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Vertreibungsfolgen

Elternlose deutsche Kinder im Polen der Nachkriegszeit

Die in Krakau geborene Autorin Theresa Willenborg beschäftigt sich in ihrem akribisch recherchierten Buch „Kinder im Schatten des Krieges. Heimerziehung in Polen nach 1945“ einem wenig beachteten Thema

Karlheinz Lau
12.10.2024

Theresa Willenborg ist in Krakau geboren und lebt heute in der Bundesrepublik. Sie beschäftigt sich mit dem Schicksal der Ostdeutschen, die als Fachkräfte überwiegend im Bergbau und in der Elektroindustrie in der Republik Polen gebraucht wurden. Ihre erste Publikation zur Thematik „Fremd in der Heimat. Deutsche im Nachkriegspolen 1945-1958“ erschien 1958.

„Kinder im Schatten des Krieges“ beginnt mit einem Überblick über die Entwicklung der Kinderfürsorge und Pädagogik in der Republik Polen. Den Anfang bildet die Teilungszeit, es folgen der Erste Weltkrieg, 1918 die Bildung eines selbstständigen Staates nach über hundertjähriger Teilung sowie der deutschen Besatzung von 1939 bis 1944/45.

Das zweite Kapitel ist der Heimerziehung der Kinder in der Republik Polen nach 1945 gewidmet. Es muss zwischen deutschen, polnischen, russischen und jüdischen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren unterschieden werden. Das Hauptaugenmerk legt die Autorin auf die Schicksale der deutschen Kinder. Dies wurde auch ihr Forschungsschwerpunkt.

Die gesamte Darstellung ist sehr dicht und faktenreich. Willenborg hat zahlreiche Quellen ausgewertet und in vielen persönlichen Begegnungen in Polen und in Deutschland mit noch lebenden Zeitzeugen, Verwandten oder Bekannten der Betroffenen gesprochen. Ausgewertete Tagebücher und Erinnerungen, Spurensuche in Archiven, Bibliotheken und Museen zeugen vom Ausmaß der Arbeiten für dieses Buch. Es sind in erster Linie polnische Quellen und Einrichtungen. Dieses geballte Material als Grundlage berechtigt die Kernaussage des Buches, dass das Foltern, das Quälen und Misshandeln von Kindern zeit- und systemübergreifend sei.

Beeindruckende Zeugnisse
Ab Seite 109 schildern elternlose Kinder nach 1945 ihre Lebenswege. Es sind Erinnerungen, die erst gegenwärtig ausgesprochen wurden, weitere beeindruckende Zeugnisse werden im Buch dokumentiert. Sie zeigen die unterschiedlichsten Schicksale: Kinder deutscher Eltern, aus deutsch-polnischen Mischehen, Halbwaisen, elternlose und von polnischen Familien adoptierte Kinder – „Wolfskinder“.

„In der Volksrepublik Polen ist die staatliche Kinderfürsorge eine der wichtigsten Formen der Fürsorge für die Menschen. Es ist notwendig, die Zahl der Kinderheime zu erhöhen, damit alle bedürftigen Waisenkinder in staatliche Obhut kommen und in den Heimen zu nützlichen Bürgern der Volksrepublik heranwachsen.“ Diese offizielle Aussage zeigt den Anspruch der kommunistisch-sozialistischen Volksrepublik nach einer gemeinsamen sozialistischen Erziehungspolitik und einer gleichzeitigen Polonisierung der zu Erziehenden. Zielgruppe waren eindeutig deutsche Kinder in der Republik Polen.

Das richtete sich klar gegen den großen Konkurrenten, die Erziehungsprinzipien der katholischen Kirche, die sich am christlichen Menschenbild orientieren. Die Kirche hat bekanntlich einen erheblichen Einfluss auf die polnische Bevölkerung. Die Wendejahre brachten Auflockerungen. Im letzten Kapitel „Danach: Deutscher oder Pole?“ werden ältere Herrschaften – Deutsche und Polen – vorgestellt, die in ihrer Entwicklung in polnischen Fürsorgeeinrichtungen unterschiedliche Identitäten erfahren haben und sich heute als Pole oder Deutscher sehen. Dies sind in beiden Ländern keine Einzelfälle.

Das Buch arbeitet ein Stück Geschichte des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen auf, die bisher hierzulande wenig zur Kenntnis genommen werden. Es stellt aber auch wegen der Fülle seiner Informationen eine wichtige fachliche Publikation für die im Pflegedienst Beschäftigten und Interessenten dar. Es ist verständlich geschrieben, die Ortsnamen sind überwiegend zweisprachig, zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos sind an den Texten orientiert, die beiden Skizzen in den Innenseiten des Umschlages sind eine große Hilfe. Das gilt auch für das Abkürzungsverzeichnis am Beginn der Texte. Insgesamt ein wichtiges Buch über ein Spezial-Thema.

Teresa Willenborg: „Kinder im Schatten des Krieges. Heimerziehung in Polen nach 1945“, Wissenschaftlicher Verlag Berlin,
Berlin 2024, broschiert, 262 Seiten, 36 Euro.


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