen und der Kommissar“ unter Claude Sautet, der sich in sie verliebt hat („Sie ist die Synthese aller Frauen“), strahlt sie als Straßenhure, als verführerischer und gleichzeitig unschuldig-reiner Engel der Gosse.

In den Jahren 1973 und 1974 dreht Romy Schneider, die sich inzwischen von ihrem Ehemann Harry Meyen getrennt hat, ungeheure fünf Filme in zehn Monaten, darunter Hits wie „Das wilde Schaf“, „Trio Infernal“, „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ mit Stars wie Michel Piccoli. Sie filmt wie verrückt. Sie filmt, weil ein Leben ohne Drehbuch für sie schwer zu führen ist. Und dieses Leben verdüstert sich. Ihr Ex-Ehemann Harry Meyen, längst ausgezahlt, erhängt sich Ende des Jahrzehnts. Ihr neuer Ehemann Daniel Biasini beutet sie aus. Tatsächlich ist sie hoch verschuldet, denn schon ihr Stiefvater Blatzheim, ein Berliner Immobilienhai, hatte sie um ihre Kinoeinnahmen betrogen.

Sie trinkt. Sie kollabiert. Sie trinkt. Sie spielt. Sie öffnet ihre wunde Seele jedem Illustriertenreporter. Sie flackert. Doch sie dreht weiter und wird für „Die Liebe einer Frau“ mit dem Cesar, dem französischen Oscar, geehrt.

Die 1970er Jahre sind das überschattete Jahrzehnt. Überschattet von der Intensität, mit der Romy Schneider in ihrer Kamerasucht verglüht und im Leben entgleist.

Ihre Interviews zeigen, dass sie sich an den Polit-Sound der Tage gewöhnt hat, irgendwie. Als sie die deutsche Jüdin in „Le Train – Nur ein Hauch von Glück“ spielt, diktiert sie in die Spiralblöcke: „Ich spiele das auch deshalb, um ein Signal zu setzen gegen die Nazi-Typen, die in Deutschland immer noch etwas zu sagen haben.“

Einzigartige deutsche Film-Diva

Sie spielt in der missglückten Verfilmung von Heinrich Bölls „Gruppenbild mit Dame“ als letzten Gruß an ihr deutsches Publikum.

Eine entzündete Niere wird operiert. Ihr Sohn verunglückt tödlich, sie hat Millionen von Steuerschulden. Und mit 43 Jahren ist Romy Schneider am Ende.

Sie wird in ihrem Pariser Apartment tot aufgefunden. Trotz ärztlichen Verbots hatte sie getrunken. Aber gestorben ist sie wohl an einem gebrochenen Herzen, sie, Romy Schneider, die einzige Film-Diva, die das deutsche Nachkriegskino hervorgebracht hat.

Ihr Grab liegt im französischen Dorf Boissy Sans Avoir, und es ist Alain Delon, die erste große Liebe, der in den folgenden Jahrzehnten für den Blumenschmuck darauf sorgt.

• Matthias Matussek war unter anderem von 2005 bis 2008 Leiter des Kulturressorts des „Spiegel“ und später Kolumnist der Tageszeitung „Die Welt“. Zu seinen Büchern gehören „Die vaterlose Gesellschaft“ (1998), „Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können“ (2006) und „Das katholische Abenteuer. Eine Provokation“ (2011).
www.matthias-matussek.de


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