28.03.2024

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75 Jahre Grenzdurchgangslager Friedland

Ein „Tor zur Freiheit“ für Flüchtlinge und Heimkehrer

In dem Lager haben Millionen Aufnahme und eine sichere Zuflucht gefunden. Heute dient es als Aufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler samt Familienangehörigen sowie Asylbewerber

Klaus J. Groth
20.09.2020

Der Strom der Menschen erschien endlos und bewegte sich langsam voran. Es waren Frauen, Kinder und alte Männer, beladen mit dem wenigen, was sie hatten mitnehmen können – Kleidung, Lebensmittel und ein paar Erinnerungsstücke an die verlassene Heimat. Säcke türmten sich auf Kinderwagen, Großeltern schoben Karren mit Eingewecktem und getrockneten Früchten aus dem Hausgarten, Kinder trugen Rucksäcke gefüllt mit Seife und Waschpulver. Sie alle hatten nur ein Ziel, Richtung Westen. Im Dreiländer- und damaligen Dreizoneneck, wo Thüringen, Niedersachsen und Hessen beziehungsweise sowjetische, britische und US-amerikanische Zone aneinandergrenzen beziehungsweise -grenzten, trafen Trecks aufeinander. Der britische Militärkommandant Perkins sah sich vor einer gewaltigen logistischen Herausforderung. Die Massen an Menschen, viele erschöpft, halb verhungert und krank, mussten ernährt, ärztlich versorgt und auf andere Gebiete verteilt werden, sonst drohte eine humanitäre Katastrophe. Perkins befahl die Errichtung eines Auffanglagers in der kleinen Gemeinde Friedland. Er wählte dazu das Gelände der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt der Universität Göttingen.

Standort am Dreizoneneck

Der Ort im Süden Niedersachsens lag günstig. Eine gut ausgebaute Straße führte hindurch, er verfügte über einen Bahnhof an der Strecke Hannover–Kassel, und er lag nahe am Dreizoneneck. Deutsche Kriegsgefangene richteten innerhalb weniger Tage Unterkünfte in den verlassenen Ställen her. Einer der damaligen Kriegsgefangenen berichtete: „Als wir ankamen, fanden wir nur ein paar leere Schweineställe vor. Die Küche haben wir in der Futterküche eingerichtet. Sie kamen mit Blechgeschirr oder Konservendosen an und erhielten dann Graupen- oder Milchsuppe. Wir konnten ihnen nur das geben, was wir hatten. Und wenn das Essen alle war, war's alle.“

Bald reichten auch die Ställe für die Menschenmassen nicht aus, die mit Zügen oder zu Fuß ankamen. Die Kriegsgefangenen errichteten auf einem Acker nahe am Bahnhof eine Stadt aus Zelten und langen Reihen von Wellblechbaracken. Die dort untergebrachten Flüchtlinge hatten Anspruch auf die Rationen der einheimischen deutschen Zivilbevölkerung.

Außer den Vertriebenen und Flüchtlingen kamen täglich Tausende Angehörige der Wehrmacht. Sie trugen noch ihre zerlumpten Uniformen. Ausgestattet mit neuer Kleidung und dem D2-Schein, dem Dokument über ihre Entlassung aus dem Militärdienst, konnten sie weiter zu ihren Heimatorten fahren. Besondere Probleme bereiteten die Kinder, die auf der Flucht ihre Eltern verloren hatten oder aus den Lagern der Kinderlandverschickung kamen. Friedlands Verwaltung, das Deutsche Rote Kreuz und der Nordwestdeutsche Rundfunk arbeiteten eng zusammen, um die Eltern zu finden. Dank der Suchmeldungen „Gesucht wird ...“ konnten bis 1952 bereits 67.946 Kinder wieder in die Obhut ihrer Eltern gebracht werden.

Begonnen hatte die Arbeit des Suchdienstes in Flensburg. Dort hatten die beiden ehemaligen Offiziere Kurt Wagner und Helmut Schelsky, der später als Soziologe bekannt wurde, beobachtet, wie verzweifelte Menschen ihre Angehörigen mit Plakaten und Fotos suchten. Der DRK-Suchdienst führt noch heute Menschen aus aller Welt zusammen, die durch Kriege und Naturkatastrophen ihre Angehörigen verloren haben.

Bis Ende 1945 passierte eine halbe Million Menschen das Lager Friedland. Sie wurden von der Caritas und britischen Hilfsorganisationen betreut.

Am 13. August 1946 begann in Friedland ein neuer Abschnitt. Der erste geschlossene Transport Kriegsgefangener aus der Sowjetunion traf ein. Am 11. Dezember 1947 konnte die Lagerleitung – Friedland unterstand inzwischen dem Land Niedersachsen – den 100.000. Heimkehrer willkommen heißen. Das Ereignis, das die Menschen in der Nachkriegszeit am meisten bewegte und den Namen Friedland zum Synonym für Freiheit machte, war die Ankunft der Spätheimkehrer. Am 8. September 1955 war Konrad Adenauer nach Moskau gereist und hatte Nikita Chruschtschow zur Freilassung der letzten Gefangenen aus Sibirien bewegen können. Zu deren Empfang in Friedland erklang das Kirchenlied „Nun danket alle Gott“, gesungen von Tausenden Stimmen durch das Lager. Das weithin sichtbare Heimkehrerdenkmal auf dem Hagenberg erinnert an diesen Tag.

Die „Heimkehr der 10.000“ wurde in der Bundesrepublik empathisch gefeiert. Das Bild einer Mutter, die dem Kanzler bei seiner Rückkehr auf dem Flughafen Köln-Wahn die Hand küsst, ging durch alle Medien. Die Zeitung in Lübeck, der einzigen Großstadt an der ehemaligen Zonengrenze zur DDR, schrieb nach dem Eintreffen der Männer unter dem Läuten der Kirche St. Marien: „Jubel und Tränen löste diese Heimkehr aus. Über allem aber mag das Wort eines Heimkehrers stehen, der vor Ergriffenheit kaum sprechen konnte und nur mühsam hervorbrachte: ,So haben wir nicht umsonst gelitten.'“

„Heimkehr der 10.000“

Friedland blieb ein Ort, an dem für viele Verfolgte und Bedrohte ein neues Leben begann. 1956 kamen Flüchtlinge aus Ungarn, die nach der blutigen Niederschlagung des ungarischen Aufstandes durch die Sowjets das Land verlassen mussten. 1973 stellten Chilenen ein größeres Kontingent. 1978 kamen die Boatpeople aus Vietnam auf Einladung des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, 1984 Tamilen aus Sri Lanka, 1990 in großer Zahl Menschen aus Albanien. Zu Zeiten der friedlichen Revolution nahm das Lager Übersiedler aus der DDR auf. Und dann kamen wieder Menschen aus Osteuropa und Asien, jüdische Emigranten aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Heute ist Friedland die Aufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen. Sie bleiben maximal zwei Wochen dort, bevor die Weiterreise in die Bundesländer erfolgt. Das Grenzdurchgangslager, wie es offiziell heißt, ist ebenfalls die erste Station für Asylbewerber, die für Niedersachsen bestimmt sind.


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