10.10.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Augustputsch

Ein Umsturzversuch, der nur drei Tage dauerte

Das Aufbegehren konservativer Bürokraten gegen Michail Gorbatschows „Glasnost“ und „Perestrojka“ vor 30 Jahren sollte die Sowjetunion vor ihrem Zerfall retten – stattdessen beschleunigte es ihn

Manuela Rosenthal-Kappi
20.08.2021

Hunderte Panzer rollten auf das Regierungsgebäude in Moskau zu, begleitet von 4000 Soldaten. Die Welt hielt den Atem an, als am 19. August 1991 die Nachricht von dem Putsch einer Gruppe hochrangiger Funktionäre der Kommunistischen Partei, die sich selbst Staatskomitee für den Ausnahmezustand nannte, gegen die Reformen des ersten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, die Öffentlichkeit erreichte. Der Umsturzversuch kam für viele Beobachter völlig überraschend, obwohl er sich laut Beobachtern zuvor schon angekündigt hatte.

Gorbatschow hatte früh erkannt, dass der lähmende Stillstand der Breschnew-Ära zum Niedergang der Sowjetunion führen würde. Er setzte auf demokratische Reformen, die der UdSSR zum Aufschwung verhelfen sollten. Mit seiner Politik der Perestrojka (Umbau) öffnete er die Wirtschaft für Privatinitiativen, und mit Glasnost (Transparenz) gegenüber den Bürgern sollte der Staat modernisiert werden.

Die Ausgangslage war miserabel. Die Preise für Rohstoffe waren hoch, Wirtschaft und Verwaltung ineffektiv, die Sowjetbürger konnten für ihr Geld nichts kaufen. Schlangestehen vor den Läden war an der Tagesordnung. Die Waren des täglichen Bedarfs waren „defizitär.“

Nach den Jahren des Stillstands bis in die 1980er Jahre wurde 1985 die Perestrojka zunächst recht positiv aufgenommen, doch die Veränderungen blieben weitgehend ergebnislos. 1991 befand sich das Land in einer äußerst schwierigen Lage. Es war eine politische, wirtschaftliche, kulturelle und versorgungstechnische Krise entbrannt.

Während Gorbatschow im Westen als der Politiker gefeiert wurde, der die deutsche Einheit möglich gemacht hatte, kämpfte er zu Hause gegen konservative Kräfte innerhalb der Kommunistischen Partei. Zudem war dem Umbau des Systems kein Erfolg beschieden. Laut Zeitzeugen gab es viele Signale, die auf einen bevorstehenden Umsturz hindeuteten, auf die Gorbatschow jedoch nicht hören wollte. Schon Ende 1990 sollen zahlreiche Abgeordnete des sowjetischen Parlaments seinen Kopf gefordert haben, weil seine Politik den Weiterbestand der UdSSR bedrohe. In dieser Situation besetzte er ausgerechnet Schlüsselpositionen mit Gegnern der Perestrojka.

Unmittelbar vor dem Putsch hatte Gorbatschow unter dem Druck der in die Unabhängigkeit strebenden Länder der UdSSR die Bildung einer Union Souveräner Staaten geplant, die den Republiken faktisch politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zusicherte. Das missfiel dem konservativen Teil der Regierung, der die Macht und seine Posten erhalten wollte. Die Republiken hatten dem neuen Unionsvertrag bereits zugestimmt, der sie zu unabhängigen Republiken in einer Föderation mit einem gemeinsamen Präsidenten, einer gemeinsamen Außenpolitik und gemeinsamen Streitkräften machen würde. Alle Teilnehmer sollten das Prinzip der Demokratie anerkennen sowie die Menschenrechtscharta der UN achten. Der Vertrag sollte am 20. August 1991 unterzeichnet werden.

Am 18. August wurde Gorbatschow in seinem Urlaubsort Foros auf der Krim festgesetzt, sämtliche Drähte zur Außenwelt wurden gekappt. Am 19. August, dem Tag des Putschs, lief im Fernsehen auf allen Sendern das Ballett „Schwanensee“. Vize-Präsident Gennadij Janajew, einer der Drahtzieher der Verschwörung, erhob sich zum Interimsleiter und erklärte, Gorbatschow sei erkrankt und könne seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen.

Doch Janajews Rede brachte die Bürger auf. Zu Tausenden zogen sie auf die Straße, um ihre neu gewonnene Freiheit zu verteidigen. Etwa hunderttausend Bürger stellten sich am 20. August mutig den Panzern entgegen. „Werdet ihr auf uns schießen?“, fragten sie die Soldaten, „Moskau ist nicht Baku, Tiflis oder Wilna.“ Auf die Frage, warum sie sich mit ihren Freunden den Panzern in den Weg gestellt hatte, antwortete die damals 33-jährige Marina Timofejewa, Tochter eines pensionierten Offiziers, rückblickend: „Wir wussten, dass unsere Soldaten nicht auf die eigenen Leute schießen würden.“

Boris Jelzin, damals Präsident der russischen Teilrepublik, stellte sich gegen die Putschisten. Das Weiße Haus, in dem er und seine Unterstützer sich befanden, war von Putsch-Gegnern belagert, die Barrikaden zum Schutz vor den Panzern aufbauten. Tatsächlich verweigerten Generäle, Soldaten und selbst Kämpfer der Elitetruppe Alfa den Befehl, auf einfache Bürger zu schießen. Dennoch waren drei Todesopfer zu beklagen, die beim Versuch, einen Panzer zu erklimmen, überfahren worden waren.

Am 21. August fiel der Putsch in sich zusammen. Als Gorbatschow einen Tag später nach Moskau zurückkehrte, war der Umsturz zwar abgewendet, seine Macht hatte er zu diesem Zeitpunkt aber bereits verloren. Jelzin führte den geschwächten Gorbatschow regelrecht vor: Er unterbrach dessen Rede vor der Versammlung des Obersten Sowjet am 23. August und unterzeichnete ein Dekret, mit dem die Kommunistische Partei aufgelöst wurde. Gorbatschow verlor seine Legitimation und am 25. Dezember 1991 trat er zurück. Am folgenden Tag wurde die Sowjetunion aufgelöst.

Über Gorbatschows Rolle beim Zerfall der Sowjetunion wird in Russland bis heute gestritten. Die einen lieben ihn, weil er demokratische Strukturen in Russland ermöglichte, die anderen sehen in ihm einen Verräter, der die Sowjetunion vernichtet hat.

Gorbatschow hatte nie die Absicht, die UdSSR abzuschaffen, sondern er wollte sie zu einem demokratischen Staat umbauen. Seine Vision von einem „Gemeinsamen Haus Europa“ machte ihn zur Symbolfigur des demokratischen Wandels in Ost- und Mitteleuropa. Nicht Gorbatschow, sondern der Putsch gegen ihn beschleunigten das Ende der Sowjetunion.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Michael Holz am 24.08.21, 00:55 Uhr

Eine sehr gute Zusammenfassung Frau Manuela Rosenthal-Kappi. Sie sollten jedoch bei der Wortwahl "konservativer Bürokraten" berücksichtigen, dass es sich nicht um Konservative im herkömmlichen Sinne, sondern um "reaktionäre Bürokraten handeln könnte. Ich fühle mich als Konservativer weil ich Deutschland mit Allem erhalten möchte .

Siegfried Hermann am 20.08.21, 10:48 Uhr

Ein wichtiges und spannendes Zeitdokument waren die Radioberichte, u.a. WDR-ARD
Life (!), wo im Minutentakt die Lage sich ständig änderte und spannend wie Chämpgin-Finale.
btw Putsch
Die CIA hat später versucht minutiös
die Lage im Hintergrund zu analysieren und ist zum Schluss gekommen: So selbstverständlich war das gar nicht!
Jelzin stand stundenlang auf einen Panzer und hat von dort die Leute motiviert. Ein sniper hätte kurzen Prozeß gemacht.
Die Junta war sich selbst nicht einig, unsicher wie das überhaupt rückabgewickelt werden sollte und vor allem unentschlossen. Man hat den Protest einfach gewähren lassen und mit jeder Minute mehr das Heft des Handels aus der Hand gegeben.
Ob Soldaten, wer auf wen geschossen hätte, bleibt unklar.
Die meisten, vor allem jungen Männer wollten auf keinen Fall zurück zum stalinistischen Terror.
Und das wird wohl zum Schluss den Ausschlag gegeben haben, das es friedlich geblieben ist.

Andererseits gibt noch "Verschwörungstheorien", nachdem vor allem aufgrund von echten Analysen des KGB´s lange, lange vor diesen Zeitpunkt (direkt nach Breschnews Tod) die innere Führung beschlossen hatte, die Sowjetunion abzuwicklen und sich auf Kernrussland zu beschränken und den teils mit horrenden Kosten unterjochten Randstaaten sich selbst zu überlassen. Natürlich war das ein gewagter Plan, mit dem wodkaseligen und korrupten Jelzin erst recht. Und nach einigen Umbesetzungen und praktisch mit Übernahme des KGB, jetzt in FSB umgeschlaucht, mit Putin an der Spitze, ist 2021 der Plan aufgegangen und Russland steht sich ökonomisch und militärisch besser da als je zuvor.

Alles richtig gemacht!

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS