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Ein Vordenker, der auch mit 85 Jahren noch lenkt

Der erfolgreiche Diplomingenieur Josef Gonschior zog die Deutsche Minderheit der reinen Wissenschaft vor

Chris W. Wagner
16.01.2023

Die neuste Ausgabe der kulturhistorischen Hefte des Eichendorff-Begegnungszentrums im oberschlesischen Lubowitz [Łubowice], „Śląsk w Europie. Schlesien in Europa. Slezsko v Evrope“, ist Josef Gonschior zu seinem 85. Geburtstag gewidmet.

Oberschlesien hat dem Ratiborer Aktivisten der deutschen Volksgruppe und langjährigem Geschäftsführer der Organisation der Deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Schlesien viel zu verdanken. Ohne Gonschior gäbe es in Ratibor, dem Sitz der Deutschen der Woiwodschaft Schlesien, keine deutschsprachige Radiosendung, keinen deutschen Klassenzug im Lyzeum, kein deutsches Lehrerkolleg, keinen Begegnungsort und keine deutschen Gottesdienste in der Diözese Gleiwitz.

Ihm war von Anfang an bewusst, dass mit Deutschkursen allein die seit Kriegsende aus der Öffentlichkeit verbannte deutsche Sprache in der Region nicht wiederzubeleben war. „Noch vor der Registrierung des Verbandes 1990 hatte der damalige Vorsitzende Blasius Hanczuch den Gedanken gehabt, eine eigene Zeitung herauszugeben. So erschien im November 1988 die erste Ausgabe des ‚Kulturbulletins'. Das Bulletin war damals noch eine geheime Monatszeitschrift“, erinnert sich Gonschior. Die Schrift heißt heute „Oberschlesische Stimme“ und erscheint im Zweiwochentakt als Beilage des „Wochenblatt.pl“.

Der Sohn des Tischlers und Poliers Josef Julius Gonschior kam am 27. Dezember 1937 in Ratibor zur Welt. 1945 floh er mit seiner Mutter aus Ratibor in die Nähe von Altötting in Oberbayern. 1946 kehrten Mutter und Sohn ins nun polnisch verwaltete Ratibor zurück, und er musste als Achtjähriger Polnisch lernen. Gonschior bewahrte die deutsche Sprache, weil er viel las und verbotenerweise deutsches Radio hörte. 1955 meisterte er sein polnisches Abitur mit Auszeichnung, studierte an der Technischen Hochschule zu Gleiwitz anorganische Chemie und schloss sein Studium 1960 als Diplomingenieur ab.

In der Ratiborerin Renate Jendrosch fand er eine Ehefrau, die im sprachlich-kulturellen Wirken mitzog. Sie gab ihm Kraft, auch ohne Parteibuch zum Leiter eines Forschungslabors zu werden, zahlreiche Erfindungen und Patentanmeldungen zu verbuchen und 1982 an der Technischen Hochschule zu Breslau zu promovieren. Doch er wusste, die deutsche Volksgruppe brauchte ihn mehr als die polnische Wissenschaft, und so machte Gonschior 1992 bis 2000 die Geschäftsstelle der Deutschen Minderheit in Ratibor zu seinem Arbeitsplatz. Zum zehn Kilometer von Ratibor entfernten Lubowitz hat Gonschior eine tiefgreifende Beziehung, denn dort fand am 20. Juli 1990, kurz nach der Anerkennung der Deutschen Minderheit eine Kundgebung statt, die Gonschior bis heute tief beeindruckt. An der Schlossruine der Geburtsstätte Joseph von Eichendorffs versammelten sich 20.000 Deutsche, um Otto von Habsburg und zwei berühmte Ratiborer, Herbert Hupka und das sogenannte „Maschinengewehr Gottes“, Pater Johannes Leppich zu begrüßen.

Zu beiden Altratiborern hatte Gonschior eine besondere Beziehung. Hupka (1915–2006), der einstige Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, bezeichnete Gonschior als geistigen Kopf der Deutschen Minderheit. Dieser bewunderte Pater Leppich (1915–1992), für dessen unerschrockenes, kühnes Auftreten und dessen Humor. Gonschior schaffte es, Leppichs „gesamten Nachlass, zusammengefasst in Büchern und Tonaufnahmen, sowie seine persönlichen Gegenstände“ nach Oberschlesien zu holen, wo sie im Heimatmuseum von Blasius Hanczuch in Benkowitz [Bieńkowice] ausgestellt sind. Seit etwa 1995 betreut Gonschior einen der drei noch bestehenden Bibelkreise der Leppich'schen „Aktion 365“ in Ratibor.

Mit Gonschiors enormen historischem wie auch minderheitsjuristischem Wissen und seiner Tatkraft steht er auch mit 85 Jahren der Deutschen Minderheit zur Seite. „Als Referent steckt er so manchen jungen Redner in die Tasche, aber er steht nicht mehr so gerne vor Publikum wegen – wie er sagt – seiner Schwerhörigkeit“, sagt Paul Ryborz, Leiter des Eichendorff-Begegnungszentrums in Lubowitz, der erst vor Kurzem Gonschior als Referenten zu Gast hatte. „Ehefrau Renate ist sein Ohr und immer an seiner Seite“, sagt Ryborz. Sie ist auch der gute Geist im Hause Gonschior, das immer offen für Besucher ist. Und wer ohne Anmeldung an der Tür klingelt, wird, wenn es gerade keinen Kuchen gibt, mit Broten und selbst gemachter Marmelade zum Kaffee empfangen.


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