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Die Situation spitzt sich in Kliniken und Praxen gleichermaßen zu. Unklare Kompetenzverteilung
Familie Schmidt ist in ihr neues Eigenheim am Stadtrand umgezogen, sagen wir, in München. Bei der kleinen Tochter Emma ist in Kürze die nächste Vorsorge-Untersuchung fällig. Aber in der Nähe gibt es keinen Kinderarzt. Also setzt sich Frau Schmidt ans Telefon und klappert die wenigen Praxen in der Umgebung ab und wird überall abgewiesen. Es gebe einen Aufnahmestopp für neue Patienten, heißt es. Nach zehn vergeblichen Versuchen ruft sie entnervt den Termindienst ihrer Krankenkasse an und wird tatsächlich an einen Kinderarzt vermittelt – anderthalb Fahrstunden von ihrem Wohnort entfernt. Ein Einzelfall? Keineswegs.
Das Problem des Ärztemangels, gerade in ländlichen Regionen, ist seit Jahren bekannt und beschäftigt zunehmend die Politik. Bei einem Fachgespräch im Gesundheitsausschuss des Bundestags beklagten Mediziner die fortschreitend negative Entwicklung vor allem in der Kinder- und Jugendmedizin. Das Problem fehlender Kinderärzte dehne sich immer eklatanter auch auf Fachkliniken aus. Burkhard Rodeck von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin verwies auf Nachteile bei der Abrechnung durch Fallpauschalen im Krankenhaus. Die Ärzte beklagen zudem einen hohen ökonomischen Druck auf die Kinderkliniken. Insgesamt sei die Kinder- und Jugendmedizin unterfinanziert, was Ärzte in ethische Konflikte bringe, wenn sie bei zeitaufwendigen Behandlungen etwa von chronisch kranken oder Kindern mit psychosozialen Störungen, die immer häufiger würden, den kleinen Patienten nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lassen können.
Ärzte im ethischen Konflikt
Christian Jacobs vom Intistut für das Entgeltsystem im Krankenhaus wollte das so nicht stehen lassen. Er sagte, dass es keine systematische Benachteiligung gebe, sondern die Belange von Kindern im Vergütungssystem sachgerecht abgebildet seien. Doch was sachgerecht ist, da gehen die Meinungen auseinander, auch zwischen niedergelassenen Fachärzten für Pädia-trie und den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), welche die Konditionen mit den Krankenkassen aushandeln. In einer eigenen Praxis niedergelassene Kinderärzte stehen in Deutschland am unteren Ende der Einkommensskala für Mediziner. Da sie als Fachärzte eingestuft werden, sind sie darüber hinaus für mehr Patienten – bis zu 3000 pro Quartal – zuständig als ein Hausarzt.
Während der Arzt neben dem Wohl der Patienten auch die Rentabilität seiner Praxis als Wirtschaftsbetrieb im Auge haben muss, zählen für die KVen vorwiegend Fallzahlen und Pauschalen. Diese starre Handhabung führt zu einer dramatischen Schieflage: Ärzte lassen sich lieber in wohlhabenden Gegenden nieder als in solchen mit einkommensschwacher Bevölkerung. Die KV hat nur die Gesamtregion im Blick: So kommt es, dass sich beispielsweise nur drei Kinderärzte im sozial schwachen Münchner Norden niedergelassen haben, die für die ärztliche Versorgung von 23.000 Kindern und Jugendlichen zuständig sind. Die zuständige KV sieht hier keinen Bedarf, da sie 113 Kinderärzte im Stadtgebiet für ausreichend hält und 160, also weit mehr, niedergelassen seien.
Für viele Ärzte ist der Druck in der eigenen Praxis – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Bürokratie durch die Digitalisierung – zu groß geworden. Viele schließen ihre Praxen oder geben ihre Kassenzulassung zurück. Insgesamt haben in Deutschland niedergelassene Ärzte seit einigen Jahren große Probleme, einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. Ein Grund: Bei jungen Ärzten ist Teilzeitarbeit in Mode gekommen. Sie ziehen es vor, in einem sicheren Angestelltenverhältnis in einer Klinik oder bei einem niedergelassenen Kollegen zu arbeiten, als sich dem Risiko einer Selbstständigkeit mit hoher Verschuldung und ungeregelten Arbeitszeiten auszusetzen. Viele junge Ärzte zieht es wegen der besseren Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten ins Ausland. Beliebt als Auswanderungsländer sind die Schweiz, Österreich und die USA.
Eigene Praxis ist zu großes Risiko
Die Folge ist ein eklatanter Mangel an Kinderärzten bundesweit. Am schlimmsten betroffen sind Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Verschärft wird das Problem noch durch die Überalterung im Arztberuf. Allein in Schleswig-Holstein wird in den kommenden Jahren ein Drittel aller Kinderärzte in Rente gehen. Das Land setzt daher auf eine duale Ausbildung, bei der angehende Kinderärzte einen Teil ihrer Facharztausbildung in der Klinik und den anderen bei einem niedergelassenen Kollegen absolvieren.
Nach Ansicht einiger Experten liegt der Fehler im System, da die Bedarfsberechnungen häufig an der Realität vorbei gehen.
Von der Politik fühlen Patienten und Ärzte sich gleichermaßen im Stich gelassen, wenn, wie in Hessen, auf eine unklare Kompetenzverteilung für die Lösung des Problems verwiesen wird. Für die ambulante ärztliche Bedarfsplanung sei das Gesundheitsministerium nicht zuständig. Die sei Aufgabe der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen, hieß es dort lapidar.
sitra achra am 06.07.20, 10:00 Uhr
Man "spart", wo man kann, besonders an den sozial Schwachen, an Alten und Kindern.
Wenn das Geld in dem Beutel klingt, die Wucherseele (hier: Entgeltsystem) aus dem Fegefeuer springt.