28.06.2024

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Erinnerungen

Eine Kindheit in Osterode

Manfred Sturmann, Lyriker und Erzähler, ist der Enkel eines Rabbiners, der 1954 in Palästina seine Kinderjahre in Ostpreußen zu Papier brachte

Dirk Klose
22.06.2024

Manfred Sturmann (1903–1989) hat in Palästina seine Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit im ostpreußischen Osterode niedergeschrieben. Auf das im Leo-Baeck-Institute in New York bewahrte Typoskript hatte 1954 erstmals die Landsmannschaft Ostpreußen aufmerksam gemacht. In den folgenden Jahren wurde es in Teilabschnitten veröffentlicht, jetzt liegt die ganze Fassung mit Anmerkungen und einer Biographie von Dirk Heißerer vor.

Das Buch behandelt die Kindheitsjahre des Autors von 1905 bis 1917. Im Mittelpunkt steht sein Großvater Jakob Akiva Sturmann, der von 1865 bis 1915 Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Osterode war und dessen Haus am dortigen Markt für den Jungen zu einem Ort seligen Erinnerns wurde. Vom Fenster blickte er auf denMarktplatz, sah die Bäuerinnen, „die, auf dem Pflaster hockend, vor sich Früchte, Gemüse und Eier ausgebreitet hatten. Ich hörte die Pferdekarren heranrollen, die Stadtpolizisten schimpfen und ein leidenschaftliches Gefeilsche“.

Diese Jahre waren wahres Glück, wegen des strengen Großvaters, der eisern auf Thora und Gebet pochte, mitunter aber auch hart. Ersteres aber überwog bei Weitem. Der Leser erlebt teils prächtige, teils kauzige Originale, nimmt an Ausflügen nach Allenstein und Kukukswalde teil. Die Jahre in Königsberg, wo der Junge mit seinen Eltern die meiste Zeit lebte, finden kaum Eingang. Sie wohnten in der Altstädter Langgasse, der Vater hatte sich dem strengen Rabbinerreglement entzogen und war Goldschmied geworden Sturmanns Erinnerungen enden mit dem Tod des geliebten Großvaters im Dezember 1917: „Osterode, Ferienhort, Spiel- und Traumstätte – ich sollte es niemals mehr wiedersehen. Großvaters Haus wurde verkauft. Osterode aber ohne dieses Haus war für mich nur leerer Klang.“ Er hat später in Königsberg, Breslau und München studiert und in den Jahren der Weimarer Republik Gedichtbände veröffentlicht, die auch das Wohlwollen von Thomas Mann fanden. 1938 ist er als überzeugter Zionist mit seiner Familie nach Palästina emigriert, wo er im Staatsdienst gearbeitet hat, unter anderem als Nachlassverwalter von Else Lasker-Schüler.

Literarische Erfolge waren ihm nach 1945 nicht mehr vergönnt. Sturmanns Erinnerungen ziehen den Leser von Beginn an in den Bann. Der Meinung des umsichtigen Herausgebers, sie seien „regionales Gegenstück“ zu Max Fürsts vielgelesenem „Gefillte Fisch. Eine Jugend in Königsberg“, mag man allerdings nur bedingt zustimmen.

Manfred Sturmann: „Großvaters Haus. Erinnerungen an eine jüdische Kindheit in Ostpreußen“, Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 184 Seiten, 24 Euro


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