Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Mit der WerteUnion verlieren CDU und CSU abermals langjährige und treue Mitstreiter. Das bürgerliche Lager in Deutschland ist nunmehr ähnlich zersplittert, wie man es bislang nur von der linken Seite des politischen Spektrums kannte
Nun ist es also geschehen. Die CDU wird von einem Teil ihrer einst „Treuesten der Treuen“ verlassen. Doch zur Partei wurde die WerteUnion am letzten Sonnabend nicht etwa deshalb, weil sie das unbedingt wollte. Seit ihrer Gründung im Jahr 2017 war es der einzige Wunsch der WerteUnion, als Teil der Unionsfamilie die CDU wieder zur Vertretung jener inhaltlichen Positionen zu veranlassen, die dieser Partei zwischen 1953 und 1994, sowie dann noch einmal 2013, Stimmenanteile von 40 und mehr Prozent eingebracht hatten. Gerade um auf einen entsprechenden Kurswechsel hinzuarbeiten, hatte die WerteUnion bei der CDU-Mitgliederbefragung von 2021 für Friedrich Merz Werbung gemacht.
Doch die CDU wollte diesen Beitrag zu einer Neuausrichtung nicht, obwohl entlang dem politischen Kurs der Vorsitzenden Merkel die Stimmenanteile von noch 35,2 Prozent im Jahr 2005 auf bloß mehr 24,1 Prozent im Jahr 2021 abgesunken waren. Anscheinend hielt eine Mischung aus Vorsicht angesichts der weiterhin von Merkelianern dominierten Parteigremien sowie politischer Risikoscheu den neuen Vorsitzenden davon ab, sich von einer Projektionsfläche der Merkel-Gegner zum wirklich die CDU reformierenden Volkstribunen zu wandeln. Doch womöglich sind die WerteUnion und ihr Chef eine Art Bauernopfer, das Merz zu erbringen hatte, um den konservativ orientierten Entwurf des kommenden Grundsatzprogramms zur Parteitagsmehrheit zu verhelfen. Im schlimmsten Fall fehlt Merz es weiterhin an Einsicht in den Wert einer solchen Re-Pluralisierung der CDU, dank welcher neben den ökologischen, sozialen und liberalen Wurzeln der Partei auch deren konservative Wurzel neu austreiben könnte. Jedenfalls gaben CDUler die WerteUnion als die „AfD in der CDU“ aus, nannten sie beifallsheischend ein „Krebsgeschwür“ und überzogen ihren Vorsitzenden Maaßen mit einem Parteiausschlussverfahren.
Die zweite Parteigründung als Folge der Ära Merkel
Dass nun also der CDU weitere Konkurrenz erwächst, hat niemand anderes als diese Partei sich selbst zuzuschreiben. Im Grunde wurde Angela Merkel zum Gründungsanlass von gleich zwei der Union abträglichen Parteien. Der AfD bahnte sie den Weg mit ihrer Eurozonen- und Migrationspolitik, und die demonstrative Geringschätzung von Konservativen zeugte gleichsam die WerteUnion. Dass dieser die Abspaltung von der CDU regelrecht aufgezwungen wurde, ist umso tragischer, als die jetzige Maaßen-Partei doch nichts anderes sein will als die „ideelle und programmatische Nachfolgerin“ der klassischen Unionsparteien.
Falls Maaßen und seine Mitstreiter es schaffen sollten, woran der AfD-Gründer Lucke scheiterte, nämlich eine Unterwanderung durch Rechtsradikale, Querulanten oder Quertreiber zu verhindern, dann könnte die WerteUnion durchaus das inzwischen begonnene Sperrfeuer von Medien, Merkelianern und „Kämpfern gegen Rechts“ überstehen. Und wenn ihr überdies Selbstdisziplin dahingehend gelänge, dass ihre Verantwortungsträger alle als demagogisch oder radikal skandalisierbaren Äußerungen unterließen, dann gäbe es sehr wohl Chancen darauf, sich zwischen Union und AfD zu behaupten und anschließend in das eine oder andere Parlament zu gelangen. Weil nicht zu erwarten ist, dass die CDU ausgerechnet ohne die WerteUnion wieder zur einst zwischen politischer Mitte und rechtem Narrensaum dominierenden Partei wird, könnte einem politischen Erfolg der WerteUnion dann nur noch eine AfD im Wege stehen, die sich vertrauenserweckend zu einer normalen Partei entwickelte. Doch darauf ist kein Verlass.
Das Ende der Sammlung aller Bürgerlichen in einer Partei
Im Grunde haben Merkel und ihre Nachhut jene große politische Leistung Konrad Adenauers und Ludwig Erhards ruiniert, die Helmut Kohl noch zu sichern verstand. Das war die Zusammenfassung aller nicht-linken politischen Kräfte Deutschlands, sofern diese sich unter kulturchristlichem Gestaltungsanspruch zusammentun wollten. Die erste Integrationsleistung der Union bestand tatsächlich darin, den politischen Konfessionalismus zu überwinden. Das verlieh der Union so lange große Resonanz und Durchsetzungsstärke, wie das Christentum in Deutschland Gestaltungskraft besaß und die Kirchen eine andere Rolle spielten als die, sozialdemokratische und grüne Gestaltungsziele christlich zu verpacken.
Die zweite große Integrationsleistung der Union bestand darin, dass sie sich der Einbindung der Millionen von Geflüchteten und Vertriebenen in das seit 1949 von ihr regierte Staatswesen annahm. Ihnen soziale Absicherung und Lebensperspektiven zu bieten, band sehr viele von ihnen an die Union. Auch das Beharren der Unionsparteien auf dem „Recht auf Heimat“ samt der Vision einer Wiedervereinigung des zerstückelten Deutschland verstetigten diese Bindung. Alle Flüchtlingsparteien wie den „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ saugte die Union jedenfalls auf und machte sie politisch entbehrlich.
Ferner zerschlug das Bundesverfassungsgericht schon 1952 dem revisionistisch-rechtsradikalen Teil der Deutschen seine politische Partei, nämlich die (national-) „Sozialistische Reichspartei“. Nicht-extremistisch Rechtsstehende fanden hingegen lange Zeit auch in der FDP ihre politische Heimat. In Deutschland entstand jedenfalls kein generationenübergreifend wachsendes Protestpotential wie jenes unter den Palästinensern nach Gründung des Staates Israel, obwohl es gewaltige demographische Umschichtungen gegeben hatte.
Die dritte Integrationsleistung der Union bestand darin, einesteils in langjährigen Koalitionen mit der FDP die politisch-christlichen Strömungen Deutschlands mit der traditionell anti-kirchlichen Tradition des Liberalismus zusammenzuführen. Den Orientierungsrahmen dafür hatte der Union ihre programmatische Anverwandlung des Ordoliberalismus verschafft. Andernteils wurde in der – gegen vielerlei Vorbehalte geschaffenen – ersten, damals noch wirklich „Großen Koalition“ auch ein nennenswerter Teil von deutschen Linken der Vorstellung nähergebracht, die Union wäre nicht nur ein aus vielen Gründen zu bekämpfender Gegner, sondern könne auch ein wünschenswerter Partner beim Streben nach allseits gemeinwohldienlicher Politik im Rahmen einer wirklich sozialen Marktwirtschaft sein.
Anbandelung mit den Grünen
Allerdings misslang es der Union aus mannigfachen Gründen, trotz eigener ökologischer Politikansätze mit den Grünen lange Zeit anders als mit Abscheu umzugehen. Das hing natürlich mit auch linksradikalen Herkünften der Gründergeneration dieser Partei zusammen, ferner mit ihrer scharfen Ablehnung jeder friedlichen Nutzung der Kernenergie, die damals noch gemeinsames Credo von Union und SPD war, desgleichen mit der grünen Weigerung, jene Sicherheitspolitik des SPD-Kanzlers Schmidt mitzutragen, die von der Union so gut wie vollumfänglich unterstützt wurde. So entstand jener Riss im deutschen Parteiensystem, dem entlang sich SPD und Grüne bald als Träger eines gemeinsamen gesellschaftlichen Transformationsprojekts zusammenfanden.
Weil sich die Union diesem Projekt widersetzte und darin mit der AfD eine – am besten als „Anti-Grünen-Partei“ zu verstehende – Nachfolgerin fand, wucherte dieser Riss zum jetzt alles überwölbenden kulturellen Großkonflikt zwischen links-grün „Woken“ und rechts-nichtgrün Unerweckten. In diesem Konflikt vertrat die Union eine gemeinsame Gegenposition ein letztes Mal unter Helmut Kohl. Die zunehmende mediale und akademische Hegemonie von Grünen und Sozialdemokraten entzog dieser Gegenposition alsbald ihre machtpolitische Grundlage. Zugleich wurde Deutschlands „bürgerliches Lager“ durch das Aufkommen der AfD gespalten, auch wegen der rein ausgrenzenden Reaktion der Union, obwohl ihre neue Konkurrenz großenteils den eigenen Reihen entstammte.
Verwalten der Macht anstatt für traditionelle Grundsätze zu streiten
Unter Angela Merkel versuchte die Union ohnehin nicht länger, die deutsche Bürgerschaft zu integrieren, sondern passte sich lieber selbst in deren Segment zwischen rechter und linker Mitte ein. Zugleich nahm es die Union hin, dass der Begriff „rechts“ zu einem Synonym für nicht nur „rechtspopulistisch“, sondern auch für „rechtsradikal“ und gar „rechtsextrem“ ausgeweitet wurde. Also fühlte es sich für CDU-Politiker immer unangenehmer an, wenn sie den Begriff „rechts“ auf sich bezogen fanden.
Deshalb wandelte man sich nicht nur semantisch zu einer Partei allein der „Mitte“, sondern gab außerdem den politischen Willen auf, weiterhin auch klar Rechte – über deren Bindung an die Union – ins respektierte Staatsvolk zu integrieren. Ansonsten folgte die CDU bald schon dem Vorsatz, andauernde Regierungsmacht sich durch wechselnde Bündnisse mit SPD und Grünen zu sichern. Diese Bündnisse braucht sie auch, seit der Aufstieg der AfD sie nachhaltig schwächte – und für eine Zusammenarbeit mit der AfD absichtlich keinerlei Brücken gebaut wurden.
Missachtung aller Warnsignale
Leider begriff die CDU das Aufkommen der AfD auch nicht ernsthaft als Warnsignal hinsichtlich von europa- und migrationspolitisch neu aufgetretenen Herausforderungen, die es nun durch Nach- und Neujustierungen deutscher Politik zu bestehen gelte. Vielmehr betrachtete man die AfD schlicht als „illegitimen“ Mitbewerber, den es zu schneiden gelte. Auch versuchte man den Zugriff der neuen Konkurrenz auf bisheriges CDU-Wählerpotential nicht durch eigenes Eingehen auf dessen – womöglich sogar vernünftige – Politikwünsche abzuriegeln. Vielmehr setzte man auf klarkantige Trennstriche und Brandmauern. Dabei wurde zum Konsens, dass fortan ein „Lager der Demokraten“ – Linke, Grüne, SPD, FDP und ein Großteil der Union – dem „Lager der Antidemokraten“ gegenüberstünde, angeführt von der AfD und aufgefüllt mit den „allzu Konservativen“ der Union.
Falls man dadurch die AfD kleinbekommen wollte, scheiterte dies offensichtlich. Stattdessen vertiefte man so nur die gesellschaftliche Polarisierung – und brachte die Union inzwischen auch noch um die Wählerschaft der WerteUnion. Deshalb ist das „bürgerliche Deutschland“ fortan ebenso aufgesplittert und zerstritten wie seit langem das „linke“ Deutschland. Spannungsgeladene Koalitionen, womöglich auch Minderheitsregierungen, werden die Folge sein. Wie schade, dass politische Kurzsichtigkeit die CDU an der Fortführung ihrer einst staatsdienlichen Integrationsleistung hinderte!
Prof. Dr. Werner J. Patzelt war von 1991 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden und ist derzeit Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegiums in Brüssel. Zu seinen Werken gehört „PEGIDA. Warnsignale aus Dresden“ (Thelem 2016) und „Ungarn verstehen“ (Langen Müller 2023). wjpatzelt.de