Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Die Sozialdemokraten haben das Vertrauen ihrer Wähler verspielt. Hauptgrund für ihren Niedergang ist das beharrliche Festhalten an ideologischen Wunschbildern, die mit den Realitäten in deutschen Landen nichts mehr zu tun haben
Es geschieht nicht oft, dass wir Zeugen werden, wie sich die Deutungshoheit eines bestimmten Milieus ins Nichts auflöst. Seit den Messermorden von Solingen sind die migrationsbeschwichtigenden Narrative von Multikulti-Verteidigern gleichsam über Nacht als Irrtum entlarvt. Die Wahlerfolge der AfD in Thüringen und Sachsen waren Tage später nur eine Art notarielle Beglaubigung dieses gesellschaftlichen Willensumschwungs. Eine verfehlte Flüchtlingspolitik, initiiert von Kanzlerin Merkel im Spätsommer 2015, erscheint neun Jahre später auf offener Bühne entzaubert und ernüchtert. Unkontrollierte Grenzen und ungesteuerte Masseneinwanderung gefährden in jedem Land der Welt den sozialen Frieden. Nun haben es wohl auch die Deutschen verstanden. Sogar ein eher linksliberaler Soziologe wie Heinz Bude stellte am Wochenende fest: „Wir haben überhaupt nicht darüber nachgedacht, was Zuwanderung bedeutet.“
Wenn wir uns fragen, warum es nahezu ein Jahrzehnt gedauert hat, ehe die Regierung in Berlin begriffen hat, dass Einwanderung intelligent organisiert gehört, dann kommen wir nicht umhin, auch die Erstarrung der deutschen Sozialdemokratie zu betrachten. Als Merkel mit ihrem Desaster 2015 begann, regierte die Union mit der SPD. Doch während sich die CDU von Merkel befreite und sich spätestens mit ihrem jetzigen Vorsitzenden Friedrich Merz auf einen langen Marsch zu ihrem konservativen Glutkern begab, brachte es der Sozialdemokrat Olaf Scholz fertig, seine Merkel-Nachfolge im Kanzleramt mit derart vielen Wiedererkennungsmerkmalen zu inszenieren, dass viele glaubten, er sei die Frau mit der Raute, nur mit XY-Chromosomen. Wirkt seine oft eigenartig an den Bauch gepresste linke Hand nicht wie eine diskrete Hommage an die Rauten-Geste Merkels?
Kanzler in einer Parallelwelt
In Olaf Scholz, so scheint es, ist der seit 161 Jahren stolz zur Sonne, zur Freiheit und gen Zukunft dahinfließende Strom der Sozialdemokratie wie an einem Stauwehr zum Erliegen gekommen. Dass die SPD in der Krise ist, klingt wie eine Floskel – der Begriff Krise gehört zum Wortschatz der Genossen wie Fortschritt, Gerechtigkeit und Solidarität. Aber die einstige Volkspartei SPD liegt in aktuellen Umfragen bundesweit bei nur noch 14 Prozent. In die Landtage Thüringens und Sachsens schaffte sie es gerade mal mit 6,1 und 7,3 Prozent. Für Scholz waren dies nach dem Warnschuss der Europawahl (13,9 Prozent) zwei weitere krachende Niederlagen, die er zwar als „bitter“ bezeichnete, aber zugleich feststellte: „Kämpfen lohnt. Jetzt geht es darum, stetig um mehr und neue Zustimmung zu werben.“ Manch ein Parteigenosse fragte sich, in welcher Parallelwelt der Kanzler wohl lebe.
Mahmut Özdemir, Duisburger Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, jedenfalls räumt ein: „Die Menschen vertrauen uns nicht mehr.“ Auf Facebook schrieb er: „Seit 2005 rechtfertigen wir als SPD mit ganz wenigen Ausnahmen von Wahl zu Wahl historisch schlechteste Ergebnisse und kündigen dann Analysen und Veränderungen an, machen aber kurz danach weiter wie bisher.“
Solche Freimütigkeit ist selten geworden unter den Genossen. In Partei und Bundestagsfraktion führen die Vorsitzenden ein straffes Regiment, offene Kritik ist unerwünscht, nach außen gilt eiserne Geschlossenheit. Zu tief sitzt noch das Trauma aus Zeiten, da parteiinterne Intriganten und Heckenschützen Parteichefs wie Martin Schulz und Andrea Nahles im Jahresrhythmus zu Fall brachten.
Wie sehr es jedoch hinter den Kulissen brodelt, zeigt der Vorstoß der Brandenburger SPD-Finanzministerin Katrin Lange, die im Angesicht der bevorstehenden Landtagswahl der „Bild“-Zeitung sagte, es wäre schon „einiges gewonnen, wenn bestimmte Leute nicht mehr an Talkshows teilnehmen würden“. Die Auftritte seien „unerträglich“. Lange nannte keine Namen, bestätigte aber in den sozialen Medien, dass sie SPD-Chefin Saskia Esken und ihren Generalsekretär Kevin Kühnert gemeint habe. Der Eindruck, den beide öffentlich vermittelten, sei „verheerend – und nicht nur hier im Osten“.
Der Realitätsverlust von Leuten wie Esken und Kühnert
Zweifellos machen Esken wie Kühnert das spottreife Personalproblem der SPD augenfällig, unter dem die Partei seit geraumer Zeit leidet. Kühnert, der sich allein durch rhetorische Begabung, fehlende Konkurrenz und fluffige Passförmigkeit in die intellektuelle Wüstenei der zeitgenössischen Medienwelt in Siebenmeilenschritten an die Parteispitze schlawinern konnte, verkörpert prototypisch den linksliberalen Mann ohne Eigenschaften. Er kann mal gegen und mal für Olaf Scholz sein, ohne je in Erklärungsnot zu geraten. Kühnert selbst bleibt hinter seinem Gerede ein charakterliches Rätsel. Politische Haltung, persönliche Passionen, Bildungshintergrund – was liest dieser Mann eigentlich für Bücher?
Bei Saskia Esken stellt sich die Bildungsfrage erst gar nicht. Die einstige Software-Entwicklerin tritt auf, als sei ihre letzte Lektüre ein Algorithmen-Fachbuch gewesen und sie würde nach nächtelanger Programmierarbeit unversehens im Tageslicht blinzeln. Wohlmeinende mögen ihr den Charme der Weltfremdheit bescheinigen. Aber auch sie dürften mit Bestürzung reagiert haben, als die Co-Vorsitzende der SPD nach dem Solingen-Gemetzel tönte: „Gerade aus diesem Anschlag lässt sich, glaube ich, nicht allzu viel lernen, weil der Täter ja offenkundig nicht polizeibekannt war.“ Anderntags musste sie sich korrigieren: „Das ist sicher keine kluge und richtige Aussage gewesen.“
Wo Mittelmaß dominiert
Gewiss, wir könnten uns darüber wundern, wie es möglich ist, dass eine so offenkundig ungeeignete und überforderte Person es zur Vorsitzenden der ältesten Partei Deutschlands bringt und in diesem Amt bereits zwei Mal wiedergewählt wurde. Vermutlich ist diese Überlegung jedoch falsch herum angelegt. Die Führungsgremien der SPD sind längst schon so aufgestellt, dass ein brillanter Kopf schnellstmöglich weggebissen würde. Der Durchschnitt wittert die Exzellenz und zittert vor ihr. Und die SPD-Kader sind zu verschworenen Zirkeln von Talentlosen und Mittelmäßigen verkommen.
Nur in diesem Biotop der Unbegabten konnte ein Olaf Scholz Kanzlerkandidat werden. 2019 wollte ihn die Parteibasis nicht einmal als Vorsitzenden. Als im Jahr darauf der Kanzlerkandidat gesucht wurde, war zeitweilig sogar Fraktionschef Rolf Mützenich mit seiner Ärmelschoner-Aura im Gespräch. Wenn eine Partei schon so verzweifelt ist, dann kann sie sich auch auf Olaf Scholz verständigen, der in seinem Leben noch nie eine mitreißende Rede gehalten hat und menschliches Gefühlsleben mutmaßlich für einen lästigen Verwaltungsvorgang hält.
Inzwischen erleben wir seit drei Jahren einen emotionalen Legastheniker im Kanzleramt, der es nicht zuwege bringt, mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Bei den sogenannten Bürgerdialogen ist ihm immer Verlegenheit und Unbehagen anzumerken – und die Sehnsucht, sich wieder hinter Aktenbergen verkriechen zu können. Es glich einem unterdrückten Hilfeschrei, als Scholz bei einem Bürgerdialog in Berlin gefragt wurde, warum die Ampel so zerstritten sei, und er zurückfragte: „Welches Patentrezept haben Sie? Ich meine, ich frage für einen Freund.“
Zu solch bekundeter Ratlosigkeit gesellt sich ungenierter Größenwahn, wenn der Kanzler im Interview verkündet: „Ich rechne fest damit, dass die SPD und ich auch die nächste Regierung anführen werden.“ Im aktuellen ZDF-Politbarometer wünschen sich null (!) Prozent der Befragten auch künftig eine Ampel-Koalition. Und Scholz selbst ist unbeliebter denn je, nicht mal die eigenen Anhänger wollen ihn mehr. Was sagt der Kanzler darauf? „Auch Boris Pistorius will, wie viele andere, dass ich wieder als Kanzler antrete. Ich sehe das genauso.“ Natürlich bleibt der Verteidigungsminister, der beliebteste Politiker in den Umfragen, umsichtig in Deckung – er weiß, dass seine Zeit womöglich schon bald kommen wird.
Eine Lachnummer nach der anderen
Aber einstweilen regieren die Narren und liefern der Öffentlichkeit eine Lachnummer nach der anderen. Karl Lauterbach etwa hat die Stirn, in einem Interview zu schwadronieren: „Olaf Scholz ist der beste Bundeskanzler, den wir je gehabt haben.“ Scholz ist nämlich „ein ausgesprochen intelligenter Mensch. Wir sind mit ihm sehr gut aufgestellt.“ Und weil Saskia Esken bereits zwei Tage lang nichts gesagt hatte, was ihrer Partei schadet, machte sie am Wochenende klar, dass ein Kurswechsel für die SPD nicht in Frage kommt: Migrationssteuerung, Wirtschaft, Digitalisierung, Klimaneutralität – „die Ampel liefert“. Mehr noch: „Olaf Scholz ist Bundeskanzler einer Koalition“ mit dem „klaren Ziel, das Land zukunftstauglich zu machen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag nicht umsonst Zukunftskoalition genannt.“
Während die Parteichefin von einer Einfallspinselei zur nächsten taumelt, versucht Bundesinnenministerin Nancy Faeser hektisch den Eindruck zu vermitteln, als habe die Bundesregierung verstanden und wolle auf einmal sämtliche Grenzen kontrollieren lassen. Sogar Zurückweisungen soll es geben. Was jahrelang als nicht machbar abgelehnt wurde, soll nun auf einmal möglich sein. Und das nur, weil vor den Landtagswahlen in Brandenburg die AfD vor der SPD liegt und die nächste Ohrfeige des Wählers droht.
Selbstverständlich wissen die Genossen, dass sie beim Wähler gründlich verspielt haben. Kaum jemand im Lande weiß noch, warum er SPD wählen sollte. Der „Kampf gegen Rechts“, den Faeser vollmundig ausgerufen hatte, ist nach hinten losgegangen. Viele SPD-Wähler von einst geben heute der AfD ihre Stimme. Der Nazi-Vorwurf ficht keinen mehr an. Die Inflationierung dieses Begriffs hat ihn längst entwertet.
Es ginge auch anders
Die gegenwärtigen Wahlerfolge der Rechtspopulisten gehen auch aufs Konto der SPD. Denn die Sozialdemokraten haben es versäumt, die Themen der AfD sich anzueignen und auf links zu drehen. Die dänischen Sozialdemokraten machen es vor: Sie scheuen sich nicht, die Interessen ihrer Bevölkerung an die erste Stelle zu setzen und die kulturelle Identität ihres Landes zu verteidigen. Mit dieser Strategie wurden die dänischen Rechtspopulisten marginalisiert.
Als die SPD noch ein Gespür dafür hatte, wie strukturell und habituell konservativ es in Arbeiter- und Kleinbürgermilieus zugeht, war sie eine echte Volkspartei. Inzwischen haben sich die Genossen aber lieber an Kritikern wie einem Thilo Sarrazin abgearbeitet und sie aus der Partei geworfen.
Holger Fuß ist freier Autor und schreibt für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über Politik, Wissenschaft, Kultur und Zeit-
geschehen. 2019 erschien „Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt. Über das Ende einer Volkspartei“ (FinanzBuch Verlag). www.m-vg.de
Berlin 59 am 18.09.24, 22:35 Uhr
Guter Beitrag, trifft voll ins Schwarze bzw. ins Rote Elend.