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Aus Angst vor Repressalien verheimlichen viele ihre deutsche Identität und verstecken lieber ihre deutschen Pässe
Bielitz-Biala ist eine beschauliche, schöne Stadt im Süden der Republik Polen. Das Besondere aber ist, dass bis heute viele Bewohner immer noch deutsche Pässe in der Schublade haben. Denn dieser Ort schaut auf eine prägende deutsche Geschichte zurück. Der junge Historiker Łukasz Giertler versucht deshalb, die deutsche Kultur und Sprache der deutschen Sprachinsel wiederzubeleben.
Der Dokumentarfilm „Tod einer Insel“ und einige Veröffentlichungen in den lokalen Medien haben bereits 2023 Fragen zur Vergangenheit des Zwei-Städte-Gebiets in der Woiwodschaft Schlesien neu aufgeworfen. Deshalb erforscht Historiker Giertler die deutsche Vergangenheit von Bielitz-Biala. Er ist Stadtführer und Autor vieler populärwissenschaftlicher Texte über die Geschichte der Stadt und Vorsitzender der Deutschen Minderheit in Bielitz-Biala. Der Begriff „Sprachinsel“ wurde einst im 19. Jahrhundert geprägt, als das deutschsprachige Bielitz von allen Seiten von Dörfern umgeben war, in denen die polnische Sprache vorherrschte. Die deutsche Bevölkerung hat dieses Gebiet seit dem Mittelalter bewohnt. Ihr verdankt der Ort eine dynamische Entwicklung. In der Stadt gab es früher eine elektrische Straßenbahn als in Krakau, Warschau oder Wien. Seit 1920 gehört die Stadt an der Grenze von Schlesien und Kleinpolen bzw. Galizien zu Polen.
Raub der Identität
Nach dem Zweiten Weltkrieg flohen viele Bielitzer oder wurden vertrieben. 10.000 Deutschsprachige blieben zurück. Giertler, Vorstandsmitglied der Deutschen im Beskidenland, glaubt, dass Tausende Menschen noch deutschstämmig sind. Doch viele Menschen wurden ihrer Identität beraubt. „Die deutsche Minderheit in Bielitz-Biala ist sehr stark“, sagt er. Es handelt sich um eine eng verbundene Gruppe von Menschen, die bis in die 1990er Jahre nicht über das gemeinsam Erlebte sprechen konnten. Dann brach das Schweigen. Sie begannen, ihre Geschichte ihren Kindern und Enkeln zu erzählen, entdeckten, wer sie waren, und sie wollen diese Tradition bewahren.
Als dann auch noch in Bielitz-Biala ein lokaler deutscher Verein gegründet wurde, meldeten sich unerwartet viele Menschen an – heute sind es nur noch ein paar Dutzend. „Manche bekennen sich immer noch nicht zu ihrer Identität, sondern erklären ihre deutsch klingenden Nachnamen lieber mit ihrer angeblich österreichischen Herkunft“, berichtet Giertler. Die jahrzehntelange Bildung in polnischen Schulen begünstigte den Verlust der Identität. Aber die meisten dieser Menschen haben sich deutsche Pässe besorgt und in der Schublade liegen.
Landsmannschaften der vertriebenen Bielitzer wurden nach 1945 in Alzenau, Braunschweig, Donauwörth, Hannover, Lippstadt und Oldenburg sowie in Klosterneuburg in Österreich gegründet. Von den Deutschen, die blieben, wanderten einige in den folgenden Jahrzehnten aus, während andere sich der polnischen Bevölkerung anpassten. Damit ging die Geschichte der Sprachinsel Bielitz-Biala praktisch zu Ende. Bei der Volkszählung 2002 bekannten sich nur noch 146 Personen zur deutschen Nationalität. Die neuen Behörden führten eine „Entdeutschungs“-Kampagne durch, die nicht nur die Polonisierung von Schildern oder Straßennamen sowie die Einführung des Polnischen als einzige Amtssprache umfasste, sondern auch Maßnahmen wie die Entfernung deutschsprachiger Inschriften von Grabsteinen, die Entfernung deutscher Bücher aus Bibliotheksbeständen und die Zwangspolonisierung von Nachnamen.
Bis zu einem gewissen Grad ist das mangelnde Bewusstsein für die eigenen Wurzeln auch darauf zurückzuführen, dass nicht jeder an seiner Vergangenheit interessiert ist. Etwa 40 Personen sind offiziell im Verein Beskidenland eingeschrieben. Die meisten sind ältere Menschen. In Bielitz gibt es jedoch sehr viele mit deutschen Namen wie Giertler.
Bielitz war einst die einzige mehrheitlich protestantische Stadt in Österreich, deren Lehrerfortbildungsanstalt in ganz Österreich bekannt war. Giertlers Vorfahren stammen aus dem heutigen Stadtetil von Bieleitz-Biala, Alzen [Hałcnowski], wo meistens Katholiken lebten. Die Bielitzer aber waren fast alle evangelisch.
Schlesisch als Regionalsprache
Giertler ist 28 Jahre jung, organisiert Führungen auf dem Alten Evangelischen Friedhof in Bielitz und ist Mitautor des ethnografischen Führers „Auf den Spuren der Tradition“. Er beteiligt sich an Aktionen zur Rettung von Denkmälern und ist stellvertretender Vorsitzender des Vereins REGIOS zur Förderung des Regionalbewusstseins. Die Kampagne zur Anerkennung des Schlesischen als Regionalsprache hat er unterstützt. Er glaubt, dass die Deutschen in Schlesien nur eine Chance haben, wenn sie sich mit der schlesischen Minderheit verbinden. Bei den Kommunalwahlen 2018 und 2023 kandidierte er auf der Liste der schlesischen Autonomisten „Ruch“ erfolglos für einen Sitz als Abgeordneter in der Schlesischen Woiwodschaftsversammlung.
Zu den unmittelbaren Plänen des deutschen Vereins gehört die Übersetzung des historischen Romans des Bielitzer Carl Hoinkes (1882–1960) „Horn und Söhne“ ins Polnische und dessen Veröffentlichung in Polen. Die Handlung von „Horn und Söhne“ spielt im 19. Jahrhundert in Bielitz.
Im nordrhein-westfälischen Lippstadt, wo der Verein der Bielitzer Deutschen aktiv ist, haben die Trachten des Bürgertums der Sprachinsel Bielitz-Biala überlebt. Sie werden bald im Regionalmuseum, das in Wilmesau [Wilamowice] eingerichtet wird, zugänglich gemacht.
Bertram Graw am 16.08.24, 06:59 Uhr
Wie so oft in vielen(!) Medien heutzutage: Es fehlt eine Karte! Wo genau liegt dieser Ort?
Auch letztens im Fernsehprogramm: Zwei sehr beeindruckende Dokumentationen über das Baltikum, aber nicht einmal eine Karte oder ein Luftbild zur Dokumentation der besonderen Lage dieser Länder, und das in Zeiten, wo so mancher Zeitgenosse "Balkan" und "Baltikum" verwechselt oder gleichsetzt.