Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Schriftsteller, Dramatiker, Lyriker, Librettist und Mitbegründer der Salzburger Festspiele kam vor 150 Jahren in Wien zur Welt
Ich bin vielleicht durch diese Freundschaft zu mir selbst gekommen“, notierte sich 1928 Hugo von Hofmannsthal, am 1. Februar 1874 geboren, in Erinnerung an seinen besten, unersetzlichen Freund Eberhard von Bodenhausen, zehn Jahre zuvor gestorben. Sie hatten sich 1897 kennengelernt. „Ein sittlich hohes Individuum schafft neue Bindungen und in unkonventionellen Bahnen. Von ihm aus war ein anderes Deutschland da.“ Bis dahin hatte Hofmannsthal vorzugsweise mit Österreichern und Süddeutschen verkehrt. Bodenhausen war der erste Norddeutsche und Preuße, der in sein Leben trat und ihn hineinzog in, abgesehen von Berlin, ganz ferne, fast exotische Gebiete, die doch auch ein Teil Deutschlands und der gemeinsamen Kulturnation waren. Bodenhausen wurde für ihn zum Inbegriff des preußischen Aristokraten, vornehm vom Scheitel bis zur Sohle, auf seine Ehre bedacht und daher mit zartester Empfindlichkeit begabt für die feinsten Nuancen der Unehrenhaftigkeit.
Diese Tugend bewahrte Bodenhausen im Umgang mit anderen, auf deren Ehre achtend, aber jeden, der den sittlichen Anstand verletzte, schroff wie einen Schuft behandelnd. Er war immer tätig und tüchtig in allem, was er tat. Der Standesherr, der adeliges Landleben schätzte, der Schöngeist, der guten Geschmack und Wissenschaftlichkeit zu verbinden wusste, wurde Industrieller und zuletzt leitender Direktor bei Krupp, ein Fachmann unter Fachmännern, ein Politiker mit Politikern, ein Künstler und Gelehrter zusammen mit Künstlern und Gelehrten. „Der eigentliche Weltmann fehlte, aber es war ein Mann von großer Welt da.“
Für Hofmannsthal war er der Idealtyp des Preußen und eines möglichen neuen Adels in einer unter dem Druck des Geldes und des Erfolgsstrebens sich rapide vulgarisierenden bürgerlichen Gesellschaft. Der im Mai 1918 verstorbene Bodenhausen brauchte den Übergang in „die Schwindelwelt“ nach dem Kriege nicht mehr zu erleben, in der Hofmannsthal sich kaum noch zurechtfand, als sein Vaterland beseitigt worden war und das Deutsche Reich zu keiner Ordnung mehr fand, nicht zuletzt, weil ihm die Preußen ausgingen, die – wie Bodenhausen – ein unerschütterliches Zutrauen in die geistigen Möglichkeiten der Nation hatten, ohne aber ihre Geringschätzung des schon in der Kaiserzeit fragwürdigen öffentlichen Stils zu verbergen.
Bodenhausen war der Erste
Neben Bodenhausen kamen Graf Harry Kessler hinzu, Rudolf Alexander Schroeder und viele andere, vor allem Rudolf Borchardt, aus Königsberg stammend, ein Dichter, Philologe und Sprachvirtuose, der seinerseits über Hofmannsthal mit Österreich vertraut gemacht wurde. Borchardt wies ihn auf den großen Kulturhistoriker Konrad Burdach hin, ebenfalls ein Königsberger, indessen Professor in Berlin. In Königsberg lehrte Joseph Nadler, aus Böhmen gebürtig und damit Österreicher, dessen Literaturgeschichte des deutschen Volkes Hofmannsthal und seine Freunde begeisterte, weil in ihr tatsächlich das Volk in seiner Mannigfaltigkeit aufgrund der verschiedenen Stämme und besonderen Kulturlandschaften als eine geistige Gestalt erkennbar wurde.
Nadler war der Entdecker der unterschätzten bayerisch-österreichischen Literatur und zugleich der Kulturhistoriker Ostpreußens, der eindringlich die besondere Mentalität und ihre Ausdrucksformen im hohen, den Deutschen oft recht entrückten, Norden zu vergegenwärtigen vermochte. Es gab immer Königsberger und Wiener Berührungen, über die Hofmannsthal Bescheid wusste, der Einfluss Immanuel Kants, Johann Georg Hamanns und E. T. A. Hoffmanns oder des Dramatikers Zacharias Werner, der sich zur katholischen Kirche bekehrte, nach Wien übersiedelte und dort ab 1814 mit seiner Beredsamkeit katholischen Christen die Schönheiten ihres Glaubens auf fast erschütternde Weise von der Routine des Alltags befreite.
Der Königsberger Otto Nicolai, der Komponist der „Lustigen Weiber von Windsor“, kam von Italien aus 1841 nach Wien und gründete dort mit den Philharmonischen Konzerten die Wiener Philharmoniker. Karl Haffner, ein weiterer Königsberger, verfasste das Textbuch zur „Fledermaus“ von Johann Strauß, und Richard Genée aus dem westpreußischen Danzig arbeitete mit allen wichtigen Meistern der Operette zusammen und verlieh dem Wiener Gemüt Worte, denen die Musik ihre Seele einhauchte und mit ihr den unverwechselbaren Wiener Geist.
Im Krieg war es der von Hofmannsthal geschätzte Wiener Architekt Joseph Hoffmann, der sich an der gesamtdeutschen Aufgabe beteiligte, die von Russen 1914 in Ostpreußen zerstörten Ortschaften wiederaufzubauen, und zwar in historisierenden, landschaftsgebundenen Stilen, die alle zusammen einen Eindruck von einem gemeinsamen Kunstwollen vermitteln sollten, das ebenso zeitgemäß wie deutsch war. Kurzum, Preußen, Land, Leute und Staat, blieb ununterbrochen ein Thema für Hofmannsthal. Er verstand sich als Österreicher, aber Österreich begriff er als einen besonderen Auftrag, der dem deutschen Geist in Europa gestellt worden war, weite Räume entlang der Donau, der Verbindung zwischen Okzident und Orient, kulturell zu durchdringen, die dort siedelnden Völkern in lebhaften Austausch mit Mitteleuropa zu versetzen und Preußen wie Österreich als den führenden Mächten in Mitteleuropa einen weiten Hintergrund zu verschaffen und sie vor nationaler Verengung zu bewahren.
Mitteleuropäische Sendung
Es bekümmerte ihn, dass die Reichsdeutschen von Österreich wenig wussten und mit ihrer Neugierde nach Italien oder Spanien, Japan und China ausschweiften, aber sich nie den Kopf zerbrachen über Böhmen, Tiroler, Steirer, Slowenen oder Ungarn und Kroaten, mit denen sie in einem gemeinsamen Kulturraum zusammenlebten, den sie einfach hinnahmen, ohne ihn als geistige Herausforderung aufzufassen. Für Hofmannsthal gab es nichts Selbstverständliches, da in der dauernd bewegten Geschichte jede feste Form wieder aufgelöst werden kann und nichts Bestand hat.
Als Österreicher konnte er nicht ganz vergangene Gestalten und Lebensformen als überlebte abtun und fernhalten von der beunruhigten Seele. Denn er blieb davon überzeugt, dass die Romanisierung und Christianisierung, der Einfall von Germanen und Slawen während und nach der Spätantike das Römische Reich der Franken und dann der Deutschen, die europäische Stellung der casa de Austria, des spanisch-deutschen Hauses Österreich, endlich der Zusammenbruch des Alten Reiches und die Debatten über klein- und großdeutsch im 19. Jahrhundert, Spuren hinterlassen hatten und mancherlei Spannungen wachhielten, die auch weiterhin für Unruhe sorgen.
Wenn er über Österreich sprach, musste er zugleich über Preußen reden, da beide Staaten gleichsam idealtypische Formen der „Deutschheit“ ermöglichten. Diese Deutschheit, die Nation als Kulturnation und als Sprachraum, getragen von einer deutschen Bewegung wie zur Goethezeit, bei allen politischen Zusammenbrüchen wenigstens die kulturelle Einigkeit zu erhalten, sollten alle Deutschen als Verpflichtung erachten und ihr als einander vereinigenden Idee dienen.
Den Großen Krieg seit 1914 fasste er deshalb als vaterländischen Krieg auf, in dem es zwar auch um Macht und politische Ordnungsvorstellungen ging, der aber vor allem als umfassender Kulturkampf geführt werden musste, weil mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich alle Hoffnungen verbunden seien, endlich herauszufinden aus den politisch-soziologischen Abstraktionen, die dem Parteienegoismus im Wirtschaftsstaat zu Grunde liegen und Europa in Verwirrung und den Krieg stürzten.
Von Mitteleuropa muss mit Ordnung und Gesetz die Willkür im Namen der Freiheiten domestiziert werden, die dem Geld zu seiner absoluten Macht verhalfen und jede geistige Autorität bis hinauf zu Gott, Recht und Gerechtigkeit um ihre Substanz brachten. Der Dichter kämpfte als geistiger Soldat nicht für Eroberung, sondern für die Weltentfaltung bestimmter Ideen, für die geistige Durchdringung Europas aufgrund des Erbes in Übereinstimmung mit einer langen Geschichte, gegen die wortgewaltige Ideologen rebellierten, die den konkreten Menschen ihre Geschichte und Gegenwart raubten, um sie ganz auf eine Zukunft zu verweisen, die sie entwerfen und gestalten.
Führen statt verführen
Hofmannsthal scheute nicht davor zurück, geistige Führerschaft für sich, seine Freunde und für all jene zu beanspruchen, die den politischen Phrasen misstrauen, weil sie verführen, aber nicht zur Klarheit führen und geistiger Disziplin. Nur wer sich selbst beherrschen kann, ist berechtigt zu herrschen, also Ideen und Tugenden wieder die Autorität zu verleihen, die eine stabile Ordnung schaffen, auf die jeder Frieden angewiesen ist. Mit dem romantischen Dichter und Denker Novalis stimmte er darin überein, dass Deutschheit Kosmopolitismus mit der kräftigsten Individualität ist. Deutsche haben nie für sich allein gelebt, sondern immer in enger Verbindung mit anderen Völkern und Sprachen, deren Wert und Ehre sie anerkannten, kräftigste Individualität fördernd, weil selbst immer bemüht, den Spielraum eigener Individualität zu erweitern. Österreich ist ein Europa im kleinen, Mitteleuropa, der von Preußen und Österreich gehegte Kulturraum, gibt eine Ahnung von einem Europa, geschart um geistige Verbindlichkeiten, die im Alltag und der Praxis jeweils nach den Gegebenheiten die Wirklichkeiten vor Verwirrung schützen.
Die Deutschen musste er, gerade nach der Katastrophe Österreichs und während ihrer aufgeregten Ratlosigkeit in einem friedlosen Zustand ab 1919, an ihre universale, übernationale und wahrhaft europäische Geschichte erinnern, den Österreichern hingegen wollte er Mut machen, nicht zu verzagen. Denn ihnen bleibt in ihren kleinen Heimaten doch das Schrifttum, der geistige Raum der Nation, zu der sie gehören, von deren Reichtum sie zehren und den sie weiter vermehren können. Er hoffte ein sanfter Erzieher sein zu können, aber im Lärm der aufgeregten Zeit ging seine Stimme unter.
Heute ist er vergessen oder wurde als Reaktionär und Präfaschist verdächtig gemacht. An die Nation als Kulturnation, an Größe und Ruhm Preußens sowie Österreichs, an Mitteleuropa als ganz eigenen, historisch politischen Raum darf gar nicht mehr gedacht werden. In der Mitte Europas liegen Trümmer, ansonsten ist es dort wüst und leer trotz emsiger Betriebsamkeit. Wie will Europa unter solchen Bedingungen, dem Verlust seiner Mitte, je wieder zu einer lebendigen, Geist und Phantasie beflügelnden Kraft werden? Es wäre nicht vergeblich, Hofmannsthal wieder zu entdecken, aber Deutsche verscharren lieber ihre Geschichte, als dass sie sich von ihr herausfordern lassen.
sitra achra am 02.02.24, 16:10 Uhr
Zwei wertvolle Kulturräume sind der Welt verlorengegangen, weil sie dem nihilistischen Kapitalismus im Weg standen. Jetzt leben die Völker Europas im US-geprägten Bordell. Es scheint aber, dass sie sich darin wohlfühlen, denn sie äffen ihre Besatzer in allen Verspanntheiten und Verkommenheiten akribisch nach.
Sie werden nicht gewahr, dass die vermeintliche Demokratie nur ein Etikett darstellt, hinter dem sich die totale Unterwerfung unter ein zutiefst inhumanes System verbirgt, s. WEF.
Die Demokratie wäre erst noch zu erlernen, nachdem man die Fremdherrschaft abgeschüttelt hat. Aber wird es jemals dazu kommen? Jedenfalls herzlichen Dank für diesen wundervollen Artikel, Eberhard Straub!