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Leistete Kronprinz Wilhelm „erheblichen“ Vorschub für das NS-Regime? – Historikerstreit um diese Frage
Ein deutsches Laster ist es, im Übermaß entweder geschichtsbesessen oder geschichtsvergessen zu sein.“ So der frühere Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Hans Ottomeyer, im zweiten hier vorgestellten Band „Die Hohenzollerndebatte“. Das kennzeichnet ganz gut die derzeit viel zitierte Hohenzollerndebatte. Hier haben sich juristische, geschichtswissenschaftliche und kulturpolitische Aspekte zu einem Knäuel vermengt, das immer schwerer zu entwirren ist.
Die Hohenzollernfamilie will eine Entschädigung für Enteignungen, die in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone entschädigungslos vorgenommen wurden. Das vom Bundestag 1994 beschlossene „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ billigt Entschädigungen zu, sofern der Betroffene dem NS- oder dem kommunistischen Regime nicht „erheblichen Vorschub“ geleistet hat. Dann würde die sogenannte „Unwürdigkeitsklausel“ gelten.
„Erheblich“ ist Ursache allen Streits. Dass die Hohenzollern, zumal Kronprinz Wilhelm (1882–1951), mit dem Regime sympathisiert haben, steht außer Zweifel; aber hat er tatsächlichder Machtergreifung Hitlers erheblichen Vorschub geleistet, und wenn ja, wie? Mehr denn je scheinen sich bei den Historikern die Fronten zu verhärten, wofür die beiden hier vorgestellten Bücher stehen.
Der in Edingburgh lehrende Historiker Stephan Malinowski hat in einem gerichtlichen Gutachten die Familie belastet; jetzt, in seinem umfangreichen Buch, äußert er sich ebenfalls eindeutig, wie schon der Untertitel verrät „Kronprinz Wilhelm war kein NSDAP-Mitglied, aber durch eindeutige öffentliche Bekenntnisse hat er als herausragende Symbolfigur für konservative Kreise den Nationalsozialismus zunehmend hoffähig gemacht und zur Machtergreifung Hitlers beigetragen,“ heißt es in seinem Buch.
Malinowski folgt dessen Leben ab der Flucht ins holländische Exil 1918 über seine Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1923 bis zum Kriegsende 1945 minutiös und klopft jedes einzelne Geschehen auf einen angenommenen NS-Hintergrund ab. Der Kronprinz, das sagen auch andere Untersuchungen, war von dem Gedanken besessen, die NS-Bewegung als Steigbügelhalter zur Wiedererlangung der Krone zu nutzen, was schiefging. Eine kurze Zeit nutzte die NS-Führung gerne sein Prestige, sobald sie aber fest im Sattel saß, ließ sie ihn fallen, trotz mehrerer entwürdigender Kotaus des Prinzen.
Malinowkis Thesen sind umstritten und werden es wohl bleiben, wovon das zweite Buch zeugt. Herausgegeben von den Historikern Frank-Lothar Kroll (Chemnitz), Christian Hillgruber (Bonn) und Michael Wolffsohn (München) vereint es 22 Beiträge aus der Rechts- und Geschichtswissenschaft, aus der Politik und von Journalisten. Naturgemäß ist das ein breiteres Spektrum, aber in einem Punkt herrscht weitgehend Einigkeit: Vorschub möglicherweise, „erheblicher“ Vorschub aber nicht. Dazu, so sagen es die meisten Autoren, habe der Kronprinz denn doch nicht die zentrale Position gehabt, die er sich selbst gerne gewünscht habe. Wolffsohn sagt es vielleicht am treffendsten: „Kein Zweifel: dieser durch und durch reaktionäre, antirepublikanische, antidemokratische, antisemitische und pronazistische Kronprinz hat den NS-Verbrechern ,Vorschub' geleistet.“ Aber erheblich? „Streng genommen muss diese Erheblichkeit messbar sein. Aber wer kann oder soll sie wie messen? Unmöglich.“
Das Buch ist in fünf größere Abschnitte und einen Schlussteil mit drei Streitgesprächen unterteilt. Die Frage, wie „erheblich“ juristisch zu fassen sei, beschäftigt die Juristen, ebenso der Ausgleichsvertrag zwischen Preußen und den Hohenzollern von 1926. Die Historiker behandeln mit unterschiedlicher Akzentsetzung nicht nur wie Malinowski akribisch die Ereignisse der Jahre 1932 und 1933, sondern diskutieren auch die Rolle des Kaiserreiches in der europäischen Politik, gehen auf die umstrittene These vom deutschen Sonderweg ein und erörtern den heutigen rigiden Moralismus über jedes kleinste historische Geschehen.
Mit Blick auf Kulturgüter, die wichtiger Gegenstand im juristischen Streit sind, beklagt der schon erwähnte Ottomeyer den generell vielfach fahrlässig und gedankenlos erfolgten Ausverkauf unersetzlicher Kulturschätze aus deutschen Fürstenhäusern (Thurn und Taxis, Baden). Das Kulturschutzgesetz von 2016 habe bislang „keine Verbesserung“ gebracht. Sein betrübtes Fazit: „Das ,Tafelsilber' ist rasch verkauft, aber der Verlust ist endgültig.“ Ebenfalls in diesem Abschnitt zeigt Herausgeber Kroll, wie ehemalige Königs- und Fürstenhäuser in den süd- und südosteuropäischen Staaten restituiert wurden, teilweise – wie in Rumänien – äußerst nobel, in Bulgarien zögerlich, in Griechenland halbherzig, in Italien bislang gar nicht. Manche Maßnahmen könnten, so Kroll, auch Deutschland ein Beispiel sein.
Dass ein solches Thema Temperament hervorruft, ist verständlich. Aber ausgerechnet Kroll gehen dabei die Pferde durch. So schilt er Malinowski und andere als „Kammerjäger, Stubenjakobiner und selbsternannte Aufklärer“. Richtig ist, dass wissenschaftliche Debatten kontrovers geführt werden können und sollen; aber der Anstand sollte gewahrt bleiben.