Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Als russlanddeutsche Aussiedlerin aus Kasachstan über Wiesbaden zur Oberin eines Frauenklosters in Juditten
Es gibt viele Menschen, die in einem reifen Alter zum orthodoxen Glauben kommen. Aber nicht jeder von ihnen wählt den Weg des klösterlichen Dienstes. DochSophia Herchenreder hat ihn gewählt. Ihre Vorfahren zogen einst aus dem Hamburger Raum in das Wolgagebiet, aus dem die Großeltern 1937 vertrieben wurden. Sie wurden zuerst unter Kommandantur nach Sibirien geschickt, dann zogen sie nach Kasachstan. Von dort konnten sie 1988 nach Deutschland ausreisen. Sophia war damals gerade erst 17 Jahre alt. Bis 2006 lebte sie fortan in Wiesbaden. Die 1971 in Kasachstan Geborene hatte dort eine Krankenpflegeausbildung begonnen, die sie 1996 in Alzey abschloss. Im lutherischen Glauben erzogen und mit 19 Jahren in dieser Kirche getauft, fand sie allmählich aber zur russischen Orthodoxie, auch weil sie in Wiesbaden Kontakte zur russisch-orthodoxen Kirche St. Elisabeth hatte. Eine prächtige Kirche, die 1868 für die vielen Russen gebaut wurde, die den mondänen deutschen Kurort Mitte des 19. Jahrhunderts besuchten, darunter auch Dostojewski, der in Wiesbaden seinen Roman „Der Spieler“ schrieb.
Noch wichtiger aber wurde für sie die orthodoxe Kirche Maria Magdalena in Darmstadt. Sie wurde sogar auf russischem Boden erbaut, denn nach der Heirat des Thronfolgers, dem späteren Zaren Nikolaus II., mit der Prinzessin Alexandra von Hessen-Darmstadt, der späteren Zarin Alexandra Fjdorowna, wurden ganze Fuhrwerke mit Erde aus Russland nach Darmstadt gebracht. Mit der Heiligsprechung der Zaren-Familie im Jahre 2000 wurde auch eine geistige Verbindung zwischen Darmstadt und dem orthodoxen Russland hergestellt, denn aus Darmstadt stammen zwei russisch-orthodoxe Heilige, denn auch die ehrwürdige Märtyrerin Elisabeth, Schwester von Alexandra Fjdorowna, stammte aus Darmstadt. Sie wurde sogar nach der Ermordung ihres Mannes, Großfürst Sergej Romanow, 1905 selbst Äbtissin in Jerusalem und starb kurz nach der Ermordung der Zarenfamilie 1918 als Märtyrerin in Jekaterinburg.
Beeinflusst durch Äbtissin Elisaweta Koltsowa
1997 lernte Sophia Herchenreder die russische Äbtissin Elisaweta kennen, als sie noch nicht Äbtissin eines Klosters in Königsberg war, sondern als Teil einer Pilgergruppe in die Bundesrepublik kam. Die Gespräche mit ihr beeinflussten Sophia, und schon bald stand ihr Entschluss fest, sich zum orthodoxen Glauben zu bekennen. Elisaweta Koltsowa lud sie nach Königsberg ein. Dort wurde Sophia am 23. Mai 1998 in Kobbelbude [Swetlyj] bei einem ihrer Besuche in Nord-Ostpreußen orthodox getauft. Eine Taufe in Darmstadt wollte sie nicht, da die dortige Kirchengemeinde damals noch nicht zum Moskauer Patriarchat gehörte. Eine wichtige Rolle spielte eine Reise im Jahr 2000 über Moskau nach St. Petersburg zum Alexander-Swirskij-Kloster nach Walaam in Karelien. Dieser einst größte Klosterbezirk Russlands, der in der Sowjetzeit als größtes Gulag-Zentrum des Landes missbraucht worden war, machte einen unvergesslichen Eindruck auf die junge Russlanddeutsche. In der damals noch nicht wieder hergestellten Verklärungskathedrale in Walaam erlebte sie die Authentizität und Größe des orthodoxen Christentums, aber auch die große Erniedrigung dieser Kirche in der Sowjetzeit.
Die Entscheidung, anschließend nach Russland zurückzugehen, fiel ihr nicht leicht. Es dauerte, bis sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekam, da sie ihren deutschen Pass behalten wollte. 2002 trat sie in das Elisabeth Kloster in Königsberg ein und erhielt die Tonsur, im Oktober 2006 wurde sie Nonne. Nachdem sie am 27. Mai 2009 zur Äbtissin ernannt worden war, besuchte sie im Juli bereits wieder Walaam für den Patriarchatsgottesdienst. Ebenfalls anwesend waren der neu ernannte Bischof von Königsberg Seraphim, Vater Kornilij und die Nonne Theodosia, die Sekretärin des Bischofs. Neben dem Klerus waren auch der damalige Vizegouverneur Jurij Schalimow sowie der Stadtbürgermeister Alexander Jaroschuk eingeladen, was die Wichtigkeit des Amtes einer Äbtissin in der Orthodoxie beweist.
Ahnungslos zur Äbtissin erkoren
Ihr erstes Treffen mit dem Metropoliten von Smolensk und Königsberg Kyrill, dem heutigen Patriarchen, fand um das Jahr 2000 statt. Sophia war auf einer Pilgerreise zur Smolensker Ikone der Hodegetria. Dann wurden die Begegnungen häufiger, meist im Kloster der ehrwürdigen Märtyrerin Elisabeth im Nordteil des Königsberger Gebiets, als Sophia bereits die Tonsur abgelegt hatte.
Warum sie Äbtissin in Juditten, der ältesten Kirche der Region, wurde, ist ihr bis heute ein Rätsel. Bischof Seraphim rief sie eines Tages zu sich und sagte, er würde sie gerne als Äbtissin des Klosters St. Nikolaus in Juditten sehboden. Sie lehnte ab. Aber als sie die Entscheidung der Synode auf dem Papier sah, akzeptierte sie doch. Die Kirche von Juditten gilt als „Mutter der Kirchen von Königsberg“, da sie 1985 die erste in diesem Gebiet eröffnete orthodoxe Kirche war und auch als ältester Kirchenbau der Region gilt. Die im 13. Jahrhundert erbaute Kirche war erst eine katholische Ordenskirche, dann eine lutherische Pfarrkirche und jetzt eine orthodoxe Klosterkirche. Durch das Dekret des Heiligen Synods vom 5. Mai 2015 wurde das Diözesan-Nonnenkloster St. Nikolaus der Stadt Königsberg aufgehoben. Die Äbtissin mit ihrer Gemeinschaft zog nach Dedawe/Deimehöh [Isobilnoje]
20 Kilometer nordöstlich von Königsberg um. Dort war um 2000 ein russisch-orthodoxes Nonnenkloster auf dem Gelände eines deutschen Gutshauses gebaut worden. Das Gutshaus selbst fungiert als Gästehaus für Pilger. Das Gotteshaus verfügt über eine bekannte Ikone der Gottesmutter „Derschawnaja“.