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Bulgarien

Eine Insel voller Kirchen

Wo eine Vielzahl an Gotteshäusern das Stadtbild beherrschen – Nessebar, das malerische Welterbe am Schwarzen Meer

Helga Schnehagen
05.09.2022

In der alten griechischen Kolonie Nessebar nördlich von Burgas drängeln sich die Touristen. Die Altstadt ist so etwas wie Bulgariens Rothenburg ob der Tauber und liegt dazu noch in Sichtweite vom Sonnenstrand, der Touristen-Hochburg am Schwarzen Meer. Vor allem aber fällt man hier geradezu über eine einmalige Auswahl mittelalterlicher Sakralbauten: von altchristlichen Basiliken bis zu byzantinischen Kreuzkuppelkirchen. Bestimmte Konstantinopel doch bis an die Westküste des Schwarzen Meeres die Mode im Kirchenbau. Dabei war es ganz egal, wer in Nessebar gerade das Sagen hatte, das zwischen Bulgarien und Byzanz mehrfach wechselte.

Es lohnt sich also, wenn auch nicht allein, in die Kopfsteinpflaster-Gassen der nur knapp 850 Meter langen und 350 Meter breiten Insel von Alt-Nessebar einzutauchen. 1956 wurde sie zum denkmalgeschützten Freilichtmuseum erklärt, seit 1983 ist sie Unesco-Weltkulturerbe. Einzig ein 400 Meter langer Damm verbindet die Altstadt mit der Neustadt und dem Festland.

Ein Kalender seiner langen Geschichte sind die Festungsmauern. Die ersten wurden im 8. Jahrhundert v. Chr. von den Thrakern erbaut, die den Ort vor mehr als 3200 Jahren am Ende der Bronzezeit gründeten. Auf die Thraker folgten Ende des 6. Jahrhundert v. Chr. griechische Kolonisten, welche die Befestigungsanlage ausbauten. Als Nessebar 72 v. Chr. Teil des Römischen Reichs wurde, wurden die griechischen Festigungsmauern vermutlich teilweise zerstört. Im 4. Jahrhundert n. Chr. übernahm Byzanz die Herrschaft und erweiterte später die Mauern, wobei es sie bis auf vier Meter verstärkte. Aus dieser Zeit stammt auch der am besten erhaltene Teil am Eingang der Stadt.

Basilika mit Bildergeschichten

Die frühe Blüte der Hafenstadt spiegelt sich in den Bleiankern aus dem 7. bis 3. Jahrhundert v. Chr. wider, die das Archäologische Museum präsentiert. Heute wacht über den vom Handels- zum Kreuzfahrthafen mutierten Ankerplatz die Statue des Hl. Nikolaus, des Schutzpatrons der Seeleute.

Seine Glanzzeit erlebte Nessebar während des Zweiten Bulgarischen Reichs im 13. und 14. Jahrhundert. Als geschäftiges Handels-, Handwerks- und religiöses Zentrum war die Stadt wirtschaftlich und kulturell eng mit den Hauptstädten von Byzanz und Bulgarien verbunden. In dieser Zeit entstand auch die örtliche Ikonenmalschule, die ihren Höhepunkt trotz der Osmanen-Herrschaft ab 1453 im 16. und 17. Jahrhundert erreichte. Das Archäologische Museum besitzt eine lohnende Sammlung.

Zum Welterbe wurde Alt-Nessebar wegen seiner Fülle an Kirchen, die hier im Laufe von über 1000 Jahren entstanden. Seine Nähe zu Konstantinopel und gleichzeitig abgeschiedene Lage machte es zum idealen Zufluchtsort der von Byzanz verfolgten Politiker, die aus Dankbarkeit – und wahrscheinlich auch einem Überfluss an Zeit – die meisten der einst rund 40 Kirchen, wie man sagt, auf dem winzigen Fleck errichten ließen. Stiftungen privater Frömmigkeit also und keine Gemeindekirchen im üblichen Sinne.

Bisher haben Archäologen die Existenz von 30 Kirchen nachgewiesen. Heute sind 16 davon zu sehen, von denen acht vollständig erhalten oder restauriert sind. Trotz der überschaubaren Zahl hat man das Gefühl, dass hier mehr Kirchen stehen als Wohnhäuser.

Die ältesten Kirchen stammen aus dem 5. und 6. Jahrhundert. Obwohl von den beiden dreischiffigen Basiliken nur noch Reste stehen, gehören sie zu den emblematischen Objekten an Bulgariens Schwarzmeerküste: die Basilika am Meer, die der Barmherzigen Jungfrau gewidmet ist, und die Alte Metropolitenkirche, die zu einem der ältesten frühchristlichen Erzbischofsitze in Europa gehörte. Ihr heutiges Aussehen erhielt das auch Sofienkirche genannte Gotteshaus jedoch erst im 9. Jahrhundert nach der Zerstörung durch die Awaren.

Eine nur zwölf Meter lange Kirche

Die Rolle der Alten Metropolitenkirche übernahm später die Neue Metropolitenkirche St. Stefan. Das Besondere dieser ebenfalls dreischiffigen, Basilika: Mit mehr als 1000 Figuren in über 250 Szenen ist sie vollständig ausgemalt. Die meisten Fresken stammen aus dem Jahr 1599. Die Kirche selber geht auf das 11. Jahrhundert zurück, wurde später aber des Öfteren restauriert und erweitert.

Eine der am besten erhaltenen Kirchen in Nessebar ist nur zwölf Meter lang und zehn Meter breit. Die Kirche Johannes' des Täufers wurde im 10. Jahrhundert als typisch byzantinische Kreuzkuppel-Kirche erbaut mit hohem turmartigem Tambour, drei halbrunden Altarnischen und innen vier Pfeilern, welche die Decke stützen. Ist die Johannes-Kirche noch ein schlichter Bruchstein-Bau, beeindrucken die späteren Gotteshäuser aus dem 13. und 14. Jahrhundert mit ihren bunten Fassaden.

Wie bei einer Schichttorte ziehen sich Streifen aus weißen und braunen Natursteinen sowie roten Backsteinen im Wechsel um die Bauten. Eingebaute Ziernischen, Blendbögen und grafische Ziegel-Muster bereichern das Dekor, dem als i-Tüpfelchen grüne Keramikreihen von Scheiben und Rosetten zum ultimativen Glanz verhelfen. Besonders schön restauriert sind die Pantokratorkirche an Alt-Nessebars Hauptstraße und die vorbildlich sanierte einschiffige Paraskevakirche weiter nördlich.

Die schlichte einschiffige kleine Kirche St. Spas, die Christi Himmelfahrt gewidmet ist, sieht aus wie eine der ältesten und gehört doch zu den jüngsten. Erst 1609 ließ ein reicher Bürger von Nessebar sie erbauen und ausmalen. Die wertvollen Wandmalereien mit Szenen aus dem Leben Jesu und der Mutter Maria sind wie bei St. Stefan heute museal zu bewundern. Im Boden lag lange Zeit der Grabstein der 1441 verstorbenen byzantinischen Prinzessin Mataisa Cantacuzina Palaiologina. Jetzt ist er im Archäologischen Museum zu sehen.

• Kombitickets für das Archäologische und Ethnografische Museum sowie die Museums-Kirchen erhält man unter anderem im Archäologischen Museum. Stadtplan, Öffnungszeiten und Eintrittspreise unter www.ancient-nessebar.com


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