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Wo Englands Atlantikküste am südwestlichsten ist, liegt zwischen den Orten Marazion und Porthleven die Prussia Cove. Ihren Namen verdankt sie einem legendären, angeblich Friedrich dem Großen ähnelnden Schmuggler
Schroffe Steilhänge und üppige Gärten, süße Cottages und gediegene Herrenhäuser mit weitläufigen Parks – die südwestenglischen Grafschaften Cornwall und Devon bieten ideale Kulissen, um sich selbst ins viktorianische Zeitalter zu versetzen. Doch auch die jüngere Kulturlandschaft hat es in sich. Es wundert wenig, dass die Liebesgeschichten von Rosamunde Pilcher vor allem hier, in den küstennahen Gegenden Cornwalls, spielen.
Wo Englands Atlantikküste am südwestlichsten ist, mag der aufmerksame Besucher zwischen den Orten Marazion und Porthleven verwundert auf die recht kleine Preußen-Bucht stoßen. Prussia Cove ist – das wissen Einheimische sehr zu schätzen, wie ein PAZ-Interview mit Anwohnern ergab – bei Touristen kaum bekannt. „Prussia Cove is an Enigma“, bestätigt etwa der junge George Nixon, der in einem Haus oberhalb der Bucht wohnt.
Nixon erklärt im Gespräch auch, wie die Bucht zu ihrem Namen gekommen ist. Die erste Mutmaßung, dass Preußen in der Bucht gesiedelt haben, schiebt Nixon lachend beiseite. Nein, die Bucht sei nach einem sagenumwobenen örtlichen Schmuggler aus dem 17. Jahrhundert benannt worden. Und der habe wie der preußische König ausgesehen. Bis 1701 gab es allerdings gar keinen König in Preußen. Eine umgehend eingeleitete Recherche der PAZ in der Bibliothek der nahen Stadt Penzance hat die Geschichte zwar grundsätzlich bestätigt, aber stattgefunden hat sie vor allem Ende des 18. Jahrhunderts.
Im Zentrum steht ein Haudegen von Seemann, dessen Familie namens Carter in einem noch heute an der Küste stehenden Haus gelebt hat. Die Carters of Prussia Cove gehörten zu den berühmtesten Schmugglern Cornwalls. Von ihrem geschützten Zufluchtsort an der Südküste Cornwalls aus hatten sie von 1770 bis etwa 1807 die Kontrolle über den Schmuggelhandel. Die Brüder John (1738–1803) und Harry Carter (1749–1809) dieser gefeierten Ganovenbande sind die zentralen Protagonisten, wobei John aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit zum preußischen Monarchen Friedrich der Große bereits von jung an „König von Preußen“ genannt wurde, ein Titel, den er auch als Erwachsener noch trug und der später der Bucht den Namen gab.
Schmugglerfamilie Carter
Abgesehen von einer Autobiografie Harry Carters, „The Autobiography of a Cornish Smuggler“, stammt das meiste, was über die Familie bekannt ist, aus Erzählungen und lokalen Legenden. So soll der „König von Preußen“, als ihm gerade von den Behörden Schmugglerware abgenommen worden war, diese nach dem Abtransport heldenhaft zurückerobert haben, wie Nixon schildert. Tatsache ist jedenfalls, dass der Aufstieg der Familie zu Ruhm und Reichtum historisch in eine Zeit britisch-französischer Auseinandersetzungen fiel, in welcher der Spielraum für individuelle Unternehmungen außerhalb der Gesetze groß war.
Der Unabhängigkeitskrieg in Amerika und die Wirren der Französischen Revolution eröffneten viel Raum für Piraterie und Schmuggel. Regelmäßig wurden Schiffe aller Nationen im Ärmelkanal angehalten, ihre Ladung erbeutet und ihre Besatzungen gefangengenommen. Während die Royal Navy ausländische Häfen blockierte, litten die britischen Handelsschiffe unter der Gewalt der französischen und amerikanischen Marine. Die Piraterie war quasi lizensiert, um dem Mangel an Handelsgütern etwas entgegensetzen zu können.
Die Carter-Familie war zunächst an Kaperfahrten während der Kriege Großbritanniens gegen Amerika, Frankreich, Spanien und die Niederlande beteiligt und erhielt für mehrere ihrer Schiffe Freibeuterbriefe. Eines der von Harry Carter befehligten Piratenschiffe ging dadurch verloren, dass es von den französischen Behörden beschlagnahmt wurde, als es in der Bretagne zur Reparatur anlegen musste.
Dass man gleichwohl nicht nur am Steuersystem vorbeilaufen konnte, belegt ein anderer Vorfall. Am 31. Januar 1788 brachte Harry Carter eine Fracht mit der „Revenge“ nach Cawsand südlich von Plymouth, um dort ein wartendes Team seines Bruders Charles aufzunehmen. Die Schiffsluken wurden für zwei Boote geöffnet, von denen Carter annahm, dass sie Teil des Landungstrupps waren. Die Boote stammten allerdings von der königlichen 16-Kanonen-Schaluppe „Druid“. Die „Revenge“ feuerte auf die „Druid“, tötete eines der Besatzungsmitglieder und verletzte sieben weitere, bevor das eigene Schiff geentert wurde. Harry Carter wurde bei dem Kampf an Bord der Revenge schwer verletzt und entging der Gefangennahme nur, indem er sich über Bord warf und sich an den Schiffstauen ans Ufer zog. Zehn der Schmuggler wurden gefangen genommen und – wie in Kriegszeiten üblich – in die Marine übernommen, sechs wurden getötet.
Blüte Ende des 18. Jahrhunderts
Für Kapitän Carters Gefangennahme wurde eine Belohnung von 300 Pfund ausgesetzt, aber er entging dem Zugriff und versteckte sich auf Acton Castle im Westteil Cornwalls. Später ging er mit Hilfe der Familie Dunkin, einer weiteren Schmugglerfamilie aus Penzance, an Bord von deren Schiff „George“ ins amerikanische Exil. Charles Carter wurde wegen Zollvergehen verurteilt und möglicherweise ausgleichsweise zur Marine „gepresst“.
Der „König von Preußen“, John Carter, starb 1803. Das Anwesen wurde noch im selben Jahr verkauft. Die große Zeit der Carters war damit vorüber, der Schmuggel in Cornwall wurde von den Zollbehörden insgesamt mit Beginn des 19. Jahrhunderts konsequent bekämpft.
Was bis heute in der Preußen-Bucht geblieben ist, sind der Rufname eines berüchtigten Haudegens, der wie ein preußischer Monarch aussah, das Haus oberhalb der Bucht, zwei zugemauerte Schmuggler-Höhlen und ein Paar Furchen im Gestein. Letztere weisen darauf hin, dass die schwere Schmugglerware vor allem mittels einer Art Lore über das Gestein in die Bucht gezogen worden ist. Es versteht sich von selbst, dass der „König von Preußen“ auch als Bühnenstück für einheimische Laientheater geschrieben worden ist. Eine sagenhafte Räuberpistole halt.