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Ein Ort, der will

In Saarau und Umgebung motivieren Hobbyhistoriker die Bevölkerung, ihre Heimat kennenzulernen und zu gestalten

Chris W. Wagner
21.06.2021

Als Regal, in dem man Geschichte stapelt – so könnte man das „Erinnerungsregal“ (regał pamięci) in der Bibliothek der niederschlesischen Gemeinde Saarau [Żarów] bezeichnen. Das Regal ist mit Schubladen bestückt, in denen historische Zeitungen, Fotos, Urkunden oder historische Werbung zu finden sind. „Das Erinnerungsregal ist wie ein Archiv, aus dem sich die Saarauer bedienen können“, so Bibliotheksleiterin Agnieszka Mikoś.

Saarau im Kreis Schweidnitz [Świdnica] liegt an der Eisenbahnlinie Breslau-Freiburg in Schlesien-Schweidnitz [Świebodzice]. Einst war Saarau für seine Schamottefabriken und Brikettherstellung bekannt, heute steht der Ort touristisch und kulturell im Schatten des nahen Schweidnitz' mit seiner Friedenskirche.

Geschichte zum Anfassen

„Mit Saarau zu einem Orte verwachsen, aber zu Laasan [Łażany], Kreis Striegau (Strzegom], gehörig, ist der angrenzende Fabrikbezirk Ida- und Marienhütte. Hier steht die Maschinenfabrik von C. Kulmiz, des Begründers der hiesigen Industrie. Sie liefert besonders Wasserhebe- und Fördermaschinen für Bergwerke. Großartig sind die chemischen Fabriken der Aktiengesellschaft ;Silesia' (...) Saarau ist auch der Marktort der Umgebung und hat eine evangelische und katholische Schule“, schrieb 1904 der Lehrer und Heimatkundler Adolf Wasner im Blatt „Stadt- und Landkreis Schweidnitz“. Heute machen sich junge Polen, Nachkommen der Nachkriegssiedler für ihren Heimatort stark. Doch das das nicht ohne die Hilfe deutscher Quellen und Zeitzeugenerinnerungen funktionieren kann, liegt nahe.

Ausgangspunkt für Tomasz Nycz von der Stiftung Initiative B (Inicjatywa B) war der bloße Wunsch, die Einwohner der Gemeinde Saarau zu aktivieren. Durch die Pandemie und den allgemeinen Stillstand noch befeuert, will er umso mehr die Menschen aus ihren Häusern locken. In großen Metropolen ist es einfacher, weil das Angebot da ist, auf dem Lande müsse man um jeden Einzelnen kämpfen, weiß der gebürtige Saarauer im Radio Breslau zu berichten.

Unabhängigkeit und Mithilfe

Seit 20 Jahren engagiert sich Nycz in diesem Sinne. 2014 gründete er die Stiftung (inicjatywab.pl), weil er unabhängig agieren wollte. Es ist eben nicht damit getan, Gelder in Projekte hineinzupumpen, auf die Mitwirkung der Einwohner kommt es an. Wenn Einwohner mitreden und anpacken, entstehe ein Gut, dass später auch von den Einwohnern gepflegt werde, so seine Devise. Zuletzt hatte er zu Aufräumarbeiten aufgerufen.

Eine kleine Parkanlage entsteht im Ort, die den Namen Carl von Kulmiz (1809-1847), eines Saarauer Vorwerkbesitzers, tragen wird, der eine Schamottefabrik, eine Ziegelei, einen Steinbruch und ein Sägewerk in Saarau besaß. Carl von Kulmiz entdeckte im Raum zwischen Breslau und Waldenburg ein Schwefelkieslager und gründete daraufhin die Kommanditgesellschaft „Silesia“, die erste große chemische Fabrik Schlesiens, in der Schwefelsäure, Glaubersalz, Soda und Chlorkalk hergestellt wurden. Von Kulmiz war zudem Gründer einer Eisen- und Gießhütte sowie einer Maschinenbaufabrik. Die Breslau-Freiburger Eisenbahn verdankt von Kulmiz ihre Entstehung. Vielleicht schätzt Nycz die Umtriebigkeit des preußischen Adligen deshalb, weil er selbst einen guten Geschäftssinn hat. Er würde alle seine Vorhaben professionell angehen, medial verkaufen und gut Gelder organisieren, sagt einer seiner Mitstreiter, Maciej Wabik. So hat Nycz für die Aufräumarbeiten bereits Senioren und Jugendliche aktiviert und Sponsoren für Gartengeräte gefunden. Gerade organisiert er die Aktion „Park 51“. Hier sollen 51 Baumarten aus aller Welt für den Saarauer Park von den Einwohnern Saaraus gepflanzt und gepflegt werden.

Die schönste Nebensache der Welt

Nycz motivierte die Saarauer auch dazu, einen digitalen Spazierplan zu erstellen. Dieser soll zu Orten und Sehenswürdigkeiten führen, die die Einwohner empfehlen. Am 12. Juni eröffnete die Stiftung eine Freilichtausstellung zum 75. Jubiläum der Saarauer Fußballgeschichte. Hieran merkt man, dass die Stiftung in mancher Hinsicht noch Nachholbedarf hat, wenn es darum geht, die deutsche und die polnische Geschichte als Ganzes zu betrachten: Der SV Saarau war vor Kriegsbeginn sehr erfolgreich.

Eine Geschichtskontinuität im Ort wollen auch Maciej Wabik und Krzysztof Bawolski schaffen. Sie sind zwar „Zugereiste“, aber durch die Heirat in Saarau heimisch geworden. Sie haben sich im Verein Labiryntarium (labiryntarium.pl) ausschließlich der Heimatkunde gewidmet. Ihre Motivation ist es, zu lernen und ihr Wissen mit den Einwohnern zu teilen. Nachdem sie in Saarau eine Heimatstube eingerichtet hatten, folgte ein virtuelles Museum, eine Internetseite mit historischen Informationen – auch zu den umliegenden Ortschaften. Ihr Erinnerungsregal in der Bibliothek wird vor allem von Menschen aufgesucht, die Historisches zum Anfassen lieben. Dabei möchten die Initiatoren Mäuschen spielen und den Geschichten lauschen, die die Exponate bei den Betrachtern wachrufen.


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