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Wahlklatschen, Rücktritte der Parteispitze und Austritte der Jugend: Die lange erfolgsverwöhnten Grünen erleben selten düstere Herbsttage. Es scheint, dass das gegenwärtige Tief nicht so schnell vorbeizieht. Kommt jetzt das „Bündnis Robert Habeck“?
Man konnte darauf warten, mancher hat es lange kommen sehen: Den großen Knall, Massenaus- und Rücktritte bei den Grünen, vor allem der Grünen Jugend – eine veritable Parteikrise, die einen neuen Richtungsstreit hervorrufen wird. Über und hinter allem thront Robert Habeck, der erfolgloseste Bundeswirtschaftsminister seit Menschengedenken. Was ihn freilich nicht im Geringsten daran hindert, seine Kanzlerkandidatur vorzubereiten – und das bei Umfragewerten, die die Partei im Moment bei rund zehn Prozent sehen.
Deshalb betreibt er zuallererst eine innerparteiliche Flurbereinigung: Ricarda Lang und Omid Nouripour, die beiden glücklosen Vorsitzenden, waren die ersten Bauernopfer. Schon spekulieren Witzbolde über eine Umbenennung von „Bündnis 90/Die Grünen“ in „Bündnis Robert Habeck“. Dazu passt, dass die beiden neuen Vorsitzenden, darunter Habecks Vertraute, Staatssekretärin Franziska Brantner, schon festzustehen scheinen – par ordre de Mufti. Will Habeck, der ewig schwurbelnde Welterklärer mit Hang zum ideellen Wärmepumpeninstallateur, jetzt die ganze Macht an sich reißen? Aber machen das die einst „basisdemokratischen“ und streitlustigen Grünen mit? Viele Anzeichen deuten auf eine scharfe Grundsatzdebatte über die Zukunft der Ökopartei: Will man eher links und antikapitalistisch sein, um die Welt doch noch zu retten, oder lieber Richtung Mitte streben, freilich klimabewusst und vegan, stets auf dem Lastenfahrrad zum Biomarkt unterwegs, hinein ins bürgerliche Bullerbü?
Ende eines Zeitgeists
Der aktuelle Niedergang der Grünen jedenfalls korrespondiert mit dem markanten Abflauen des grünen Zeitgeists, der eine seiner letzten Bastionen ausgerechnet in den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien und bei Presseorganen wie „Spiegel“, „Zeit“ und „Süddeutsche“ verteidigt. Die drängenden Probleme der Wirklichkeit „draußen im Lande“ – illegale Migration, Gewaltkriminalität, steigende Energiekosten und eine handfeste Wirtschaftskrise im Verein mit einer immer weiter wuchernden Bürokratie – haben nicht nur die Wahlergebnisse für die Grünen dramatisch in den Keller sausen lassen.
Auch der Sound der moralischen Überheblichkeit, die notorische grüne Belehrungs- und Bekehrungsideologie hat dazu geführt, dass die vor 45 Jahren als radikale „Alternative“ gegründete Ökopartei, zuletzt führende Kraft des bundesdeutschen Establishments, regelrecht zum Feindbild eines Großteils der Bevölkerung geworden ist. Vom Gendern bis zur notorischen „Wärmewende“, von der „Transformation“ der Gesellschaft bis zum queer-woken Trommelfeuer aus Vielfalt, Antidiskriminierung und Nachhaltigkeit – die grüne Phrasenkultur hat sich regelrecht zu Tode gesiegt und erzeugt bei einer Mehrheit nur noch Verdruss und offene Ablehnung.
Da hat sich im Lauf der Jahre viel angestaut: Hier die ewig gleiche Talkshow-Welt mit den immergleichen Gästen, die ihre immergleichen Glaubensbekenntnisse ablegen, dort die ganz konkreten Probleme mit Wohnungsnot, Flüchtlingsunterbringung, Schulmisere, Landflucht und Ärztemangel.
Mühevolles Ringen mit der Realität
Die Kolumnistin Sabine Rennefanz formulierte in seltener Deutlichkeit: „Dass das Land sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert hat, dass es unsicherer geworden ist in den Schwimmbädern, auf den Straßen, auf Partys, im Nahverkehr, das wollen oder können die Grünen offenbar nicht sehen. Und nein, da hilft auch nicht: mehr Geld für Städte und Kommunen, weil die Kapazitäten auf allen Ebenen fehlen. Allein aus Syrien sind in den vergangenen Jahren fast eine Million Menschen gekommen. Wer so tut, als würde das die Gesellschaft nicht verändern, auf Jahrzehnte, stellt sich blind.“
Erst jetzt, zehn Jahre nach Beginn der massenhaften Migration nach Deutschland, besinnt sich unter dem Druck der Verhältnisse der eine oder andere Grüne und nähert sich der Realität an. So Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der in der „FAZ“ sehr persönlich wurde, weil seine Tochter in Berlin vor allem sexueller Belästigung durch junge Männer mit Migrationshintergrund ausgesetzt sei. „Gegen solche Übergriffe hat sie sich, wie viele Frauen, das sprichwörtliche dicke Fell zugelegt“, berichtet Özdemir. „Doch ich spüre, wie sie das umtreibt. Und wie enttäuscht sie ist, dass nicht offensiver thematisiert wird, was dahintersteckt: die patriarchalen Strukturen und die Rolle der Frau in vielen islamisch geprägten Ländern.“
Beharrungskräfte in der Blase
Deutschland, so der aus einer türkischen Gastarbeiterfamilie stammende Özdemir, müsse das Thema Migration dringend angehen, damit eine Debatte darüber überhaupt wieder möglich werde: „Es kommen eben gerade nicht nur die Verletzlichsten und Schutzbedürftigsten aus den Krisengebieten der Welt, sondern in ganz überwiegender Zahl die Stärkeren, das heißt junge Männer.“ Diese Entwicklung höhle zunehmend die Akzeptanz für das Grundrecht auf Asyl aus und führe zu massiven gesellschaftlichen Verwerfungen.
Doch weite Teile der Partei verharren in der „Willkommenskultur“, lehnen Abschiebungen und Grenzkontrollen ab. Die jahrelang verhinderte konsequente Bekämpfung arabisch-islamischer Clans steht bei vielen immer noch unter „Rassismus“-Verdacht, und selbst um verurteilte afghanische Vergewaltiger sorgt man sich, wenn sie nach Kabul ausgeflogen werden. Derweil assistieren nach wie vor weite Teile der linksgrün gefärbten Medien bei der einschlägigen Realitätsabwehr. Ein typischer „Spiegel“-Kommentar dieser Tage:
„Getrieben von den Hetzern der AfD und ihren jüngsten Wahltriumphen im Osten, scheint es nur noch darum zu gehen, Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende mit allen Mitteln abzuwehren – auch wenn dabei mühsam ausgehandelte EU-Regeln ausgehebelt werden. Die Menschenrechte spielen ohnehin nur noch eine untergeordnete Rolle. Das bisschen christliche Humanität, das sich etwa die C-Parteien bewahrt haben, wird auf dem Altar des Populismus geopfert.“
„Sagen, was ist“ – die berühmte Parole des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein gilt hier als Verstoß gegen den Kodex der politischen Korrektheit. Doch die sprichwörtliche „Tyrannei der Tugend“ zieht nicht mehr, und die sich progressiv dünkenden urbanen Milieus entfremden sich immer mehr vom Rest der Bevölkerung, zu der inzwischen auch Millionen Menschen mit dem sogenannten Migrationshintergrund gehören. Private Blitzumfragen unter Berliner Taxifahrern, Handwerkern und Gemüsehändlern offenbaren die ganze Unbeliebtheit jener Partei, die einst als unverbrauchte „Alternative“ zu allen anderen „Alt“-Parteien angetreten ist. Diese Position hat inzwischen die AfD eingenommen. Im Osten ist sie schon Volkspartei.
Ein grünes Godesberg?
Dies alles geschieht mitten in der Dauerkrise der „Ampel“-Koalition, die womöglich den Heiligabend nicht mehr erlebt. Der aktuelle Habeck-Coup mag ein Versuch sein, aus dem Krisenmodus herauszukommen und sich schon für die nächste Bundestagswahl, wann immer sie kommt, neu aufzustellen. Doch er könnte auch krachend scheitern, weil eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei noch in den Sternen steht. Eigentlich müssten die Grünen eine Art Bad Godesberg anstreben
– einen Abschied von überkommenen Grundsatzpositionen, wie ihn die SPD im November 1959 mit großer Mehrheit beschloss: weg von der sozialistischen Arbeiterpartei, hin zu einer sozialen Volkspartei, die die Marktwirtschaft ebenso befürwortet wie die NATO-Mitgliedschaft und militärische Landesverteidigung. Für die Grünen hieße das: Weg vom Moralisieren, weg von der Gesinnungsethik, hin zu einer Verantwortungsethik, die sich auch unangenehmen Problemen wie den fatalen Folgen der ungebremsten Migration stellt ebenso wie den Fehlentwicklungen einer dirigistischen Wirtschaftspolitik, die mit ihrer Regelungswut den Wohlstand untergräbt.
Doch es ist äußerst fraglich, ob es zu einem derart historischen Moment kommen wird, wenn sich die Grünen zum Parteitag Mitte November treffen. Zu sehr stecken auch die Jüngeren, die Nachkommen von Jutta Ditfurth, Joschka Fischer und Jürgen Trittin, noch in den Gründungsmythen der Partei, die immer so ganz anders sein wollte als die „Herrschenden“.
Auch wenn sich viele Utopien längst an der grauen Alltagswirklichkeit zerschlissen haben und statt fröhlicher Anarchie und Chaos sich ein technokratisches Funktionärswesen herausgebildet hat – man hängt an den schönen Ideen einer klimaneutralen, sozial gerechten und friedlichen Zukunft für alle „Erdenbewohner*innen“. Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie sich diesem schönen Ziel systematisch verweigert.
Die Ära Merkel ist vorbei
Auch Robert Habeck, der möglicherweise ein Philosoph geblieben wäre, wenn er öfter einmal geschwiegen hätte, kann daran nichts ändern. Aber er will offensichtlich versuchen, den Abgrund zwischen grüner Ideologie und gesellschaftlicher Realität etwas kleiner, freundlicher und weniger bedrohlich erscheinen zu lassen. In der modernen politischen Kommunikation nennt man das auch „Brücken bauen“, „Zusammenhalt stärken“ und „die Menschen mitnehmen“.
Das klingt nicht zufällig nach der Merkel-Agenda – den Leuten das gute Gefühl vermitteln: Ich mache das schon für Euch, Ihr müsst mich nur wählen. Und es ist ja so: Die meisten wollen vor allem in Ruhe gelassen werden, wenn sie sich nur sicher fühlen, die Wirtschaft einigermaßen läuft und der nächste Sommerurlaub gebucht ist. Kann Merkel-Fan Habeck also auf diese Strategie setzen, trotz aller Transformationsbegeisterung?
Nein, denn die Zeiten sind nicht so, jedenfalls nicht mehr. Dass überall in Europa die politische Mitte zugunsten der Ränder rechts wie links schrumpft, ist gerade keine Einladung, es sich im Mainstream gemütlich zu machen. Dazu kommt, dass Habeck, anders, als er offenbar selbst glaubt, kein charismatischer Stimmenfänger ist, kein politisches Zugpferd für seine Partei, wie auch aktuelle Umfragen zeigen. Zu viel hat er selbst falsch gemacht, zu sehr ist sein Ruf als „starker Mann der Grünen“ (ZDF) ramponiert – wie das Ansehen der Grünen insgesamt.
Und die ersten Fernsehauftritte der neuen Garde – von Franziska Brantner bis Andreas Audretsch, künftiger Wahlkampfleiter der Grünen – lassen wenig Hoffnung auf den großen programmatischen Umbruch. Viele Worte, wenig Neues.
Es ist unbestreitbar: Das politische Momentum in Deutschland wie in Europa liegt derzeit in der rechten Mitte. Die Grünen
werden sich vorerst mit der Rolle einer „Funktionspartei“ abfinden müssen – das also, was über Jahrzehnte die FDP war. Bundeskanzler wird man so allerdings nicht.
Reinhard Mohr ist freier Autor und schreibt unter anderem für „Die Welt“ und die „Neue Zürcher Zeitung“. Zuletzt erschienen „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (2021) sowie „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ (2023, mit Henryk M. Broder, beide Europa Verlag). www.europa-verlag.com