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Gesellschaft

Ein Stresstest für die globalisierte Welt

Die Corona-Krise weitet sich immer weiter aus – und stellt nicht nur die modernen Lieferketten der globalen Wirtschaft infrage

René Nehring
19.03.2020

Die globalisierte Welt erlebt eine Krise nie dagewesenen Ausmaßes. In den vergangenen Tagen kam infolge der exponentiellen Ausbreitung des Coronavirus das öffentliche Leben in Deutschland weitestgehend zum Erliegen: Schulen und Kindergärten bleiben bis zu den Osterferien geschlossen, Spielplätze wurden gesperrt. Sämtliche Sportveranstaltungen sind ebenso abgesagt wie Ausstellungen, Theatervorführungen und Konzerte. Der Grenzverkehr ist stark eingeschränkt, Lokale dürfen nur noch zu bestimmten Zeiten öffnen, und alle Bürger sind dazu aufgerufen, ihre direkten sozialen Kontakte zu reduzieren. „Social Distancing“ nennen dies die Virologen. 

Im Ausland sieht es nicht anders aus. Italien, Österreich oder die USA riefen bereits den nationalen Notstand aus und verhängten teilweise oder vollständige Ausgangssperren. Auch in Deutschland wurde diese Maßnahme, die faktisch eine ganze Nation unter häusliche Quarantäne stellt, bereits diskutiert. Und die UEFA verschob die Fußballeuropameisterschaft in den Sommer des kommenden Jahres. 

Ein solches Ereignis kann nicht ohne Folgen bleiben. Neben einem kritischen Blick auf die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der einzelnen nationalen Gesundheitssysteme (gemäß offiziellen Zahlen ist die Sterblichkeitsrate in Italien oder den USA deutlich höher als in Deutschland oder Südkorea) rückt zunehmend auch die Vernetztheit der modernen Welt in den Fokus. Sind die Lieferketten der Weltwirtschaft nicht zu lang – und damit zu anfällig für derlei Krisen? Und sind internationale Organisationen wie die EU eher Teil der Lösung oder des Problems? Letztere Frage wird vor allem in Italien diskutiert. 

Auch andernorts sind derzeit nationalstaatliche Reflexe zu beobachten: So verhängte die Bundesregierung am 4. März einen Exportstopp für Schutzmasken und -anzüge sowie andere medizinische Ausrüstung. Zudem erklärte Berlin, diese dürfen nur dann exportiert werden, wenn der „lebenswichtige Bedarf“ Deutschlands gesichert sei. Und von US-Präsident Trump hieß es Anfang der Woche, dass er versucht haben soll, das Tübinger Unternehmen CureVac zu kaufen, das führend in der Erforschung eines Corona-Impfstoffs ist – und diesen ausschließlich für die Bürger seines Landes verwendet sehen wollte (siehe dazu auch die Seiten 4 und 8). 

Doch trotz derlei Überlegungen und Reflexen wird es kaum zu einer Rückabwicklung der Globalisierung kommen. Zu vernetzt ist die Weltwirtschaft und zu sehr haben sich die Menschen an ihre Reisefreiheit gewöhnt, als dass sie noch einmal bereit wären, darauf zu verzichten. Und nicht zuletzt sind heutzutage nicht nur die Probleme global, sondern zumeist auch die Lösungen. So forscht eben derzeit nicht nur CureVac an einem Impfstoff gegen Corona, sondern Forscher in aller Welt. 

In Tagen wie diesen, in denen Politik und Gesundheitsverwaltung in ständig neuen Lagen unbürokratische Entscheidungen fällen müssen, verbieten sich besserwisserische Kommentare. Gleichwohl lassen sich bereits Erkenntnisse aus dem bisherigen Verlauf der Krise ziehen. So zögerte die Bundesregierung viel zu lange mit drastischen Eingriffen in die Freiheiten der Bürger; insbesondere die Bundeskanzlerin hielt lange an ihrem Mantra der offenen Grenzen fest. Erst, als die europäischen Partner ihre Schlagbäume nach Deutschland senkten und die Bundesländer energisch die Einschränkung des Grenzverkehrs forderten, lenkte auch Berlin ein. 

Welche Chance damit vertan wurde, zeigt ein Blick nach Asien, wo Taiwan und Hongkong – Nachbarländer des Corona-Epizentrums China – rigide Grenzkontrollen und Quarantänemaßnahmen für alle Einreisewilligen verhängten: mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Fallzahlen bemerkenswert niedriger sind als in anderen Ländern, sondern an beiden Orten das öffentliche Leben ohne drastische Einschränkungen fortgesetzt werden kann. Dies lehrt, dass gerade die Befürworter offener Grenzen bereit sein müssen, diese im Krisenfall zu schließen. Andernfalls riskieren sie den Zusammenbruch desjenigen Systems, das sie eigentlich befürworten.


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