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Königsberg

Ein Leuchtturm der Mathematik-Genies

Absolventen der Albertus-Universität galten als die Mathe-Elite ihrer Zeit, aus der sich wahre Meister des Faches bildeten

Wolfgang Kaufmann
25.07.2024

Lange Zeit fristete die Mathematik an der 1544 gegründeten Albertus-Universität von Königsberg ein eher tristes Schattendasein. Das änderte sich erst 1810, als der begnadete Naturwissenschaftler Friedrich Wilhelm Bessel auf Anregung des preußischen Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt nach Königsberg kam, wo er nicht nur die Sternwarte aufbaute, sondern auch als angewandter Mathematiker von sich reden machte – so beispielsweise durch seine genaue Berechnung der Erdfigur, welche bis zum Aufkommen der Satellitengeodäsie Gültigkeit hatte.

Ihm zur Seite stand ab 1826 Carl Gustav Jacob Jacobi, der in Königsberg ein eigenständiges mathematisch-physikalisches Seminar einrichtete und damit die Ausbildung an der Albertus-Universität reformierte. Bessel und Jacobi hielten beide bis 1843 beziehungsweise 1844 mathematische Vorlesungen, deren Hörer später vielfach zur Elite ihres Faches zählten, weshalb man dann auch bewundernd von der „Königsberger Schule der Mathematik“ sprach. Prominente Angehörige derselben waren unter anderem die gebürtigen Königsberger Friedrich Julius Richelot, Otto Hesse und Johann Georg Rosenhain. Ersterer studierte bis 1831 bei Bessel und Jacobi und avancierte dann 1843 zum Nachfolger von Jacobi. Ebenfalls eine Mathematik-Professur in Königsberg erhielt 1857 der Spezialist für Integralrechnung Rosenhain, nachdem er wegen seiner Beteiligung an der Revolution von 1848 einige Jahre im Ausland verbracht hatte.

Als weitere besonders begabte Schüler des Duos Bessel-Jacobi gelten Karl Wilhelm Borchardt, der zweite Herausgeber des 1826 gegründeten und noch heute existierenden „Journals für die reine und angewandte Mathematik“, der Experte für Kugelflächenfunktionen, Summenfolgen und Kettenbrüche Eduard Heine sowie Philipp Ludwig Ritter von Seidel, dem die Mitentwicklung des Gauß-Seidel-Verfahrens zur näherungsweisen Lösung von linearen Gleichungssystemen gelang. Aufgrund ihrer fachlichen Exzellenz wurden diese Mathematiker in mehrere Akademien der Wissenschaften in Deutschland sowie die Pariser Académie des Sciences und die Russische Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg berufen.

Vordenker der Quentanmechanik und Potentialtheorie
Der Bessel-Jacobi-Schüler Hesse,der zwischen 1840 und 1855 an der Albertus-Universität dozierte und sich mit Analytischer Geometrie und Determinanten befasste, hatte seinerseits etliche prominente Schüler wie Alfred Clebsch und Carl Gottfried Neumann, die ebenfalls beide aus Königsberg stammten und zu den Vordenkern der Quantenmechanik beziehungsweise der Analytischen Mechanik und Potentialtheorie gehörten.

Clebsch, der ab 1868 in Göttingen lehrte, inspirierte dann wiederum Ferdinand Ritter von Lindemann. Diesem gelang 1882 der Beweis für die Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises, die zu den klassischen Problemen der Geometrie zählte. Von 1883 bis 1893 bekleidete von Lindemann eine Mathematik-Professur in Königsberg, wobei er diese erst annahm, als ihm die Universitätsleitung gestattete, seinen hochtalentierten Kollegen Adolf Hurwitz einzustellen. Der jüdische Wissenschaftler hatte aufgrund seiner Herkunft Schwierigkeiten, einen Universitätsposten zu bekommen. Hurwitz beschäftigte sich vor allem mit der Zahlen- und Funktionentheorie und formulierte mehrere nach ihm benannte Formeln oder Sätze wie das Hurwitz-Theorem über Quadratsummen. Arbeiten, die aus dem Jahre 1907 stammen.

Albert Einstein als späterer Schüler von Hermann Minkowski
Zu den genialen Mathematikern, deren wissenschaftliche Laufbahn untrennbar mit Königsberg verbunden war, zählten des Weiteren David Hilbert und Hermann Minkowski. Letzterer entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die 1872 aus dem Russischen Reich nach Königsberg emigriert war. Er studierte ab 1880 an der dortigen Universität und promovierte 1885 bei von Lindemann. Minkowski lehrte ab 1895 am Polytechnikum in Zürich, wo Albert Einstein zu seinen Schülern zählte. Dieser verwendete die richtungsweisenden Ideen Minkowskis, der 1909 im Alter von nur 44 Jahren an einem Blinddarmdurchbruch starb, zum vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum später in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie.

23 ungelöste Mathe-Probleme – acht sind bis heute rätselhaft
Der gebürtige Königsberger Hilbert wiederum gilt als ein noch bedeutenderer Mathematiker als Minkowski, mit dem er gemeinsam studierte. Hilbert übernahm 1893 von Lindemanns Lehrstuhl an der Albertus-Universität und hatte diesen bis 1895 inne. Dann wechselte er auf Betreiben des preußischen Kultusministeriums nach Göttingen. Hilbert erstellte im Jahre 1900 eine spektakuläre Liste von 23 ungelösten Problemen der Mathematik, die ganze Generationen seiner Fachkollegen inspirierte. Acht der Probleme blieben bis heute ungelöst.

Der Umstand, dass derart viele berühmte Mathematiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht nur in Königsberg studiert oder dort eine Professur bekleidet hatten, sondern auch direkt aus der Stadt am Pregel stammten, bewog den Wissenschaftshistoriker und Mathematiker Felix Klein im Jahre 1926 zu der Feststellung, dass „die ostpreußische Rasse mit besonderer Begabung in der Richtung unserer Wissenschaft gesegnet zu sein scheint“. Bei der großen Anzahl an mathematischen Genies drängt sich diese Schlussfolgerung tatsächlich auf.


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