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Zeitgeschichte

Eines der dunkelsten Kapitel

Der Journalist Christian Neef schildert anhand des Tagebuchs von Iwan Serow, einem skrupellosen NKWD-Kommissar, die sowjetischen Gräueltaten

Dirk Klose
21.09.2024

In Russland bestimmt der Geheimdienst das Land. Beispielhaft steht dafür der frühere KGB-Mitarbeiter Wladimir Putin. Und genauso war es nach 1945 auch im Osten Deutschlands. Nicht die Militärverwaltung SMAD, sondern der Geheimdienst NKWD traf alle wichtigen Entscheidungen. Hauptverantwortlicher in den ersten Nachkriegsjahren war der skrupellose NKWD-Kommissar Iwan Serow (1905–1990). Vor ein paar Jahren wurde in einer Garage sein eingemauertes Tagebuch zu jener Zeit gefunden. Der Autor Christian Neef, lange Jahre beim „Spiegel“ und Korrespondent in Moskau, konnte es einsehen und zum Angelpunkt dieser ebenso düsteren wie lesenswerten Darstellung nehmen.

Nur aufgezählt werden kann, was Neef im Einzelnen beschreibt: Wer die Verantwortlichen waren und wie skrupellos sie vorgingen; wie wahllos unzählige Menschen verhaftet und inhaftiert wurden; wie rigoros deutsche Verwaltungen gesäubert wurden; wie nicht nur Jagd auf Menschen, sondern auch auf geistiges Eigentum in Museen, Archiven und Bibliotheken gemacht wurde; wie 1946 bei der Aktion „Osoawiachim“ (eine paramilitärische Gesellschaft) Tausende deutscher Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker samt Familien in die UdSSR gebracht wurden und dieser in Atom- und Raketentechnik den Gleichstand mit den USA ermöglichten; wie würdelos gegenüber Stalin gebuckelt wurde. Insgesamt ist es eines der dunkelsten Kapitel in der deutschen Geschichte, gekennzeichnet von Willkür und Angst, Gefängnis und Tod.

Neef wiederholt Quellen, wonach zwischen 1945 und 1949 über 120.000 Menschen willkürlich verhaftet wurden, wovon 43.000 an Entkräftung und Hungers gestorben sind. In Sachen Massenverhaftung war das NKWD und hierbei insbesondere Serow bereits „versiert“, etwa als 1941 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fast alle Krimtataren verhaftet und nach Innerasien deportiert wurden. Für die deutsche Bevölkerung war das brutale Auftreten des NKWD ein Schock. Selbst die SED kam nicht umhin, sich des Themas anzunehmen. 1948 unternahm Wilhelm Pieck – ohne Ulbricht – einen Bittgang zu Stalin. Dieser soll ihn mit ostentativer Gleichgültigkeit angehört haben.

Der Autor geht (zu) kurz auf die überfüllten Gefängnisse und die Weiternutzung der NS-Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen ein. Seiner Schlussthese, der frühere KGB lebe heute im Geheimdienst FSB fort, kann man mit Blick auf Putin und seine Anhänger nicht widersprechen.

Christian Neef: „Das Schattenregime. Wie der sowjetische Geheimdienst nach 1945 Deutschland terrorisierte“, Propyläen Verlag, Berlin 2024, gebunden, 320 Seiten, 28 Euro


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