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Politik

Eine ernste Herausforderung für Regierung und Opposition

Inmitten des Sommerlochs schreckt eine Großdemonstration das politische Berlin auf. Und hinterlässt Fragen zur Zukunft der politischen Landschaft

René Nehring
05.08.2020

Über die Großdemonstration am vergangenen Sonnabend in der Berliner Innenstadt ist in den vergangenen Tagen viel gesagt und geschrieben worden. In der Berichterstattung der Medien ging es vor allem um die Höhe der Teilnehmerzahl, die Mehrheit der Politiker warf den Demonstranten verantwortungsloses Verhalten vor. Was die Kommentare bislang ausblendeten, war die Frage, welche Bürger dort eigentlich zu Zehntausenden – so viele waren es in jedem Fall – auf die Straße gingen, und was diese umtreibt. 

Eine neue Bürgerbewegung?

Angemeldet hatte die Demonstration die „Initiative Querdenken 711“, die zuvor bereits in anderen Städten Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen organisiert hatte. Über die Initiative und ihre Organisatoren ist bis dato wenig bekannt. Gründer Michael Ballweg ist ein IT-Unternehmer aus Schwaben, die Webseite „querdenken-711.de“ nennt als wichtigste Ziele der Bewegung die Einhaltung der „ersten 20 Artikel unserer Verfassung“ und fordert zudem „alle Parteien auf, ihr Parteiprogramm auf die neue Lage anzupassen und den Bürgern darzustellen, wie und unter welchen Lebensumständen in der Sonderlage Pandemie zu rechnen ist“ sowie „Neuwahlen im Oktober 2020“.

Wer sich die in den Zeitungen, Fernsehnachrichten und Internetseiten gezeigten Fotos und Videosequenzen anschaut, sieht dort Bürger aus der Mitte der Gesellschaft: fröhliche Menschen in sommerlicher Kleidung, keine Springerstiefel und Bomberjacken, keine schwarz gekleideten Autonomen. Dafür sind –zwischen zwei schwarz-weiß-roten Flaggen des Kaiserreichs – jede Menge Regenbogenfarben zu sehen sowie auch die Fahnen anderer Länder. Zudem gibt es kein einziges (!) Bild – und übrigens auch keinen Medienbericht – von Ausschreitungen irgendwelcher Demonstrationsteilnehmer: keine Steinwürfe und Tritte gegen die Polizei, keine Molotow-Cocktails, keine eingeschlagenen Fensterscheiben, wie sie bei anderen Anlässen gang und gäbe sind. Nicht zuletzt gab es auch keine einzige Meldung über etwaige volksverhetzende Äußerungen oder sonstige politische Straftaten. Alles zusammen erinnerte der Berliner Demonstrationszug eher an die Loveparade der 90er Jahre als an einen politischen Protest im gereizten Klima des Corona-Sommers 2020.

Um so erstaunlicher die schroff-ablehnenden Aussagen so manchen Politikers. Natürlich ist es das gute Recht – wenn nicht sogar die Pflicht – der Regierenden, die von ihnen verhängten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus zu verteidigen. Und im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland deutlich besser durch die Krise der letzten Monate gekommen, was all den Befürwortern der Eingriffe gute Argumente gibt. Andererseits ist es in einer Demokratie das gute Recht eines jeden Bürgers, das Handeln der Regierenden zu hinterfragen und im Zweifel dagegen zu demonstrieren. Dieses ureigenste demokratische Grundrecht darf auch durch den Gesundheitsschutz nicht aufgehoben werden. Bezeichnenderweise haben in den bisherigen Verwaltungsgerichtsverfahren die Demonstranten durchweg recht bekommen.

Spannend ist die Frage, ob eine Partei den vieltausendfachen Protest gegen die Corona-Maßnahmen aufgreifen und politisch kanalisieren wird. Die regierende Union und die SPD dürften dafür ausfallen, waren sie es doch, die in Bund und Ländern die von den Demonstranten abgelehnten Maßnahmen im Wesentlichen beschlossen haben.

Doch was ist mit der Opposition? Die Grünen, sonst um keine Attacke auf die Regierung verlegen, zeigten sich im Verlauf der vergangenen Monate äußerst wortkarg. Zu sehr entsprechen die zeitweiligen Eingriffe zum Gesundheitsschutz ihren eigenen langfristigen Vorstellungen vom „Schutz des Klimas“. Die FDP? Lässt schon seit Jahren klassisch liberale Themen wie die Wahrung der Eigentumsrechte oder die Meinungsfreiheit im Zeitalter der sozialen Medien liegen. Die AfD ist seit Monaten mehr oder weniger mit sich selbst beschäftigt. Und die Linke? Die hat Bernd Riexinger ...

Gesprächsbedarf

Stellen sollten sich die Verantwortlichen in allen Lagern den Demonstranten in jedem Fall. Eine Bewegung, die ohne Unterstützung der Medien und der Parteien an einem extrem heißen Hochsommertag zehntausende Menschen auf die Straße bringt, sollte grundsätzlich niemand unterschätzen. In Frankreich haben die „Gelbwesten“ vor rund zwei Jahren gezeigt, wohin sich Unmut entwickeln kann, der von der Politik nicht aufgegriffen wird. Die Demonstranten von Berlin waren allesamt friedlich. Das darf als Zeichen gewertet werden, dass sie es gut meinen.


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Kommentare

Wulf Wagner am 05.08.20, 10:42 Uhr

Man kann Herrn Nehring für diesen sachlichen Beitrag nur danken. Er ist der beste den ich bisher zum Thema las.
Als Teilnehmer der Demonstration war die von Nehring geschilderte Athmosphäre genau so.
Die Polizei wurde nicht bedrängt, sondern etwa mit „schließt Euch an“ empfangen.
Vor allem war der hohe Frauenanteil auffällig, mindestens die Hälfte (vor allem im Bereich unter den schattigen Bäumen), ganze Damenkaffeekränzchen, viele junge Mädchen, auch junge Familien.
Die Menschen dort fragen sich, was aus Deutschland wird, das ist unser Recht.
Gut, dass es freie Medien, wie die PAZ gibt. Danke!!!

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