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Johannes Bähr zeichnet den Weg des Unternehmers Carl Friedrich von Siemens nach
Johannes Bährs Biographie über Carl Friedrich von Siemens (CFS)ist eine Geschichte der deutschen Elektroindustrie, streng orientiert an den Daten von CFS, der 1872 als jüngster Sohn des Firmengründers Werner von Siemens in Berlin geboren wurde und 1941 als Chef des Hauses Siemens ebenfalls in Berlin gestorben ist.
Es handelt sich um eine bemerkenswerte berufliche Karriere, die der Autor beschreibt. Er gliedert seine Arbeit in sieben Hauptkapitel, die streng dem chronologischen Gang von der Geburt bis zum Tode folgen. Die Untergliederung der Kapitel in einzelne Lebensabschnitte erleichtert die Lektüre. Beispielsweise lautet das Hauptkapitel VII „Unter dem Hakenkreuz“, zwei Unterkapitel behandeln „Die Anpassung an den NS-Staat“ und „Eines denkenden Volkes unwürdig – die Verfolgung der Juden“. Diese Überschriften zeigen bereits den Wandel der politischen Einstellung von CFS im fortgeschrittenen Alter.
Eine bemerkenswerte berufliche Karriere
Fleiß und Gründlichkeit des Autors erweisen sich in den umfangreichen Anmerkungen sowie in dem kompakten Quellen- und Literaturverzeichnis. 35 Fotos – überwiegend von CFS – und Abbildungen von Produktionsstätten der Firma Siemens geben Einblicke in die Arbeitswelt vornehmlich Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie werden ergänzt durch Aufnahmen führender Politiker der Weimarer Republik und auch von Hitler im Dynamowerk in Siemensstadt. Alle diese Fotos folgen den Stationen des Lebens von CFS. Aufschlussreich sind ebenfalls Personen- und Firmenregister, sie sind ein Spiegelbild des großen Netzwerks, das er sich aufgebaut hatte. Es fällt auf, dass die handelnden Personen fast ausschließlich Männer waren, und zwar, wie es in den Texten deutlich wird, allesamt Angehörige der oberen Mittelschicht, die vornehmlich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges relativ abgeschottet in ihrem Netzwerk ihre Absprachen und Geschäfte erledigten.
Abschottung bedeutet auch, nicht die realen Verhältnisse der Menschen und Arbeiter sowie die politischen Entwicklungen zu berücksichtigen, was nicht bedeutet, sie nicht zu kennen, Stichwort Sozialpolitik. Die Kontakte zur kaiserlichen, elitären Oberschicht waren allerdings erwünscht und galten als Ehre. Das änderte sich erst im Verlauf des Krieges und der Nachkriegszeit bis hinein ins Dritte Reich.
Die Wirtschaft wird zur Rüstung gebraucht und nach 1918 zur Bewältigung der Reparations-Auflagen in der Inflations- und Weltwirtschaftskrise sowie entscheidend zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Tätigkeiten und Aktionen der Gewerkschaften mussten akzeptiert und berücksichtigt, die Verbindungen zur Politik gesucht und hergestellt werden. Ab der Machtergreifung der NSDAP wurde die gesamte Wirtschaft auf Kriegsbedürfnisse umgestellt.
Als CFS 1919 alleiniger Chef des Siemenskonzerns wurde, wuchs er in bewegte Jahrzehnte der Entwicklung des ehemaligen Kaiserreiches Deutschland in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinein. Der Autor beschreibt sehr deutlich die veränderte Situation für den Konzern nach dem verlorenen Krieg und den Auflagen der Siegermächte. Siemens bewegte sich unaufgeregt und souverän innerhalb seines Netzwerkes an Beziehungen, Bekanntschaften, Geschäftsfreunden und auch Verwandtschaften.
Ein wichtiges Feld waren auch die Auslandsbeziehungen, hauptsächlich zu den USA und dem vorrevolutionären Russland. Der Leser findet eine oft verwirrende Zahl an Namen und Kontakten, die Kenntnisse bei ihm voraussetzen müssen und vielleicht verkürzt hätten dargestellt werden können.
Überraschend liberale Positionen für einen Erzkonservativen
Nicht in das Bild eines damaligen und häufig erzkonservativen Unternehmers passt die überraschend liberale Position gegenüber den neuen parlamentarischen Verantwortungsträgern. CFS vertrat die Meinung, die Wirtschaft müsse sich stärker in den Parteien und auch Gewerkschaften engagieren, was bis heute aktuell ist. Er wurde Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und auch Reichstagsabgeordneter.
Nach anfänglicher Sympathie für die NS-Bewegung lehnte er das neue politische System ab. Anlass war die beginnende Hetze gegen deutsche Juden. Auch der Siemens-Konzern musste alle jüdischen Mitarbeiter entlassen. Trotz der großen Belastungen durch die Leitung des Konzerns kamen zahlreiche Ehrenämter hinzu, hervorzuheben ist 1924 die Berufung zum Präsidenten der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft als größter Arbeitgeber in Deutschland mit über 700.000 Beschäftigten und auch verantwortlich für die Reparationszahlungen. CSF begründete diese Entscheidung mit seiner Vaterlandsliebe, gleichzeitig verzichtete er auf sein Mandat im Reichstag.
Der Autor Johannes Bähr beschreibt diese persönlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund der politischen, außenpolitischen und gesellschaftlichen Situation im Lande sehr deutlich. Eine solche Anbindung auch für die Jahrzehnte des Kaiserreiches hätte den Text erweitert und damit verständlicher gestaltet.
Das Buch kann als Teil der Wirtschaftsgeschichte gesehen werden, es ist verständlich geschrieben, hätte aber manche Kürzungen verdient. Eines bleibt, dass der Kreis führender Wirtschaftsfunktionäre bis heute eine Domäne für Männer ist, die erst jetzt Frauen akzeptiert.
Johannes Bähr: „Carl Friedrich von Siemens 1872–1941“, Siedler Verlag, München 2023, gebunden, 447 Seiten, 40 Euro