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Hygiene erlebt gerade eine Renaissance. Dabei war sie schon zu allen Zeiten wichtig. Dafür gab es Badehäuser wie in Bad Windsheim
Es zischt und dampft, als der Badeknecht die Badsteine im Ofen mit Wasser übergießt. Hartgesottene haben die Oberbank im Badehaus erklommen, dort wo die Hitze am größten ist. Auf den unteren Bänken besprengt man sich mit Wasser. Andere nutzen die belaubten Zweige, um die nackte Haut damit zu massieren. Wieder andere lassen sich von Gehilfen des Baders den Rücken reiben oder den Kopf einseifen und scheren. Manche nehmen ein Wannenbad. Wieder andere sind mit heißen Schröpfköpfen bespickt, aus denen das Blut über den Rücken rinnt. Solche und andere Szenen von mittelalterlichen Baderitualen überliefern zeitgenössische Bildquellen.
Grundlage der Anwendungen ist die Lehre von den vier Säften Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle, die in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen sollten. Dazu leitete man überflüssige Körpersäfte durch Schwitzen oder Schröpfen aus. So schreibt etwa Hildegard von Bingen in ihrem Werk „Causae et Cura“: „Wer aber fettes Fleisch hat, dem ist das Schwitzbad gut und nützlich, weil er die Säfte, die in ihm überflüssig sind, durch dasselbe einschränkt und verringert.“ Basierend auf der hippokratischen Medizin, erhielt sich die Säftelehre von der Antike im 5./4. Jahrhundert v. Chr. bis ins 18. Jahrhundert.
Warme Bäder waren aber auch gefürchtet. Die Angst ging auf den noch im 18. Jahrhundert vorherrschenden Glauben an Miasmen zurück. Mit Miasmen bezeichnete man krankmachende Materie, die durch faulige Prozesse entsteht. In Gestalt übler Ausdünstungen, vulgo Gestank, so dachte man, gelangten diese „Ansteckungsgifte“ in Wasser und Luft. Über die Atmung und die Haut würden sie dann vom Körper aufgenommen. Durch die vom Bad geöffneten Poren, so die Befürchtung, könnten Miasmen besonders ungehindert in die Haut eindringen. Vornehme und Adelige wechselten daher lieber öfter die Wäsche und parfümierten sich, als warme Bäder zu nehmen.
Im Zuge der Aufklärungsmedizin erlebte das Badewesen eine Renaissance, die bis heute anhält. Die Haut wurde nun als Organ des Ein- und Ausatmens betrachtet, das mit Wasser reinzuhalten war. Als ab 1880 Bakteriologen beinahe jedes Jahr einen spezifischen Keim als Erreger einer Infektionskrankheit identifizierten, stieg die Bakteriologie zur Leitwissenschaft in Deutschland auf. Durch Erhitzen oder mit Desinfektionsmitteln konnten die Erreger abgetötet werden, um ein Eindringen in den Körper zu verhindern. Besonders im Nachkriegsdeutschland wurde Keimfreiheit zum neuen Ideal.
Inzwischen hat sich das Bild erneut gewandelt. Antibiotikaresistenzen und Krankenhauskeime lassen sich mit Desinfektionsmitteln nicht in den Griff bekommen. Allergien stehen im Verdacht, durch Keimfreiheit begünstigt zu werden. Denn man weiß inzwischen: Im menschlichen Körper leben etwa zehnmal so viele Bakterien wie Körperzellen. Die meisten von ihnen sind nicht schädlich, sondern notwendig für den Erhalt der Gesundheit. Sie produzieren beispielsweise Vitamine, die unser Körper nicht selbst herstellen kann, oder bringen unserem Abwehrsystem bei, gefährliche Eindringlinge zu erkennen.
Die Forschung über diesen „Mikrobiom“ genannten Kosmos hat zwar gerade erst begonnen. Doch schon werden Mikrobenmischungen, die sich positiv auf den menschlichen Stoffwechsel auswirken sollen, vermarktet.
Bis heute wird für Gesundheit und Wohlbefinden geschwitzt. Die Aufgüsse reichen von Honig bis Bier. Allein in der Frankentherme im Norden von Bad Windsheim laden von der Finnischen Sauna über das Brechelbad bis zur Zirbensauna acht Saunen zum Schwitzvergnügen ein.
Südlich der Altstadt ist man dabei, ein 500 Jahre altes Badehaus wieder aufzubauen. Seine (Neu-)Eröffnung soll in diesem Herbst stattfinden. „Mit heute 110 Gebäuden ist das Fränkische Freilandmuseum das größte Freilichtmuseum Süddeutschlands und eines der größten Deutschlands“, erklärt Museumsdirektor Herbert May, „damit ist Frankens Bauernhauslandschaft abgedeckt und nur noch Sonderbauten wie das spätmittelalterliche Badehaus aus Wendelstein bei Nürnberg werden transloziert.“ Translozieren heißt, das Gebäude abbauen, in Einzelteilen an seinen neuen Bestimmungsort bringen und dort originalgetreu wieder aufbauen.
Öffentliche Badehäuser mit festen Badezeiten besaß im Mittelalter jedes Dorf. Die Forschungen ergaben, dass das Wendelsteiner Badehaus 1450 auf der Grundlage eines älteren, im Ersten Markgrafenkrieg (1449/50) zerstörten Vorgängerbaus errichtet wurde. Es gilt damit als eines der ältesten und besterhaltenen Badehäuser Europas und ist nach Aussage von Restaurator Dieter Gottschalk das erste, das in einem Freilandmuseum zu sehen ist.
Rund zwei Millionen Euro kostet seine Wiederauferstehung. Dafür mussten Spenden fließen. „Die Kosten sprengen den Etat von jährlich fünf Millionen Euro, und zwar 4,5 Millionen fürs Personal und eine halbe Millionen für Baumittel“, so May. Dazu passend macht die Ausstellung „Sauberkeit zu jeder Zeit – Hygiene auf dem Land“ bis 13. Dezember im Freilandmuseum Bad Windsheim Station, bevor sie zu sieben weiteren Freilichtmuseen wandern wird. Thematisch ergänzt wird sie durch die Parallel-Ausstellung „Schwitzbaden, Schröpfen und Kurieren – Das Baderwesen in Franken seit dem Spätmittelalter“. Beide Schauen sind in der Ausstellungsscheune aus Betzmannsdorf zu sehen.
Die Geschichte der Hygiene findet derzeit eine aktuelle Fortsetzung. Das Coronavirus lehrt uns, dass sie uns auch heute noch vor erhebliche Herausforderungen stellt.
• Fränkisches Freilandmuseum: geöffnet täglich 9 bis 18 Uhr, vom 25. Oktober bis 13. Dezember von 10 bis 16 Uhr, nur im November und Dezember ist montags geschlossen.
www.freilandmuseum.de
Katalog zur Ausstellung
Sauberkeit zu jeder Zeit! Hygiene auf dem Land
Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, 19,95 Euro