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Vor 200 Jahren traf Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ den Nerv der Zeit
Carl Maria von Weber wird ganz selbstverständlich mit Dresden verbunden, wo er von 1817 bis zu seinem Tode 1826 als Musikdirektor die für ihn eingerichtete deutsche Abteilung der Königlichen Oper leitete. Aber sein berühmtestes Werk, „Der Freischütz“, wurde nicht zuerst in Dresden aufgeführt, sondern vor 200 Jahren in Berlin, am 18. Juni 1821.
Diese Premiere ist eine der denkwürdigsten in der deutschen Musikgeschichte. Sie wurde bewusst als Demonstration verstanden gegen Gaspare Spontini und damit gegen König Friedrich Wilhelm III., der mit einem Machtwort jede öffentliche Kritik an seinem 1820 berufenen Generalmusikdirektor und bevorzugten Komponisten verboten hatte. Am 24. Mai 1821 konnte daher Spontini einen glänzenden Triumph mit „Olimpia“ feiern, der in ganz Europa Aufsehen erregte.
Er hatte während 40 Proben als Dirigent und Regisseur in Zusammenarbeit mit Friedrich Schinkel, dem außergewöhnlichen Bühnenbildner, ein Modell des musikalisch-dramatischen Gesamtkunstwerkes entworfen, wie er es sich vorstellte. Das ursprünglich französische Libretto übertrug der Königsberger Dichter und Komponist E.T.A. Hoffmann in deutsche Verse.
Das war nicht das einzig Deutsche an diesem heroischen Drama für Musik. Spontini begriff sich als Erbe Christoph Willibald von Glucks, dem radikalen Reformator der Oper, und er bewunderte den Musikdramatiker Mozart, vor allem dessen „Don Giovanni“. Das verband ihn mit E.T.A. Hoffmann, der mit lebhafter Begeisterung in dem Italiener den Sachwalter bester, auch von Deutschen geformter, Traditionen wahrhaft klassischer Kunst achtete. Über den „Freischütz“ drei Wochen später schwieg er beharrlich.
Spontinis Waterloo
Die ehrgeizigen Anhänger Webers wollten den Erfolg Spontinis übertreffen. Das ging nicht in der Königlichen Oper Unter den Linden. „Der Freischütz“ war die erste Oper, die in dem von Schinkel am Gendarmenmarkt neu errichteten und am 26. Mai 1821 eröffneten Schauspielhaus – heute das Konzerthaus – aufgeführt wurde. Seit Wochen schürten junge Literaten eine aufgeregte Stimmung. Am Abend des 18. Juni kam es zu einem fast chaotischen Gedränge, bei dem festliche Kleider einigen Schaden nahmen und manche Besucher kleine Quetschungen davontrugen. Der erwartungsfrohe Lärm im überfüllten Haus erreichte ungeahnte Ausmaße, als Weber vor dem Orchester erschien und drei Mal vor den Ovationen kapitulierte, bis er endlich eine allgemeine, feierliche Ruhe erzwang.
Die Ouvertüre überwältigte selbst die Skeptiker im Publikum, das stürmisch deren Wiederholung verlangte sowie im Laufe der Vorstellung auch von 14 der 17 Musiknummern. Gedichte und Kränze wurden den Komponisten zugeworfen, den der „unglaublichste Enthusiasmus“ überglücklich machte und anschließend im Gasthaus Jagor seinen vollständigen Sieg mit seinen Anhängern feierten.
Am 18. Juni 1821 jährte sich zum sechsten Mal die Niederlage Napoleons bei Waterloo oder Belle Alliance, wie die Preußen sagen. Spontini war von Napoleon zuvor in Paris zu einem Alleinherrscher im Reich der Oper erhoben worden. Als Repräsentant der überwundenen Despotie sollte ihm in Berlin sein Waterloo bereitet und, ungeachtet aller königlichen Vertrauensbeweise, die deutsche Kunst und Musik endlich von drückender Fremdherrschaft befreit werden.
Weber hatte mit dem Liederzyklus „Leier und Schwert“ zu Gedichten des 1813 gefallenen und wegen seiner Jugend, Schönheit und Genialität sofort zum Nationalhelden erhobenen Theodor Körner die Herzen aller Patrioten für sich eingenommen. Die Tänze, Lieder, Chöre und Arien im „Freischütz“ wurden sofort von den Begeisterten als wahrhaft deutsch empfunden und deshalb populär. Sie erlaubten es, wie es von nun an immer wieder hieß, dass unter den Stimmen der Völker auch die deutsche gebührende Anerkennung und Aufmerksamkeit fand. „Der Freischütz“ verhalf von Berlin aus über Dresden, Prag, München und Wien allen Deutschen zu einer Idee von deutscher Seele oder eines deutschen Volksgeistes, sodass sie im Reich der Musik ihr gemeinsames Vaterland entdeckten.
Großes Lob von Hector Berlioz
Darin äußerte sich keineswegs ein bornierter Nationalismus, sondern ein unter Romantikern in ganz Europa verbreiteter Humanismus, der nicht nach Einförmigkeit und Gleichheit strebte, dem Ziel pedantischer und revolutionärer Aufklärer. Sondern es ging um Vielfalt und Eigenart, um dem abstrakten Menschen den wirklichen und konkreten gegenüberzustellen, wie er als Italiener, Franzose oder Deutscher auftrat. Nur alle Menschen machen die Menschheit aus. Deshalb ist das Studium der Menschheit der unerschöpfliche Mensch, wie er in mannigfachsten Gestalten und Völkern erscheint. Daran erinnerte Goethe beharrlich.
Die Musik galt den Romantikern als die allgemeine Sprache, die gefühlsmäßig jeder versteht. Aber jede Sprache lebt aus der lebendigen Fülle ihrer Dialekte und Sonderformen. Die Musik müsse daher unweigerlich ihre natürliche Kraft und ihre ureigene Lebendigkeit einbüßen, sobald sie genötigt werde, sich einem kosmopolitischen Jargon anzupassen.
Hector Berlioz, der französische Romantiker, nahm sich Weber und dessen „Freischütz“ zum Vorbild, weil dieser mit alltäglichen Personen, deren Gefühlen und Sitten, für die Musik eine ganz neue Poesie voller Gegensätze und Leidenschaften erschlossen habe, die nur in der Wirklichkeit aufgespürt werden könne und erstaunlichste Wunder der Erfindung ermögliche. Er würdigte in Weber den deutschen Meister, der mit seiner Umwelt vertraut war und den Deutschen die Geheimnisse ihrer Natur eröffnete, deren sie sich kaum bewusst waren.
Wenn Berlioz von Natur sprach, redete er vom Menschen und im Zusammenhang mit Weber vom deutschen Menschen. Er verlor nie den Realisten aus dem Auge, den Dramatiker, der auf die Menschen, wie sie sind, hören und achten muss, um ein Publikum, sein Volk, für seine Geschichten gewinnen zu können.
„Hauptperson ist der Wald“
Von Richard Wagner an bis zu Hans Pfitzner wurde „Der Freischütz“ allerdings zum Stück deutscher Waldromantik stilisiert. „Die Hauptperson ist sozusagen der Wald“, schrieb Pfitzner. Die Geschicke der Menschen spielen im Vergleich zur Natur eine untergeordnete Rolle als bloße Staffage in der Landschaft.
Solche für einen Musikdramatiker wie Pfitzner erstaunliches Urteil führten zu dem Klischee von Weber als dem unmittelbar Naiven, der sich Stimmungen der Natur hingab und von denen überströmt, seiner selbst kaum mehr bewusst, das Lied zum Klingen bringt, das in allen Dingen schlummert. Der Wald rückt allein in der Wolfsschlucht in den Mittelpunkt. Aber selbst in dieser Szene sind schreckliche Phänomene und Gespenster insgesamt wichtiger als Bäume, weil übernatürliche Mächte in die Natur eingreifen und diese mit ihrem schrecklichen Treiben vollständig durcheinanderbringen.
Der Jäger Max hält sich viel im Walde auf, schließlich will er Förster werden. Die Oper ist ein bürgerliches Drama am konkreten Ort – dem Wirtshaus am Waldesrand, dem Försterhaus und einem Festplatz mit konkreten Menschen: Bauern, Förster, Jäger, einem Fürsten und Bürgertöchtern. Die Liebe ist mit praktischen Zwecken verbunden, weil Agathe ihrem Max die Aussicht auf die Nachfolge in der väterlichen Erbförsterei verheißt.
Die Handlungen ereignen sich in Böhmen nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach einer chaotischen Zeit ähnlich der gerade vergangenen zwei Jahrzehnte mit Umsturz und französischer Besetzung. Die Böhmen hatten noch gegen Ende der Kriege die Schweden als Plage erlebt. Sie machten sich daran, ihre gestörte Ordnung wiederherzustellen. Ein fürstlicher Herr und dessen Beamter, der Erbförster, veranschaulichen die ländlichen Autoritäten, die es den Bauern erlauben, in sicheren Verhältnissen zu arbeiten und sich beim Tanz des Lebens zu erfreuen. Ein Eremit verkündet die frohe Botschaft, dass Gott der Herr der Geschichte ist und in sie rettend und befreiend eingreift.
Es ist die Welt nach dem Wiener Kongress, die im historischen Kostüm behandelt wird. Die Geschichte war gerade in der jüngsten Vergangenheit entdeckt worden, nicht zuletzt als Kampf zwischen guten und bösen Mächten. Die Wirklichkeit ist das Reich Gottes, wie der mit Weber gut bekannte Schriftsteller Matthäus von Collin bemerkte, immer gefährdet durch unheimliche Kräfte, deren Macht jedoch zu Nichte wird am göttlichen Willen.
Sozialistische Umdeutung
Davon handelten zahllose Zauber- und Märchenspiele vor allem des Wiener Volkstheaters, die auch in Dresden oder Leipzig verschlungen wurden. Wunder und Schrecken unterrichteten darüber, dass jede Ordnung unsicher und auf die Natur kein Verlass ist. Darin äußert sich keine Naivität, sondern eine weltkluge Skepsis, wie sie in Wien und im Deutschen Bund nach 1815 in den bürgerlich-adligen Kreisen weitverbreitet war.
Sie ließ sich durchaus mit dem Sozialismus vereinen. Zur Eröffnung der wiederaufgebauten – nun nach Gottfried Semper benannten – Staatsoper wurde am 13. Februar 1985 der „Freischütz“ aufgeführt. Am 24. August 1944 war das die letzte Oper im unzerstörten Haus. Auferstanden aus Ruinen erinnerte das neue/alte Haus mit dieser Oper an Untergänge und neuen Aufbruch. Die bürgerliche Welt des „Freischütz“ war verschwunden. Doch das Volk, seine Kunst und die Musik, die vom deutschen Geist kündeten, hatten überlebt. Auf einer späteren Stufe der historischen Entwicklung konnten deshalb der „Freischütz“ und andere Dramen weiter wirken.