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Kino

Eine modern frisierte Sisi

Am Ende sind die Haare ab – Ein neuer Film über Elisabeth von Österreich dekonstruiert das gewohnte Bild der Kaiserin

Silvia Friedrich
09.07.2022

Sisi-Verehrer, die sich das zuckersüße Image der österreichischen Kaiserin im Kinodreiteiler aus den 1950er Jahren erhalten möchten, sollten einen Bogen um den in dieser Woche gestarteten neuen Kinofilm „Corsage“ machen. Denn wer die neue „Sisi“-Darstellung der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer sieht, wird Kaiserin Elisabeth, meisterhaft gespielt von der luxemburgischen Schauspielerin Vicky Krieps, für immer mit anderen Augen betrachten müssen.

Das Romy-Schneider-Idyll der Nachkriegszeit wird gewissermaßen neutralisiert. Doch wer ins Kino zu gehen wagt, wird trotzdem reichlich belohnt. So nah ist bisher niemand der Kaiserin gekommen, die, wie der Film verdeutlicht, doch einfach nur als empfindungsreiche Frau gesehen werden wollte und nicht als maskenhaft erstarrte Kultfigur, die von allen nur neugierig bestaunt wird. Schon bei diesem Aspekt zeigen sich die Aktualität des Films und Parallelen zur Gegenwart. Berühmtheiten der Gegenwart müssen sich tagtäglich damit abfinden, dass ihr Leben in der Öffentlichkeit stattfindet, und nicht wenige der „Personen öffentlichen Interesses“ gehen daran kaputt.

Kreutzer beleuchtet einen Abschnitt im Leben der Kaiserin, der nichts mehr mit dem jungen Mädel aus Bayern zu tun hat. Stattdessen stellt er die reife Frau von 40 Jahren in den Mittelpunkt. In diesem Alter, so heißt es, sei eine Frau aus dem Volk im 19. Jahrhundert bereits am Ende ihrer Lebenserwartung angelangt gewesen.

Weihnachten 1877 begeht Sisi ihren „hochbetagten“ Geburtstag mit einer prunkvollen Feier, an der sie am liebsten nicht teilnehmen möchte und unter der sie eher leidet. Die Gäste singen ein Geburtstagslied und wünschen ihr: „Schön soll sie bleiben!“ Nur darum geht es in ihrem Leben: repräsentieren, den Mund halten, jung und schön bleiben. Die wissbegierige und intelligente Frau erstickt beinahe an diesem Erwartungsdruck, was sich nicht nur am Filmtitel „Corsage“, sondern auch am historisch belegten und im Film gezeigten Tagesablauf zeigt.

Ein selbstauferlegter, starrer Tagesplan bestimmt ihr Leben, bestehend aus Sport treiben, hungern und Schönheitspflege. Tägliches Wiegen und Messen der Taille gehören ebenso dazu wie zwei dünne Scheiben Orangen zum Abendessen oder klare Suppe. Wann immer sie ihren Mann, Kaiser Franz Joseph, dargestellt von Florian Teichtmeister, zum politischen Geschehen befragt, blockt dieser rigide ab. Sisi soll repräsentieren, dafür habe er sie ausgesucht.

Sisi im Heroinrausch

Der Kaiser muss klingeln, wenn er seine Frau besuchen möchte. Sie leben in getrennten Apartments. Wer sich mit Sisi-Biografien beschäftigt hat, weiß das natürlich schon. Es im Film zu sehen, ist eine andere, eher befremdliche Sache. Während Elisabeth in einer Szene ihren Vetter, König Ludwig II. von Bayern, in ihrer separaten Schlosswohnung beherbergt und ihn in die Geheimnisse des willkürlichen „In-Ohnmacht-Fallens“ einweiht, steht „F.-J.“, wie sie ihren Angetrauten despektierlich zu nennen pflegt, wartend vor der Tür und läutet. Ob seine Gemahlin diesmal die Tür öffnet, ist unsicher. Meist geht er nach einer Weile des Wartens davon. Eine romantische Vorzeige-Ehe sieht anders aus.

„Mit einem Kilo Blech auf dem Kopf rumstehen und sich begaffen lassen“, hasse sie, lässt Sisi wissen und erklärt ihrem Gatten später, warum sie schon wieder mittels einer vorgetäuschten Ohnmacht aus einer solchen Situation geflohen war. Als Sisi nach einem Disput mit ihrem Ehemann im Zimmer der erstgeborenen, als Kleinkind verstorbenen Tochter Sophie deren Konterfei an der Wand betrachtet, sagt sie wie zu sich selbst: „Hauptsache, wir hinterlassen ein schönes Bild.“

Ihr Widerstand wächst, Selbstmordgedanken kommen auf, und nur die vielen Reisen, um dem höfischen Geschehen zu entfliehen, lassen sie dieses Leben ertragen. Um ihren Depressionen entgegenzuwirken, verabreicht ihr ein Arzt Heroin mit den Worten: „Ein Mittel, das gänzlich harmlos ist und beruhigend wirkt.“

Der Film ist an einigen Stellen nicht historisch korrekt, doch das sei gewollt, lässt die Regisseurin wissen. Häufig gibt es Brüche, auch musikalischer Art, wenn moderne Poplieder eingespielt werden oder technische Neuerungen gezeigt werden, die es damals noch nicht gab. So verweisen diese Stilmittel auf das Heute. Wenn es nur historisch um die Probleme der Kaiserin gegangen wäre, hätte es Kreutzer nicht interessiert. Etliche der angerissenen Problematiken sind hochaktuell, da sie auch Frauen von heute betreffen. Noch immer sollen diese hauptsächlich schön, jung und perfekt sein.

Historisch korrekt jedoch ist, dass die Kaiserin sich ab dem 32. Lebensjahr nicht mehr fotografieren und sich bei offiziellen Anlässen durch eine Hofdame mit Schleier im Gesicht vertreten ließ. Spannend findet Kreutzer, dass diese Frau vor aller Augen verschwunden ist und ihr Gesicht nicht mehr zeigen wollte. Diese Geschichte habe in ihr die Drehbuchhandlung entstehen lassen.

In diesem Film erhält Sisi einen völlig neuen Ausweg. Sie selbst entledigt sich ihrer meterlangen Haare, was „F.-J.“ so kommentiert: „Als wäre ein Teil von dir gestorben.“ Elisabeth darf öffentlich rauchen, zeigt sogar der Gesellschaft den Mittelfinger (was damals sicher nur wenige Damen von Rang kannten) und endet schließlich anders als im wahren Leben.
Der Zuschauer fühlt von Beginn an mit der klugen Frau mit und wünscht dieser, dass sie sich aus dem Korsett für immer befreien kann. Dank dieser neuen Sicht auf die unbekannten Seiten der Sisi ist letztlich ein gelungener Film entstanden, der die 50er-Jahre-Filme aber keineswegs in den Schatten stellt.


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