Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Der Versuch einiger US-Senatoren, mit allen Mitteln die Fertigstellung der Nord Stream 2-Pipeline zu verhindern, offenbart die Schwäche der deutschen und europäischen Außenpolitik. Und zwingt dazu, über strategische Alternativen nachzudenken
Einen solchen Vorfall hat es in den letzten 75 Jahren deutsch-amerikanischer Beziehungen noch nicht gegeben. Drei US-Senatoren schrieben einen langen Drohbrief an die Geschäftsleitung des kleinen Fährhafens Sassnitz auf Rügen. Von dort aus erfolgt die logistische Unterstützung für die am Bau der Nord Stream 2 beteiligten Pipeline-Verlegerschiffe. Ein Zitat aus dem Schreiben sticht besonders ins Auge: „Wenn Sie weiterhin Waren, Dienstleistungen und Unterstützung für das Nord Stream II-Projekt bereitstellen, würden Sie das zukünftige Überleben Ihres Unternehmens zerstören.“
Ein solch freches Schreiben benötigt eine gepfefferte Antwort. Seit zwei Jahren bedrohen die USA – Kongress und Trump-Administration – europäische Firmen, die sich am Projekt Nord Stream 2 beteiligen, mit exterritorialen Sanktionen. Die USA mischen sich damit ungebeten in die Energieversorgungssicherheit ihrer europäischen Verbündeten ein. Mehr noch: Washington behandelt die Europäer wie unmündige Vasallen. Die EU kann und will das nicht anstandslos hinnehmen. Aber sie besitzt nicht die Instrumentarien, um der Supermacht USA Paroli zu bieten.
Die Schwäche der Europäer
Wenn europäische Firmen tatsächlich vor die Wahl gestellt werden, entweder am russischen Projekt festzuhalten, dafür jedoch für immer den amerikanischen Markt zu verlieren, entscheiden sie sich notgedrungen für den viel gewinnträchtigeren US-Markt und gegen eine Kooperation mit Russland. Die Bundesregierung und die EU können die eigenen Firmen gegen die wirtschaftliche und finanzielle Übermacht der USA auf globaler Ebene nicht schützen. Berlin und Brüssel können höchstens das amerikanische Flüssigerdgas vom EU-Markt aussperren, wie es der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag fordert. Die Folge wäre jedoch ein Handelskrieg mit den USA, dem Europa aus dem Weg gehen will.
Die EU begreift erst im Fall des Energiekonflikts mit den USA, wie abhängig sie tatsächlich von den USA ist. Um diesen Zustand zu ändern, sich von der Fremdbestimmung zu befreien und volle Souveränität zu erlangen, müsste die EU sich stärker von den USA emanzipieren. Aber kann die EU das, ohne die Sicherheitspartnerschaft mit den USA im Rahmen der NATO infragezustellen? Niemand im Westen kann sich ernsthaft vorstellen, dass die EU die Schutzmacht USA gegen die russische umtauscht.
Angesichts der zunehmenden Konflikte im deutsch-russischen Verhältnis (Hacker-Attacken auf den Bundestag, Annexion der Krim, Mordattentate auf russische Oppositionelle, Menschenrechtsverletzungen in Russland) erscheint zudem die Wiederaufnahme strategischer Partnerschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern vorerst als Illusion.
Das weitere Problem der EU ist, dass sie nicht mit einer Stimme spricht. Zwar haben 24 der 27 EU-Staaten das amerikanische Sanktionsvorhaben gegen europäische Firmen in einer gemeinsamen Note an das State Department kritisiert. Aber Fakt ist auch, dass wenn es zum Schwur kommen sollte, die ostmitteleuropäischen EU-Staaten sich allem Anschein nach für ein Amerika-kontrolliertes Europa entscheiden würden. Die Führung aus Washington ist ihnen wichtiger als die deutsch-französisch geführte europäische Achse.
Streitfall Nord Stream
Kein energetisches Infrastrukturprojekt hat jemals so viel Unmut erzeugt wie Nord Stream 2. Seit 2011 existiert bereits die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Westsibirien nach Deutschland transportieren kann. Nord Stream 2 soll künftig die gleiche Menge für Kunden in der Europäischen Union bereitstellen. Bislang wurden 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die seit 50 Jahren bestehende Erdgas-Pipeline über die Ukraine nach Europa gepumpt. Die ukrainische Pipeline wäre künftig obsolet.
Russland argumentiert so: Die Ukraine ist ein unsicheres Transitland. Die Nord Stream-Alternative hilft, das ukrainische Transitmonopol auszuhebeln. In den USA und Teilen der EU lautet das Argument genau andersherum: Die Ukraine solle als zentrales Transitland für russisches Erdgas nach Europa erhal-ten werden, denn ansonsten könnte Moskau Ostmitteleuropa eines Tages den Gashahn zudrehen. Die USA werfen Moskau vor, mit dem Transitstopp die Ukraine finanziell ruinieren zu wollen. Die Ukraine verdient am Transit des russischen Erdgases nach Europa 2 Milliarden Euro im Jahr. Es ist der größte Posten im Staatsbudget der Ukraine. Ohne diese Einnahmen müsste der Westen die Ukraine mit Krediten subventionieren.
Deutschland hat in diesem Konflikt erfolgreich als Vermittler fungiert und erreicht, dass Russland sein Erdgas weiterhin durch die Ukraine nach Westen verkauft, aber seinen Gasexport über die Ostsee diversifizieren darf.
Ein weiteres amerikanisches Argument gegen die Pipeline ist, dass die EU zu sehr von Russland abhängig sei. Doch das stimmt nicht. Russlands Gaslieferungen machen nur knapp 40 Prozent der gesamten Gasimporte in die EU aus. Im gesamten Energiemix befindet sich Erdgas noch weit hinter Kohle und Erdöl. Außerdem haben die Europäer ihren Gasmarkt längst erfolgreich diversifiziert, ein unerwarteter Engpass aus Russland könnte sofort durch andere Lieferanten wettgemacht werden.
Die Interessen der USA
Der eigentliche Grund für die amerikanische Ablehnung der Nord Stream-Pipeline ist nicht die Ukraine. Die USA wollen ihr eigenes Flüssigerdgas LNG auf dem lukrativen europäischen Markt verkaufen. Marktführer auf dem europäischen Energiemarkt ist aber – seit 50 Jahren – Russland. Also gilt es, russisches Erdgas, das über Pipelines nach Europa transportiert wird, vom EU-Konsumentenmarkt abzuschneiden. Die Durchsichtigkeit der US-Strategie, auf diese Weise ihren Hauptkonkurrenten auszuschalten, ist frappierend. Die EU distanziert sich deshalb von solchen Cowboy-Methoden entschieden.
Die USA und viele mittelosteuropäische Länder sehen die russisch-deutsche Energiepartnerschaft als eine falsche strategische wirtschaftspolitische Verankerung Russlands in Europa – die sie ablehnen und bekämpfen. Sie wollen verhindern, dass Russland durch Erdgasexporte Gelder auf dem westlichen Markt akquiriert, die Moskau in seine Rüstungsindustrie investieren könnte.
Deutschland hat jedoch in den vergangenen Jahrzehnten gute Erfahrungen im Gashandel zunächst mit der Sowjetunion und später mit Russland gemacht. Seit dem berühmten Erdgas-Röhren-Geschäft Anfang der 70er Jahre sind viele deutsche Firmen in Russland präsent. Sie wollen in Russland tätig bleiben und üben Druck auf die Bundesregierung aus, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland aufrechtzuerhalten.
Falls die EU auf amerikanischen Druck hin auf russisches Erdgas verzichten sollte, würde sie sich von Amerika abhängig machen. Dann würden es die USA sein, die Energie als „Waffe“ für eigene Interessen einsetzen könnten. Die USA könnten versucht sein, die EU in anderen Fragen zu erpressen, zum Beispiel beim Technologiehandel mit China.
Die Haltung Berlins
Nord Stream 2 wird letztendlich fertiggebaut. Das ist für Deutschland zu einer Frage des Anstands geworden. Natürlich ist die Bundesregierung Kompromisse eingegangen, um die USA zu besänftigen und die deutsche Führungsrolle in Europa nicht zu gefährden. So hat sie dem amerikanischen Flüssiggas die Türen geöffnet, so dass dieses künftig mit dem russischen Pipeline-Gas in Europa konkurrieren kann. Dennoch ist Deutschland nicht gewillt, Amerika in allem nachzugeben.
Ohne die Unterstützung durch die Bundesregierung wäre Nord Stream 2 niemals zustandegekommen. Doch warum hat sich Berlin so stark für das umstrittene Projekt eingesetzt und einen ernsthaften Bruch mit den USA und anderen EU-Ländern riskiert? Zunächst hat die Bundesregierung verstanden, wie wichtig die Erdgaswirtschaft für die Zukunft Europas ist.
Deutschland ist ein Vorreiter bei der Energiewende, welche Atomenergie sowie fossile Brennstoffe wie Öl und Kohle durch alternative Energiequellen in kürzester Zeit ersetzen soll. Allein auf Erneuerbare Energien zu setzen funktioniert jedoch nicht. Um so wichtiger ist es, Erdgas als Brückenbrennstoff auf dem Weg in eine neue Ära zu nutzen. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Erdgasressourcen in Europa zur Neige gehen. Europa wird in fünf bis zehn Jahren weitgehend auf eigene Erdgasförderung verzichten müssen – und mehr Gas aus Nicht-EU-Ländern importieren. Infrage kommen hier als Lieferanten nur Russland, Norwegen, die arabischen Länder und die Vereinigten Staaten.
Bei allem Respekt für Klimaschutz und umweltschonende Wirtschaftskonzepte – noch ist das Zeitalter fossiler Energiestoffe nicht vorbei. Während die EU bis 2050 eine grüne Ökonomie schaffen will, kämpft der Rest der Welt mit ganz anderen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen als die Europäer – und wird auf die traditionellen Energieträger noch lange nicht verzichten. Russland hingegen setzt alles daran, um von der Wachstumsregion Asien zu profitieren. Nord Stream 2 ist das letzte große russische Infrastrukturprojekt in Europa. Russland wird sich dem eurasischen Wirtschaftsraum zuwenden, in dem der Energiehunger Chinas eine bedeutende Rolle spielt.
Strategische Perspektiven
Europa erscheint vielen als wirtschaftlicher Riese, aber als politischer Zwerg. Der Streit mit den Amerikanern um Nord Stream 2 könnte eine notwendige historische Zäsur in den Beziehungen USA-Europa einleiten. Die USA schauen geopolitisch mehr nach Asien als nach Europa. Und Europa kommt aus seiner Verantwortung nicht heraus, sich als eigenständiger Akteur in der neuen polyzentrischen Weltordnung zu definieren.
Während für die USA in der Supermacht-Rivalität mit China die eigentliche Herausforderung ihrer nationalen Sicherheit liegt, befinden sich für die EU die Hauptgefahren im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika. Durch Armut, extremen Klimawandel und Kriege wird es vom Süden her in den nächsten Jahren zu Gefahren einer Massenmigration kommen. Für die Prävention dieser Herausforderung wird Russland für die EU ein wichtigerer Partner sein als die USA.
• Alexander Rahr war bis 2012 Programmdirektor für Russland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist seit 2012 Forschungsdirektor beim Deutsch-Russischen Forum. Zu seinen Büchern gehört „Der kalte Freund. Warum wir Russland brauchen“ (Hanser Verlag 2011).
Klaus Brunswig am 30.08.20, 15:30 Uhr
Die USA erpressen Deutschland, ihren "Freund und Alliierten"! Frage: Würden die Amerikaner auf zukünftige Erpressungen verzichten, wenn Deutschland jetzt brav nachgäbe? Nur Dumme glauben das, allerdings gibt es genug davon in Berlin. Fazit: Nordstream II durchziehen, mit Erpressern verhandelt man nicht! Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Ende ohne Schrecken. Das sollten auch unsere EU-Partner einsehen, ihnen könnte ja Ähnliches blühen. Früher brauchten wir Schutz vor der UdSSR. Wer schützt uns heute vor den USA? Man muss Russland nicht mögen, aber wenigstens werden dort Verträge eingehalten. Das ist bei unseren amerikanischen sog. "Freunden" nun wirklich nicht der Fall. Mir schwant Übles, wenn sich Europa nicht bald einig ist.
Michael Holz am 29.08.20, 09:58 Uhr
Sehr geehrter Herr Rahr,
Sie schreiben unter anderem "Angesichts der zunehmenden Konflikte im deutsch-russischen Verhältnis ... , Annexion der Krim, ..." und übernehmen dabei die Sprachregelung der Kriegs geilen Hetzer im Westen. Ist es nicht angebracht, dass gerade Sie sich ernsthaft darüber Gedanken machen, ob es auf der Krim wirklich eine Annexion gab? Die Geschichte der Krim ist doch so leicht zu erforsche, auch für Sie.
MfG
steffen fischerr am 28.08.20, 08:01 Uhr
Diese scheinheilige Argumentation der aktuell Herrschenden in den USA (es sind noch immer die gleichen industriellen Strukturen der Macht) haben seinerzeit zu Zeiten der "Sojus" Trasse, die via Ukraine / Polen Gas nach EU Europa leiten keinen solchen Aufriss gemacht. Jetzt können die neune besten Freunde ihr Erpressungspotential gegenüber DE und EU Europa einbüßen und schon wird sanktioniert. Aber die amtierenden Merkel Regierungen haben sich selbst in diese Zwickmühle begeben und dem Land JEDE Energie-Perspektive abgeschaltet.
sitra achra am 27.08.20, 11:59 Uhr
Das Argument der Amerikaner, dass Ostmitteleuropa von der Gasversorgung durch Nordstrom2 abgeschnitten werden könnte, sticht nicht. Die Amis sollten sich doch freuen, dass sie in dem Fall ihr CNG-Gas dort lukrativ vertreiben könnten.
Auch Europa könnte durch einen Reset gerettet werden. Statt einer Kakophonie von 27 Staaten würde es ausreichen, dass Frankreich und Deutschland den Ton angeben. Beide Länder sollten geschlossen die alte EU verlassen und eine Neugründung unter Stornierung aller vorherigen Regelungen und Verbindlichkeiten anstreben.
Hauptregelung ist der absolute Primat der Gründungsnationen. Wer von den anderen da nicht mitspielen will, kann gerne draußen bleiben.
Das hätte auch den Vorteil, dass man sich mit dem stolzen Großbritannien wiedervereinigen könnte!
Die hätten dann ausnahmsweise auch ein Beratungsrecht.
Werner Müller am 27.08.20, 08:51 Uhr
Einfach mal die Niederländer fragen. Dort ist man dabei, die Installation von gasbetriebenen Zentralheizungen zu verbieten. Vorgeschobener Grund: Die niederländischen Gasvorkommen im Nordosten ( Groningen ) gehen sichtbar zu Ende.
Sichtbar deshalb weil durch das Abpumpen das Erdreich über den Gasvorkommen immer tiefer absinkt. Die Schäden an den dort stehenden Immobilien sind ernorm. Es gibt staatliche Kompensationszahlungen für die Betroffenen.
Die große Frage aber ist, wie die privaten Haushalte nach kompletter Einstellung der Förderung im Jahr 2030 heizen sollen. Die Nebenkosten in NL sind heute schon exorbitant hoch, trotz eigener Gasföderung.
Der Traum von Hybrid-Wärmepumpen ist und bleibt einer. Auch da ist der Grips bei Politikern recht dünn gesät, sonst würde man ernsthaft das zuverlässig seit Jahrzehnten von Russland gelieferte Gas in seine Überlegungen einbeziehen. Die US-hörige Regierung aber ist dazu nicht in der Lage. Den schwarzen Peter hat nun der dumme Immobilienbesitzer.