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Alpinistik

Ein Schornsteinfeger in den Bergen

Fritz Eskes Tod in der Eiger-Nordwand beendete auch die Förderung des Bergsports in der DDR

Wolfgang Kaufmann
15.06.2024

Als der Landwirtssohn Fritz Eske am 19. Mai 1935 in dem kleinen ostpreußischen Dorf Jodszunen unweit von Gumbinnen das Licht der Welt erblickte, ahnte niemand, dass er 30 Jahre später zu den besten Bergsteigern der Welt zählen würde.

Zum Kriegsende verschlug es seine Familie nach Meißen bei Dresden, wo Eske den Schornsteinfegerberuf erlernte und als Turner erste sportliche Lorbeeren erntete. Dann begann er 1953 mit dem Klettern in der Sächsischen Schweiz. Drei Jahre darauf tat Eske das, was damals auch rund 80 Prozent der anderen Bergenthusiasten in der jungen DDR taten: Er wechselte in die Bundesrepublik, um leichteren Zugang zu den Alpen und weiteren Hochgebirgen der Welt zu haben. Allerdings hielt es Eske nur einige Monate im Westen, dann kehrte er in die DDR zurück. Dort wurde ihm wenig später eine Leitungsposition im Deutschen Verband für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf (DWBO) übertragen. Anschließend machte Eske durch äußerst schwierige Neutouren in der Sächsischen und Böhmischen Schweiz von sich reden. Dazu gehörten der Herbstweg am Freien Turm, die Nischenkante am Heringstein, der Dresdner Weg am Kastenturm und die Königshangel am Frienstein.

Ergründete schwierige Neutouren
Letzterer Aufstieg schien nachgerade unmöglich. Deshalb hatten andere Anwärter es vorher mit unkonventionellen Methoden wie einer menschlichen Pyramide aus „Kunstkraftsportlern“ versucht, die den Vorsteiger in die Höhe heben sollte. Eske, dessen Energie legendär war, überwand die stark überhängende Hangelrippe am 12. August 1965 ohne derartige Tricks. Damit eröffnete er die erste Route im neunten Grad im Elbsandsteingebirge, die erst 17 Jahre später von der sächsischen Bergsportlegende Bernd Arnold wiederholt wurde.

Als er die Königshangel bezwang, war Eske bereits Meister des Sports und zum Vorsitzenden der Zentralen Fachkommission Alpinistik des DWBO avanciert. Außerdem gehörte er der Nationalmannschaft Alpinistik der DDR an, was den bisherigen Schornsteinfegermeister quasi zum Profisportler machte. Dass sich die finanziell schwach aufgestellte DDR eine eigene Nationalmannschaft fürs Bergsteigen leistete, resultierte aus einem Brief an Staats- und Parteichef Walter Ulbricht vom 13. Februar 1960. Darin hatten Eske und andere Spitzenkletterer wie Herbert Richter gefragt, warum die Bergsportler der DDR keine Möglichkeit hätten, ihr sozialistisches Heimatland durch international bedeutsame Erfolge zu repräsentieren.

Die Ziele der Nationalmannschaft waren von Anfang an hoch gesteckt: Bis 1972 sollten in allen Hochgebirgen der Erde schwere Touren durchgeführt werden. Den Anfang machten Besteigungen im zur Sowjetunion gehörenden Kaukasus und den Julischen Alpen in Jugoslawien. Eske nahm an den meisten wichtigen Unternehmungen teil. Dazu gehörten Winterbegehungen der mächtigen Nordwände des Triglav, Spik und Travnik, welche die Bergsteigerszene stark beeindruckten.

Die drei großen Probleme der Alpen
Dem folgte im Sommer 1967 der nächste Paukenschlag: Gemeinsam mit Günther Kalkbrenner aus Dresden, Günter Warmuth aus Heidenau und Kurt Richter aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) kämpfte sich Eske am 15. und 16. Juli 1967 die 1200 Meter hohe, seinerzeit zu den „drei großen Problemen der Alpen“ zählende Nordwand des Matterhorns hinauf. Danach fühlten sich die Vier auch für die noch berüchtigtere Eiger-Nordwand in den Berner Alpen gerüstet.
Während der Trainer der Nationalmannschaft Karl Däweritz und der Ersatzmann Helfried Hering im Tal zurückblieben, stieg die Gruppe um Eske am 21. Juli 1967 in die 1800 Meter hohe sogenannte „Mordwand“ ein. Diese war erstmals im Juli 1938 von einer altreichsdeutsch-österreichischen Seilschaft nach mehreren tragischen Unfällen mit neun Toten bezwungen worden. Und nun sollte sie auch den vier DDR-Spitzenbergsteigern zum Verhängnis werden. Bei schönstem Wetter erreichte das Quartett den sogenannten Schwierigen Riß im unteren Wanddrittel. Dann zogen Wolken auf, sodass Däweritz und Hering den Sichtkontakt verloren. Abends suchten die beiden in der Wand nach ihren Kameraden, wurden aber nicht fündig. Am nächsten Tag mussten sie erfahren, dass andere Bergsteiger drei Tote am Zerschrundenen Pfeiler entdeckten hatten – dabei handelte es sich um Eske, Richter und Warmuth. Kalkbrenner blieb zunächst verschollen, bis tschechische Alpinisten zehn Tage später auch auf seine Leiche stießen.

Der offiziellen DDR-Version zufolge kamen die Mitglieder der Nationalmannschaft des „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ durch den für die Eiger-Nordwand typischen Steinschlag ums Leben. Dahingegen vermutete Hering, dass sich ein Sicherungshaken gelöst hatte, an dem alle vier hingen. Auf jeden Fall geriet das Unglück zur Zäsur für das DDR-Bergsteigen: Weitere Unternehmungen in den Alpen wurden sofort abgeblasen und am 19. März 1969 beschlossen das Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und die Führung des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR ganz offiziell, nur noch solche Sportarten zu fördern, in denen olympische Medaillen winkten.


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