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Wo Ablassprediger Tetzel einst Luther provozierte – Jüterbog feiert 850 Jahre Stadtrecht mit einer Festwoche vom 27. April bis 5. Mai
Bischof Thietmar von Merseburg berichtete über einen Feldzug aus dem Jahr 1007, der das Ziel hatte, ein polnisches Heer aus der Niederlausitz und dem Havelland zu vertreiben: „Wir kamen an einen Ort, namens Iutriboc, und es erschien den Klügsten nicht ratsam, mit einer so kleinen Schar Ritter sich dem Ort zu nähern.“ Ganz so furchteinflößend ist die Stadt Jüterbog heute nicht mehr. Ganz im Gegenteil, Besucher sind gern gesehen, gerade jetzt, wo sich am 29. April die Stadtrechtsverleihung zum 850. Mal jährt.
Mit der Ersterwähnung vor gut 1000 Jahren hat die Stadt schon etwas, womit sie im Land Brandenburg punkten kann. Dazu kommt eine schriftlich belegbare Stadtrechtsverleihung aus einer Zeit, als das wendische Fischerdorf Berlin noch auf keiner Landkarte verzeichnet war. Es war Erzbischof Wichmann, ein treuer Gefährte von Kaiser Barbarossa, der zwischen der Mark Meißen und der Mark Brandenburg seinem Bistum ein eigenes kleines Ländchen begründet hatte. Dank des Magdeburger Stadtrechts entwickelte sich die Kommune zu einer beachtlichen Handelsmetropole des Spätmittelalters.
Der Auftritt des Ablasspredigers Johannes Tetzel 1517 in Jüterbog gab Martin Luther im nahegelegenen Wittenberg den Anlass, seine 95 Thesen zu verfassen. Folglich gilt Jüterbog in der Reformationsgeschichte als „Stadt des Anstoßes“, wo übrigens der Begriff „Lutheraner“ für die neue Glaubensrichtung erstmalig niedergeschrieben wurde. Nicht zuletzt dank der besonderen politisch-geographischen Lage bot die Stadt beste Möglichkeiten für Kongresse und sogenannte Fürstentage. So einigten sich hier 1572 Kurfürst Johann Georg von Brandenburg und der mecklenburgische Herzog Johann Albrecht I. zu Gebietsgrenzen.
1611 befasste sich ein Fürstentag in der Stadt mit Herrschaftsansprüchen zu den Herzogtümern Jülich und Kleve. Vom Obersächsischen Reichskreis, der von Thüringen bis Pommern reichte, gab es von 1549 bis 1683 14 Kreistage in Jüterbog.
Des Preußenkönigs Garnisonstadt
Mit der Rolle einer „kleinen Schweiz“ war es infolge des Dreißigjährigen Krieges vorbei. Plünderungen und Seuchen dezimierten die Stadtbevölkerung von vormals 4000 auf 300 Personen. Das Land Jüterbog kam zu Sachsen, wo es zu einem vergessenen „Zonenrandgebiet“ wurde. Die großen Handelshäuser verfielen und wurden durch ärmliche Ackerbürgerhäuser ersetzt. Nur das Rathaus, die Kirchen und Stadttore, allesamt Werke der Spätgotik, trotzten dem Verfall.
200 Jahre brauchte die Kommune, um den Menschenverlust wieder wettzumachen. Erst 1855 hat die Stadt wieder die Einwohnerzahl von vor dem Dreißigjährigen Krieg. Im Ergebnis des Wiener Kongresses, als Sachsen drei Fünftel seines Landes an Preußen abgeben musste, erfolgte die Eingliederung Jüterbogs in die Mark Brandenburg. Ein Landrat des neu geschaffenen Kreises Jüterbog-Luckenwalde ersetzte nun einen sächsischen Kreishauptmann.
Eine Bürgerinitiative versuchte, wirtschaftliche Not zu lindern, indem man König Friedrich Wilhelm III. bat, in der Stadt eine Garnison zu gründen. 1832 gab es die gewünschten ersten Einquartierungen. 1841 erfolgte die Eröffnung der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Jüterbog zu einem wichtigen Knotenpunkt verschiedener Bahnstrecken. Da es bei der schnell wachsenden Reichshauptstadt Berlin Sicherheitsprobleme beim Schießplatz Tegel gab, ist dieser zusammen mit den Artillerieschießschulen 1890 nach Jüterbog verlegt worden.
Damit wurde der Grundstein gelegt für eine der größten Militärstädte Deutschlands. Neben der Artillerie gab es in der Garnison Militäreisenbahner, Flieger und Luftschiffer. Nach der Auflösung von drei „störenden“ Dörfern umfasste 1939 der Truppenübungsplatz 8000 Hektar. Dazu kamen drei Truppenlager, zwei Flugplätze und diverse Spezialschulen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nistete sich hier die Rote Armee ein. Unter ihrer Regie wurde ein zweiter Truppenübungsplatz mit 12.000 Hektar Fläche geschaffen. Mit etwa 40.000 Mann hatte die Sowjetgarnison die doppelte Größe im Vergleich zu der in der Wehrmachtszeit.
Hier befand sich die größte Truppenkonzentration, welche die UdSSR außerhalb ihrer Staatsgrenzen hatte. Schätzungsweise 1,6 Millionen ehemalige Sowjetbürger verschiedenster Völkerschaften haben in ihrem Lebenslauf: Ich war Soldat in Jüterbog. Neben dem Oberkommando in Wünsdorf ist Ostern 1994 Jüterbog als letzter Ort von der Westgruppe der Truppen (WGT) geräumt worden.
Aus verständlichen Gründen wollte die Bundeswehr keine Liegenschaften übernehmen, die die Sowjetarmee in Nutzung hatte. Seitdem ist Konversion eine der wichtigsten kommunalpolitischen Aufgaben. Die neogotischen Klinkerbauten der alten Artillerieschule, die schon bei Kaiser Wilhelm II. ein Vorzeigeobjekt waren, sind zu einer attraktiven Wohnadresse geworden.
Die Nähe zum 50 Kilometer entfernten Berlin und seinem Speckgürtel bieten Ersatz für die verloren gegangenen Arbeitsplätze der abgewickelten „volkseigenen“ Betriebe. Auf der Flaeming-Skate, einer asphaltierten Rundstrecke mit fast 100 Streckenkilometern, kann man per Rad oder Inlineskate Natur und Sehenswürdigkeiten sportlich erleben.
Das „märkische Mantua“
Jüterbog schmückt sich mit dem inoffiziellen Titel „Kulturhauptstadt des Fläming“. Was jedem Besucher sofort ins Auge fällt, sind die markanten Baudenkmale des Spätmittelalters. Die Gebäude sind geprägt von der norddeutschen Backsteingotik, die hier ihre südlichste Ausbreitung hat und zugleich verknüpft ist mit sächsischer Werksteinarchitektur. Die Ratsherren der wohlhabenden Kaufmannsstadt konnten es sich leisten, im Norden wie im Süden nach den besten Baumeistern Ausschau zu halten.
Den Marktplatz bestimmt das dienstälteste Rathaus des Landes Brandenburg mit der offenen Gerichtslaube davor. Die Stadtkirche St. Nikolai mit der unverwechselbaren Doppelturmanlage und deren unterschiedlichen Turmhauben ist die größte ihrer Art zwischen Berlin und Lutherstadt Wittenberg.
Drei Stadttore hat Jüterbog. Sie waren als Doppeltoranlagen mit Zugbrücken dazwischen und flankierenden Wehrtürmen angelegt. Zur Zeit der Romantik erfand man den Begriff „märkisches Mantua“ zur Charakteristik der einst besonders wehrhaften Stadt. An jedem der Tore hängt eine Keule mit einer Tafel, auf der zu lesen ist: „Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet nachmals selber Not, den schlage man mit der Keule tot.“
Die Liebfrauenkirche, vor dem Dammtor gelegen, hatte Erzbischof Wichmann als Zentralkirche des Landes Jüterbog anlegen lassen. Von hier aus ist die christliche Missionierung des slawischen Umlandes betrieben worden. Sie gilt neben dem Dom zu Brandenburg an der Havel als das älteste christliche Bauwerk des Landes Brandenburg. Die Mönchenkirche unweit vom Markt in der Altstadt, die einst zu einem Franziskanerkloster gehört hatte, dient seit 1985 als Stadtbibliothek.
Im abgetrennten Chorraum befindet sich eine Konzertstätte. Hier ist ein Laientheater zu Hause, das als „Theater der Werktätigen“ bereits seit 1949 existiert. Jedes Jahr wird ein neues Stück eingeübt, wobei man sich auch an Shakespeare und andere Großmeister heranwagt. Seit in dem ehemaligen Kloster neben der Bibliothek zugleich das städtische Museum, das kulturhistorische Archiv der Stadt und die Tourist-Information ein Zuhause gefunden haben, wird der Komplex „Kulturquartier“ genannt.
Museumseröffnung zum Stadtfest
Seit 1997 gehört der Ort Kloster Zinna zur Stadt Jüterbog. 1170 war hier das erste Zisterzienserkloster im heutigen Land Brandenburg gegründet worden. Die aus behauenen Feldsteinen errichtete spätromanische Pfeilerbasilika ist erst jüngst restauriert worden. Friedrich der Große gründete 1764 neben der Klosteranlage eine Weberkolonie und ließ dafür eine Mustersiedlung anlegen, die heute noch den Ort prägt.
In der Abtei des Klosters befindet sich ein Museum, das derzeit völlig neugestaltet zum Stadtfest Ende April eröffnet werden soll. In einer Schaubrennerei ist der „Zinnaer Klosterbruder“, ein verführerischer süßer Halbbitter, zu haben, den im 18. Jahrhundert ein Luckenwalder Gastwirt namens Falckenthal erfunden hat.
Jüterbog gehört selbstverständlich mit zur Arbeitsgemeinschaft der 31 „Städte mit historischem Stadtkern“ des Landes Brandenburg. Wer sich nicht nur die Stadt ansehen will, sondern dazu auch noch Unterhaltung haben möchte, der sollte die Festwoche vom 27. April bis 5. Mai nutzen, in der die Stadt ihren 850. Geburtstag feiert.
Henrik Schulze ist ehrenamtlicher Chronist der Stadt Jüterbog und Verfasser der vierbändigen Militärgeschichte Jüterbogs „Jammerbock“ mit rund 1800 Seiten. Von ihm stammt auch die Festschrift „850 Jahre Stadtrecht
Jüterbog“ (80 Seiten, 12 Euro, zu erwerben bei der Stadt- und Bürgerinformation) www.jueterbog.eu