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KGB

Ein Staat im Dienste eines Dienstes

Wer das Russland unserer Tage bewerten will, sollte stets bedenken, dass die Macht in fast allen Bereichen der Gesellschaft in den Händen ehemaliger Kader des kommunistischen Geheimdienstes KGB und seines Nachfolgers liegt

Gunter Weißgerber
22.05.2022

Obwohl der am 24. Februar begonnene Angriff Russlands auf die Ukraine völkerrechtswidrig ist, gibt es noch immer Stimmen, die Verständnis für das russische Vorgehen äußern. Die Verteidiger Moskaus sagen unter anderem, dass sich Russland seit dem Ende des Kommunismus fortlaufend um ein gutes Verhältnis zum Westen bemüht habe, dass Russland ohne Murren die NATO-Osterweiterung akzeptiert habe – und trotzdem vonseiten des Westens nur Ablehnung erfahren habe. Als Beleg dafür verweisen sie etwa auf die Rede von Präsident Wladimir Putin 2001 im Berliner Reichstag oder auf russische Überlegungen aus jener Zeit, dem nordatlantischen Bündnis beizutreten.

Manches an dieser Argumentation ließe sich vielleicht sogar nachvollziehen – wäre da nicht der Umstand, dass Russland auch dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kein normaler demokratischer Staat ist, sondern ein von alten Kadern des KGB, beziehungsweise seines Nachfolgers FSB sowie weiterer Kader aus den Sicherheitsdiensten der untergegangenen Sowjetunion gelenktes Machtgebilde.

Zweifelhafte Lockversuche

Doch der Reihe nach. Moskauer Angebote an den Westen für eine intensivere Zusammenarbeit gab und gibt es seit Jahrzehnten wiederholt. Bereits 1954 stellte die Sowjetunion sogar einen formellen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO. Dieser scheiterte jedoch am Nein der Vereinigten Staaten und Großbritanniens – und das zu Recht.

Ausgerechnet die Sowjetunion, deren Geschichte eine Kette von Gewaltverbrechen gegen die eigene Bevölkerung und gegen andere Nationen war, wollte in die NATO? Die Sowjetunion, die gemeinsam mit dem nationalsozialistischen Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte? Die Sowjetunion, deren mörderische Geheimdienste seit dem 20. Dezember 1917 – dem Gründungstag der Tscheka, in deren ungebrochener Nachfolge Putins Geheimdienst FSB noch heute steht – ein Lagersystem errichteten, das Millionen Menschenleben forderte? Was immer Chruschtschows Motive gewesen sein mögen – in jedem Fall hätte das, was für ihn lediglich ein Partnertausch gewesen wäre, für die NATO einen Ausverkauf ihrer Prinzipien bedeutet.

Doch wäre Europa wirklich sicherer geworden, wenn die Sowjetunion der NATO angehört hätte? Hätte Moskau tatsächlich zugelassen, dass die kommunistischen Bruderregimes, die überall nur durch Gewalt an die Macht gekommen waren, in freien Wahlen abgewählt werden konnten? Wohl kaum.

Umgekehrt hätte zu den Folgen eines sowjetischen NATO-Beitritts gehört, dass das westliche Bündnis als Gegenentwurf zum kommunistischen Völkergefängnis ausgefallen wäre. Hätte Imre Nagy 1956 ohne die Existenz einer freien Welt jenseits des „Eisernen Vorhangs“ den Mut zu Reformen in der sowjetischen Kolonie Ungarn aufgebracht? Hätte Alexander Dubček 1968 den Mut zum „Prager Frühling“ aufgebracht? Und hätten Vaclav Havel und seine Freunde 1977 die „Charta '77“ verfasst, wenn ein Bündnis aus Sowjetunion und NATO wie eine Grabplatte von Moskau bis Washington über ihnen gelegen hätte? Hätten die Polen 1980 die „Solidarność“ gegründet und die Ungarn in den 1980er Jahren ihren Reformkurs begonnen, die den friedlichen Revolutionen im gesamten Ostblock den Weg ebneten?

Ein Staat im Staate

Das alles kann bezweifelt werden. Vielmehr hätte eine NATO mit dem kommunistischen Mitglied Sowjetunion für alle nach Freiheit strebenden Menschen im Ostblock das Bild eines alternativlosen Gefängnisses abgegeben. Nicht zuletzt, weil mit der Sowjetunion auch ihre repressiven und blutgetränkten Geheimdienste in das Bündniss gekommen wären.

Natürlich ist das Russland von heute ein anderes Land als die Sowjetunion. Der Kommunismus ist nicht mehr Staatsideologie, mit den Erlösen aus den Bodenschätzen wurden ganze Städte und Regionen saniert. Und das zu Sowjetzeiten brutal unterdrückte Christentum ist wieder inoffizielle Staatsreligion.

Eines hat sich freilich seit 1989/91 nicht geändert – dass die Macht im Lande noch immer fest in den Händen alter Geheimdienstkader liegt. Schon der Reformkurs der späten Sowjetunion, der von 1985 an zu „Glasnostj“ und „Perestrojka“ führte und wesentlich mit dem Namen Michail Gorbatschow verbunden ist, entsprang keiner bürgerlichen Oppositionsbewegung wie in Polen oder Ungarn, sondern war ein strategischer Schachzug des KGB, eingeleitet vom greisen Staats- und Parteichef Jurij Andropow, der den jungen Gorbatschow als Reformer ins Amt hievte, um zu retten, was nicht mehr zu retten war.

Als die Sowjetunion dennoch 1991 zusammenbrach, begann die einzige Zeit seit dem Bürgerkrieg der 1920er Jahre, in dem die Tscheka alias der KGB alias der FSB nicht die Zügel fest in Händen hielt. Den machtverwöhnten Strippenziehern in der Moskauer „Lubjanka“, dem durchgehenden Amtssitz des Terrorapparates von 1917 bis heute (!), war dieser Zustand unerträglich. Und so arbeiteten sie an der Wiederherstellung ihrer eigenen Macht.

Putins Russland

Im Jahre 2003 berichtete der „Spiegel“ über einen Besuch des ehemaligen KGB-Majors und nunmehr frisch ernannten Regierungschefs Wladimir Putin am 19. Dezember 1999 in der Lubjanka. Dabei habe der begeistert empfangene Putin seinen alten Kameraden verkündet: „Das Vorauskommando, das Sie in die Regierung delegiert haben, hat die Etappe eins der Aufräumarbeiten erfolgreich absolviert.“ Die zweite Etappe erfolgte wenige Tage später mit der Berufung Putins zum Präsidenten der Russischen Föderation.

Nur kurze Zeit nach Putins Machtübernahme, so der „Spiegel“ 2003, waren nach einer Zählung der Soziologin Olga Kryschtanowskaja von der Russischen Akademie der Wissenschaften 77 Prozent (!) aller Führungspositionen des Staates von Angehörigen der alten sowjetischen Nomenklatura besetzt, während die liberalen Reformer der Jelzin-Ära weitgehend verdrängt waren.

An dieser einzigartigen Durchdringung eines Staates durch Geheimdienstkader hat sich in den folgenden Jahren kaum etwas geändert. Das Online-Portal „Russia Beyond“ listete 2016 in einem Artikel über die Karrieren einstiger KGB-Leute im Putinschen Russland unter anderem folgende Namen auf:

• Sergej Tschemesow (zu Sowjetzeiten Dienst in der wissenschaftlich-technischen Aufklärung in der DDR, danach Generaldirektor des Staatsbetriebs Rostech),

• Sergej Iwanow (ab Mitte der 1970er Jahre im Auslandsnachrichtendienst, danach Verteidigungsminister von 2001 bis 2007, anschließend Leiter der Präsidialverwaltung),

• Wladimir Jakunin (22 Jahre in der Auslandsaufklärung des KGB, dann von 2005 bis 2015 Präsident der staatlichen Eisenbahn),

• Alexander Lebedew (seit den 1980ern im Auslandsnachrichtendienst, danach Vorstandschef der National Reserve Bank und Chef der Medienholding „Nowyje Media“,

• Georgij Poltawtschenko (im KGB Ermittler in der Unterabteilung für Transportsicherheit von 1979 bis 1994, danach Gouverneur von Sankt Petersburg),

• Raschid Nurgalijew (seit den 1980ern Ermittler im KGB Kareliens, danach unter anderem Innenminister der Russischen Föderation von 2004 bis 2012, anschließend Stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrats der Russischen Föderation),

• Viktor Solotow (ab den 1970ern in der 9. Verwaltung des KGB, die für die Bewachung wichtiger Personen zuständig war, danach Kommandeur der internen Truppen des Innenministeriums, Leiter des Sicherheitsdienstes des Präsidenten und Direktor der Nationalgarde),

• Nikolai Tokarew (in der DDR in der wissenschaftlich-technischen Aufklärung des KGB tätig, danach Präsident des Pipeline-Herstellers Transneft).

In seiner Aufzählung führt „Russia Beyond“ auch Igor Setschin auf, den Präsidenten des Öl-Riesen Rosneft, der bis 2008 stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung und anschließend stellvertretender Ministerpräsident war. Zwar habe Setschin eine KGB-Zugehörigkeit stets dementiert, doch seien viele Medien überzeugt, dass er im Auslandsnachrichtendienst tätig war. Setschin war es, der seinerzeit die Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos des Oligarchen Michail Chodorkowskij angeordnet hatte.

Herrscher über beide Welten

Im Zusammenhang mit Putins KGB-Kadern nicht erwähnt wird gemeinhin der ehemalige Ministerpräsident und Präsident Dmitri Medwedjew, der seit 2012 Vorsitzender der Partei Einiges Russland sowie seit Januar 2020 stellvertretender Präsident des Sicherheitsrats der Russischen Föderation ist (Präsident ist Putin). Gleichwohl kann Medwedjew durchaus in diesem Kontext Erwähnung finden, absolvierte er doch zu Sowjetzeiten ein Jura-Studium an der Staatlichen Universität Leningrad, deren juristische Fakultät als Kaderschmiede des KGB galt.

Die bizarrste Personalie dürfte indes Kyrill I. sein, seit 2009 Patriarch von Moskau und der ganzen Rus (also auch der orthodoxen Christen jenseits der Staatsgrenzen) und in dieser Eigenschaft Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche. Auch Kyrill arbeitete vor seinem Eintritt in den Dienst der Kirche für den KGB. Heute segnet er die Politik seines alten Geheimdienstgenossen Putin und verhilft dieser dadurch zu höheren Weihen.

Schon diese wenigen Namen zeigen, dass weder die Sowjetunion noch das heutige Russland ohne die Betrachtung ihrer Geheimdienste zu beurteilen sind. Die meisten Staaten der Erde unterhalten Geheimdienste. Das ist normal. In Demokratien werden diese parlamentarisch kontrolliert. Was Fehler, Skandale und falsche Entscheidungen nicht ausschließen kann. Doch kommen in Demokratien Verfehlungen irgendwann ans Licht – und haben entsprechende Konsequenzen. In Russland ist dies hingegen anders. Hier besitzt der Staat keinen Geheimdienst, sondern hier unterhält ein Geheimdienst einen Staat.

Und dieser Staat kennt in der Wahl seiner Mittel keine Skrupel. Da werden Regimekritiker und Journalisten ermordet, oppositionelle Demonstranten verhaftet und ein parlamentarisches System unterhalten, bei dem nicht nur die Regierungspartei, sondern auch die Scheinopposition aus dem Zentrum der Macht „gelenkt“ wird.

Sehnsucht nach dem „Ewigen Frieden“

Umso mehr drängt sich die Frage auf, was an Chrustschows Antrag 1954 und an Putins Agieren heute für so viele im Westen so verführerisch ist? Ein Erkläransatz ist die Hoffnung auf den „Ewigen Frieden“, die Sehnsucht nach einer Weltordnung, in der alle Konflikte ein für allemal gelöst sind. Seit Jahrhunderten schon haben sich Intellektuelle auf der ganzen Welt Gedanken gemacht, ob und wie so ein immerwährender Friede möglich werden könne.

Eine der bekanntesten Einlassungen dazu stammt von dem Königsberger Immanuel Kant. Zu Kants Hauptfragen gehörten dabei, welche Rechtsgrundlagen ein ewiger Friede braucht, ob und wie ein länderübergreifendes Völkerrecht etabliert werden kann – und wie die Souveränität aller Staaten gewährleistet werden kann. Gerade letzteres war für Kant unabdingbar: Ein dauerhafter Friede, so der Philosoph, lässt sich nur zwischen aufgeklärten republikanischen Staaten etablieren.

Doch dies war weder die Sowjetunion von 1954 noch ist es das Russland unserer Tage.

• Gunter Weißgerber gehörte in der DDR zu den Gründungsmitgliedern der SPD in Leipzig. Er war 1990 Mitglied der freigewählten Volkskammer und anschließend bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. 2019 trat er aus der SPD aus. Weißgerber ist Publizist und unter anderem regelmäßiger Gastautor bei der „Achse des Guten“.
www.weissgerber-freiheit.de


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Kommentare

Scheuer Ulrike am 15.04.23, 22:27 Uhr

Sehr guter Bericht...wir brauchen mehr davon!!!!

sitra achra am 03.06.22, 19:17 Uhr

Die beiden abgelichteten Figuren waren angetreten, um Russland und seinen Heloten wie Apologeten ewigen Ruhm und Ehre durch die Knechtung der Ukraine zu verschaffen. Was sie erreicht haben, sind unendlicher Hass und kalte Verachtung, die sich leider auf das gesamte russische Volk niederschlagen.

Christian Lappe am 23.05.22, 02:17 Uhr

Ein guter Artikel lieber
Gunter !
Weiter so !
Herzlichen Gruß aus USA

Christian Martín Lappe

Berlin 59 am 22.05.22, 20:38 Uhr

Sehr guter Beitrag, der sollte Pflichtlektüre für die Putin Versteher werden. Juri Andropow war zwar fast gleichalterig wie Tschernenkow, aber Andropow wirkte für Sowjetverhältnisse "Jung und Dynamisch". Als er an die Macht kam, wurde das erstmal Positiv bewertet. Um so überraschender war dann sein plötzlicher Tod und alle Vorurteile gegen den KGB sah man als bestätigt an. Gerüchteweise hörte man was von Vergiftung. Die Wahl des greisenhaften Konstantin Tschernenkow wirkte wie eine kalte Dusche. Für mich war es der endgültige Anlass im April 1984 meinen Ausreiseantrag zustellen. Der jetzige Krieg der Russen gegen die Ukraine, ist das letzte aufbäumen der Internationalen Sozialisten gegen den endgültigen Untergang der Sowjetunion. Die Russen werden nur gewinnen wenn sinistere Kräfte aus dem Westen es so wollen. Die Russen selber sind ein Volk das am liebsten gemütlich vor sich hindümpelt. Auch unter dem Zaren gab es kaum bei der einfachen Bevölkerung große Begeisterung für irgendwelche Kriege. Wenn Erntezeit war, sind die Bauern einfach nach Hause gegangen. Richtig so.

Ralf Pöhling am 22.05.22, 17:08 Uhr

Chapeau, Herr Weißgerber! Sie gehören zu den wenigen, die es wirklich verstanden haben. Während im Westen überall Zivilisten ohne entsprechende Fachexpertise an der Macht sind, die ihre jeweiligen Sicherheitsapparate entweder in blanker Ignoranz mutwillig selbst kastrieren oder sie in der dümmlichen Absicht einer "besseren" Integration von Creti und Pleti infiltrieren und unterwandern lassen, ist ganz Russland seit jeher fest in der Hand von Profis, denen so etwas natürlich nicht passiert.

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