15.12.2024

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Plutonium-Affäre

„Eine klassische polizeiliche Tatprovokation“

Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes bei der von ihm vor 30 Jahren durchgeführten Operation Hades wurde weder von der Legislative noch von der Judikative der Bundesrepublik aufgeklärt

Wolfgang Kaufmann
10.08.2024

Vor 30 Jahren, am 10. August 1994, landete eine aus Moskau kommende Boeing 737 der Lufthansa auf dem Flughafen München. Mit an Bord waren der Kolumbianer Justiniano Torres Benítez sowie die beiden Spanier Julio Oroz Eguia und Javier Bengoechea Arratibel. Sofort nach ihrer Ankunft in der bayerischen Landeshauptstadt wurden sie verhaftet, weil sie 363,4 Gramm radioaktives Plutonium und 201 Gramm Lithium 6 mit sich führten, beides Materialien, die für den Bau von Kernwaffen nötig sind. Deshalb kamen die Plutonium- und Lithiumschmuggler auch wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor Gericht.

Die deutschen Sicherheitsbehörden und die CSU-geführte Landesregierung in München feierten dies als großen Erfolg. So sprach der bayerische Innenminister Günther Beckstein von einem „Schlag gegen die internationale Atommafia“, die nukleares Material aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion an Staaten wie Nordkorea verhökere. Möglicherweise auch deshalb triumphierten die CSU beziehungsweise die schwarz-gelbe Regierungskoalition bei den Landtags- und Bundestagswahlen im September/Oktober 1994.

Wenige Monate später schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ allerdings, der vermeintliche Ermittlungserfolg sei Teil einer Geheimoperation des Bundesnachrichtendienstes (BND) namens „Hades“ gewesen, mit welcher der nach dem Ende des Kalten Krieges um seine zukünftige Rolle besorgte deutsche Auslandsgeheimdienst den Eindruck habe erwecken wollen, dass ein weltweites Netzwerk von Atomschmugglern existiere. Und zu diesem Zweck habe der BND das Scheingeschäft mit den drei Kleinkriminellen selbst eingefädelt, und das, obwohl der Plutonium-Lufttransport äußerst riskant gewesen sei.

In der Tat wäre es beim Absturz der B 737 zur Verseuchung des gesamten Großraumes München gekommen, denn Plutonium ist nicht nur stark radioaktiv, sondern auch extrem giftig. Nur 0,00027 Gramm des Elementes genügen, um einen Menschen zu töten. Und aus später offengelegten Berichten an den damaligen Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes, Staatsminister Bernd Schmidbauer (CDU), geht zweifelsfrei hervor, dass die deutschen Sicherheitsbehörden damals über keine ernstzunehmenden Hinweise auf einen Schwarzmarkt für spaltbares Material oder nuklearen Terrorismus verfügten.

Aufdeckung durch die Presse
Der damalige Oppositionsführer Rudolf Scharping (SPD) kommentierte die „Spiegel“-Enthüllungen mit dem Vorwurf, der BND habe den Atom-Deal nur inszeniert, um mehr Befugnisse zu bekommen. Das von Scharping unterstellte Ziel der Geheimoperation wurde insoweit erreicht, als im Oktober 1994 der Bundestag ein neues Verbrechensbekämpfungsgesetz verabschiedete, das den BND ermächtigte, an der Verfolgung der organisierten Kriminalität mitzuwirken. Des Weiteren nutzte Schmidtbauer die Verhaftung der drei Atomschmuggler, um ein russisch-deutsches Abkommen über die verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit zu schmieden und deutliche Erweiterungen der Kompetenzen des Europäischen Polizeiamtes Europol durchzusetzen.

Währenddessen drängte die Opposition auf die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Hintergründe und Auftraggeber der Operation Hades. Dieser Ausschuss sollte unter anderem ermitteln, „in welcher Weise Behörden des Bundes und weitere Personen in deren Auftrag oder mit deren Wissen an der Vorbereitung und Durchführung von Scheinverhandlungen und des Transports des illegalen Nuklearmaterials beteiligt waren“.

Vor dem Ausschuss, der im Mai 1995 zusammentrat, sagte unter anderem der spanische BND-V-Mann Rafael Ferreras Fernandez alias Rafa aus und bestätigte dabei die Berichte des „Spiegel“. Außerdem sagte er explizit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden die Aktion inszeniert hätten, um vor den beiden Wahlen von 1994 einen politisch nutzbaren Fahndungserfolg erzielen zu können.

Als Mitbeteiligte an der Aktion nannte Ferreras Fernandez, der möglicherweise bis zu 300.000 D-Mark Agentenlohn vom BND erhielt, den Madrider BND-Residenten und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) Peter Fischer-Hollweg, den BKA- beziehungsweise BND-V-Mann Karsten Uwe Schnell alias Roberto, den Leiter der BND-Abteilung 11A Willi Liesmann alias Michael Brandon und dessen Kollegen Mathias Hochfeld sowie Walter Boeden vom Bayerischen Landeskriminalamt, der die Rolle des Kaufinteressierten gespielt habe. Darüber hinaus berichtete der Spanier, er sei vor der Gerichtsverhandlung gegen die drei Schmuggler vom BND gedrängt worden, die Unwahrheit zu sagen, was die Rolle des Auslandsnachrichtendienstes betreffe.

Kritik durch die Opposition
Während des Verfahrens gegen Benítez, Oroz und Bengoechea vor der 9. Strafkammer des Landgerichtes München kam die Rolle des BND nicht zur Sprache. In der 23-seitigen Anklageschrift findet sich kein einziges Wort über den Geheimdienst. Stattdessen urteilten die Richter, dass das Bayerische Landeskriminalamt die Schmuggler mittels „einer klassischen polizeilichen Tatprovokation“ aufs Glatteis geführt habe.

Und genauso lautete dann auch das Abschlussergebnis der Beratungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages vom 23. Juni 1998 nach 44 öffentlichen und 36 nichtöffentlichen Sitzungen sowie der Anhörung von 78 Zeugen oder Sachverständigen: Die bayerische Polizei und die Münchner Staatsanwaltschaft hätten das behördliche Handeln in entscheidender Weise bestimmt, während die Vorwürfe an den BND bezüglich des „Einfädelns“ des Plutoniumhandels haltlos seien. Dennoch blieben die Vertreter der Opposition bei ihrer Version, dass der BND „das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst verletzt und sich ... wie eine Polizei eigener Art im Inland“ aufgeführt habe. Dazu komme noch die bewusste Hinnahme des „in seinem Gefährdungspotential unkalkulierbaren Plutoniumtransportes im Koffer von Moskau nach München“.

Zu keinem einhelligen Ergebnis gelangte der Ausschuss auch in der Frage, woher das Plutonium stammte. Bis heute steht der Verdacht im Raum, dass der BND das Nuklearmaterial im Westen besorgt und nach Moskau gebracht habe, um es dann dort den Schmugglern zuzuspielen.


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