Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine Verwechslung brachte einem Kellner des Hotels Kurisches Haff sechs Monate Haft ein
Die nachfolgende Geschichte, entnommen den damaligen Tageszeitungen, wird sich um den 14. August 1909 zugetragen haben. In diesen Tagen kam der Oberkriegsgerichtsrat Scheer, der 1901 den Prozess des Oberkriegsgerichts wegen Mordes an dem Rittmeister v. Krosigk in der Dragonerkaserne zu Gumbinnen als Verhandlungsführer leitete, auf den Gedanken, eine Küstenwanderung über die Kurische Nehrung mit einem Halt in Rossitten durchzuführen.
Zuvor muss erwähnt werden, dass Ende Juli in der Posener Gegend ein Lustmörder sein Unwesen trieb, der mehrere Morde an Frauen auf dem Gewissen hatte. Man setzte einen verdächtigen Russen in Haft. Kurz darauf kamen Nachrichten auf, dass in Weißwasser in der Oberlausitz ein Häftling entlaufen sei, auf welchen eine hohe Belohnung ausgesetzt war und der vermutlich identisch mit dem Posener Lustmörder sei, da die Personenbeschreibung in der Fahndung vollkommen auf den Flüchtling passe.
Kehren wir nun auf die Kurische Nehrung nach Rossitten zurück, wo es dem Oberkriegsgerichtsrat beliebte, sich im Hotel Kurisches Haff einzuquartieren. Als er sich in das Fremdenbuch eingetragen hatte, trat dem „Memeler Dampfboot“ zufolge der Kellner Johannes Schubert an ihn heran und verlangte, für alle noch anwesenden Gäste verständlich genug und in sehr barschem Tone, von ihm eine Legitimation, da seine Eintragung falsch sei.
Nachdem Herr Scheer das Ansinnen des Kellners zurückgewiesen hatte, bezeichnete dieser den Oberkriegsrat, der sich in schlichtem, aber tadellosem Touristenanzug befand, als den gesuchten Lustmörder. Um sich der anfänglich etwas komischen, dann aber unerträglichen Situation zu entziehen, wies Herr Scheer dem hereingekommenen Wirt eine von der Königsberger Garnisonverwaltung abgestempelte Karte vor, die den Namen und Titel des Oberkriegsgerichtsrats enthielt. Trotz der Intervention der Gäste zeigte sich der Kellner unbeeindruckt. Angeblich hatte er inzwischen an die Königsberger Kriminalpolizei gedrahtet und das halbe Dorf durch die Erzählung von dem entdeckten Lustmörder in Aufregunggebracht.
Der Kellner ließ vorsorglich in der Nacht drei Mann das Zimmer des Oberkriegsgerichtsrats und das Hotel bewachen. Diese zeigten sich am nächsten Morgen hochbefriedigt, dass ihnen der Mordgeselle nicht entkommen war. Als der Gast seine Rechnung beglichen hatte, versuchte der Kellner, ihn daran zu hindern, indem er vorgab, dass von der Königsberger Kriminalpolizei noch keine Antwort eingelaufen sei.
Schubert ließ den Gast überwachen
Da der Kellner sich schließlich an dem Gast tätlich vergriff und ihn bespie, blieb diesem nichts anderes übrig, als über den Hof hinüber die Flucht zu ergreifen, um bei dem Oberförster und Amtsvorsteher Schutz zu suchen und die Herausgabe seines Reisegepäcks zu erwirken. Erst als der Oberförster in Begleitung eines Försters mit ihm wieder in dem Hotel erschien, bekam der Gast seine Sachen ausgeliefert. Merkwürdigerweise ließ sich der Besitzer des Hotels nicht sehen, um seinen Angestellten „in seine Schranken zurückzuweisen“.
Um Herrn Scheer vor weiteren Beleidigungen auf der Straße zu schützen, hielt man es für ratsam, ihm noch bis über die Dorfgrenze hinaus amtliches Geleit zu geben. Der „Aachener Anzeiger“ vom 18. August 1909 schrieb: „Dem Oberkriegsgerichtsrat wird die Iydlle des Nehrungsdorfes noch lange in peinlicher Erinnerung bleiben (...).“
Schubert musste sich Mitte Mai 1910 vor dem Landgericht Bartenstein wegen Beleidigung und Freiheitsberaubung verantworten und wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafkammer nahm an, dass er durch seine Verdächtigungen den Oberkriegsgerichtsrat, so der „Ohligser Anzeiger“ vom 24. Mai 1910, „aufs schwerste in seiner Ehre gekränkt und sich infolgedessen eines Beleidigungsvergehens schuldig gemacht, für das dem Gericht nur die hohe Strafe von sechs Monaten als angemessene Sühne erschien“.
Die deutsche Presse konnte das Urteil nicht nachvollziehen, denn der Kellner habe im guten Glauben gehandelt, „als er den Oberkriegsgerichtsrat des Mordes verdächtigte, und dass er sich bei seiner Handlungsweise von einem Eifer leiten ließ, der schlimmstenfalls unbesonnen, aber nicht bösartig war“. Das Urteil sei unverständlich, die Strafbemessung aber geradezu ungeheuerlich. Die „Berliner Morgenpost“ stellte die Suggestivfrage: „Nehmen wir an, der Herr Oberkriegsgerichtsrat hätte den Oberkellner für den Lustmörder gehalten und ihn festgenommen: hätte er auch sechs Monate für seinen Irrtum aufgebrummt bekommen?“