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Industrie

Einst das größte deutsche Hydrierwerk

Industrieruine in Pölitz – Heute ein „Vergessener Ort“ mit großer Fledermauskolonie

Thorsten Seegert
17.09.2023

Es liegt im Trend, sogenannte Vergessene Orte aufzusuchen. Ein geschichtsträchtiger Flecken ist dabei zweifelsfrei das Hydrierwerk Pölitz [Police] unweit der Stadt, die 1939 von Groß Stettin eingemeindet wurde und im Norden von Pommerns einstiger Hauptstadt liegt. Sie entwickelte sich schon damals zu einem wichtigen Standort für die chemische Industrie und galt als geeigneter Standort für ein Hydrierwerk.

Hatte man hier zunächst geplant, Crack­rückstände, die bei der Erdölverarbeitung entstehen, und Steinkohle zu Treibstoff oder besser zu synthetischem Benzin zu verarbeiten, so war im Kriegsfall und bei fehlender Rohprodukteinfuhr vorgesehen, die Produktion auf Steinkohle und Teer umzustellen. Mit Zustimmung der Reichsbehörden sollte das Projekt mit Royal Dutch Shell und der Standard Oil umgesetzt werden. Allerdings wollte man in diesem Fall den internationalen Mineralölgesellschaften die Finanzierung des Projektes vorschlagen, während die I.G. Farben die Patente und Erfahrungen bereitstellen sollte.

Ende der 1920er Jahre war es gelungen, das Synthetische Benzin – später auch „Deutsches Benzin“ genannt – aus Kohle herzustellen. Der daraus gewonnene Ottokraftstoff wurde zunächst nur in Leuna hergestellt und über die Deutsche Gasolin Aktiengesellschaft vertrieben. Zwar war das dazu angestrengte Verfahren der Herstellung aufwendig und damit deutlich teurer als herkömmliches Benzin, doch wurde dieser Kraftstoff mit 18,5 Pfennig pro Liter gemäß dem sogenannten „Benzinvertrag“ (Feder-Bosch-Abkommen) vom 14. Dezember 1933 subventioniert.

Doch zurück zu den Hydrierwerken Pölitz: Hier brachten die Eigner der Hydrierwerke letztlich 270 Millionen Reichsmark zur Finanzierung des Vorhabens auf. Die Produktion begann im Jahre 1940. Bereits 1943 konnten 577.000 Tonnen synthetischer Kraftstoff hergestellt werden. Es war, wie die Tageszeitung „Neue Zeit“ 1948 rückblickend feststellte, „das größte Unternehmen dieser Art in Europa“. Die Demontage der intakten Anlagen des Werksgeländes, welches trotz mehrfacher Bombardierung bis 1945 in Betrieb gewesen sein soll, erfolgte bis ins zweite Halbjahr 1946. Die Überreste eroberte sich dann die Natur in den vergangenen Jahrzehnten zurück.

Synthetisches Benzin aus Kohle
Kaum zu glauben, dass dieser Industriebetrieb ungefähr 10.000 Beschäftigten Lohn und Brot gab. Es entwickelte sich eine eigene Infrastruktur, es entstanden Wohnsiedlungen, Ärztehäuser, Kliniken, Erholungsanlagen, Festhallen, Sportplätze, Turnhallen, ein Kino und Vieles mehr. Das Betriebsgelände umfasste zirka 1500 Hektar.

Heute findet man eine riesige Industriebrache vor, mehrere Ruinen und Bunker, die hier unmittelbar an der Straßenzufahrt vorzufinden sind. Etwas weiter in Richtung Oder geht es über eine abzweigende Nebenstraße mit Wendehammer. Von hier führt nun ein Weg durch das Gelände. Wer ihm folgt, dem zeigen sich schon bald Reste von Kanälen, Behältern und ähnlichen Bauten aus Stahlbeton.

Die zum Teil versteckt liegenden Bauteile der Hydrierwerke sind wohl die letzten noch sichtbaren Zeitzeugnisse: Deutlich erkennbar ist unter anderem der ehemalige Bahnhof mit seiner Rampe, ein Wachturm sowie Reste von Schutzanlagen, die Kohlemühle, Behälterbauten, der Kompressorraum und mehrere Luftschutzbunker. In den letzten Jahren hat sich ein Verein namens „Skarb“ um die Freihaltung der Wege, die historische Aufarbeitung vor Ort mit dem Aufbau eines Museums und kostenfreien Führungen bemüht. Das Gelände selbst ist übrigens als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen.

Es gilt mit seinen Ruinen und Kanälen als größtes Winterlager von Fledermäusen in Hinterpommern – verschiedene Gattungen wie beispielsweise Abendsegler oder Breitflügelfledermäuse, Mopsfledermaus und Großes Mausohr finden hier ihre Zuflucht. Die Anzahl der überwinternden Säugetiere wird auf etwa 13.000 geschätzt. Im sich anschließenden Frühjahr finden sie reichlich Nahrung in der Brache und Flusslandschaft.


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