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Kunst

Erbauer sinfonischer Kathedralen

Zum 200. Geburtstag Anton Bruckners – Linz feiert den Komponisten mit eigenwilligen Veranstaltungen

Stephanie Sieckmann
31.08.2024

Im Laufe seines Lebens hat Anton Bruckner weite Wege beschritten. Zu Fuß, im Geiste und in seiner Entwicklung. Seine Liebe zur Orgel trieb ihn mit Leidenschaft und Inbrunst voran. Mit der Beharrlichkeit des ewig Lernenden ließ er sich auf der Karriereleiter viel Zeit beim Erklimmen neuer Sprossen und feilte fortwährend an seinen Fähigkeiten. Am Ende setzte der am 4. September 1824 geborene Junge aus armen Verhältnissen neue Maßstäbe.

Der Weg von seinem Geburtsort, dem ländlichen Ansfelden unweit von Linz, zum gefeierten Orgelvirtuosen in der Londoner Royal Albert Hall war zu Beginn alles andere als steil. Dieser Weg hat nichts von dem strebsamen Beschreiten einer Hauptstraße, bei dem das Ziel stets im Blick behalten wird. Vielmehr erweckt Bruckners Entwicklung den Eindruck von einem Wunsch nach Überschaubarkeit und schmalen, gewundenen Pfaden.

Dabei machte es sich Bruckner keineswegs einfach. Während seiner Zeit als Lehrer im Stift Sankt Florian in Kronstorf wohnte er im etwa zehn Kilometer entfernten Enns. Zu dieser Zeit war das Automobil noch nicht erfunden. Um die Orgel zu spielen, die er so liebte, musste er sich zu Fuß auf den Weg nach Steyr machen. Um sowohl seiner Arbeit wie auch dem Orgelspiel nachgehen zu können, legte er die Strecke teilweise zweimal täglich zurück. Dabei galt Bruckners sportliche Leidenschaft keineswegs dem Wandern, sondern dem Schwimmen.

Die bescheidene Lebensweise von Bruckner steht im starken Kontrast zu der Tiefe und Weite, die seine musikalischen Werke prägen. Gut möglich, dass er den Verzicht auf Opulenz und Fülle in der irdischen, physischen Lebensführung für die Konzentration der Sinne nutzte. Das Erfühlen, Erspüren und Ersinnen seiner Kompositionen führten ihn in andere Dimensionen. Dorthin, wo es keine Grenzen gibt. Das spiegelt sich in seinem Werk wider. Immer wieder werden seine Sinfonien als spirituell tiefgehend bezeichnet.

Aber der Zugang zu seinen Kompositionen wird längst nicht jedem Zuhörer gewährt. Seine Musik wird vor allem zu Beginn von Zeitgenossen als „schwierig“ bezeichnet. Dasselbe Attribut wird auch seiner Person zugeschrieben.

Vom kirchlichen Umfeld auf dem Land verlegte Bruckner 1868 seinen Lebensmittelpunkt ins kulturell geprägte Wien mit seiner weltstädtischen Atmosphäre. Das war ein Spannungsfeld, in dem er sich trotz allem treu blieb. Einer, der sich besonders intensiv mit Bruckner beschäftigte, seit er mit acht Jahren erstmals dessen Musik hörte, ist Norbert Trawöger. Der künstlerische Direktor des Bruckner-Orchesters Linz sagt: „Bruckner blieb immer der vom Land.“

Der Wechsel vom Ländlichen in die Hauptstadt brachte auch beruflich einen Wendepunkt. Bruckner übernahm in Wien die Professur am Konservatorium der Musikfreunde. Vom Sakralmusiker und Organisten wagte er den Schritt, sich als Komponist von monumentalen Sinfonien zu etablieren. Damit setzte er sich der Kritik der Öffentlichkeit aus, die ihm zum Teil mit scharfer Zunge begegnete.

Das ist heute anders. Der 200. Geburtstag von Bruckner wird in Oberösterreich ausgiebig gefeiert. Die Auseinandersetzung mit dem Musiker Bruckner und seinem Werk veranschaulicht die Komplexität. Bruckner wird ins Rampenlicht gerückt und aus verschiedensten Blickwinkeln intensiv beleuchtet. Trawöger, dem künstlerischen Leiter der Kultur-Expo „AntonBruckner2024“, ging es darum, Bruckner greifbar, fühlbar und hörbar zu machen. Das Ziel: kein Gedenkjahr, sondern eine bewegte Sinfonie, die durch das Land zieht.

Musik auf der „Schorgel“
Dabei gibt es einen „Klangwald“, Kunst-Automaten und Bruckner-Most inklusive. Zu erleben ist das mit einer Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek sowie mit Aufführungen, die mal in kleinen Salons, mal in großen Musikhäusern oder auch unter freiem Himmel gespielt werden. Neben Konzerten gibt es Vorträge und ein hochmodernes Experiment: An Bruckners Ehrentag, dem 4. September, werden Punkt Mitternacht die Vibrationsgeräusche der Glocken von Notre Dame über die Eishöhlen des Dachstein ihren Weg in den Mariendom von Linz finden und dort einen weltumspannenden Klang zaubern.

So unkonventionell wie Bruckner war, so ausgefallen ist auch die „Schorgel“. Der Name sagt es: die Orgel spielt eine Rolle. Die verschiedenen Orgelpfeifen werden dabei durch Schaukeln und Wippen betätigt – so wird ein Spielplatz zum Musikzimmer. Inspiration für dieses Experiment war die Orgel im Alten Dom von Linz. Ihre Luftversorgung wurde, wie damals üblich, durch das Treten eines Blasebalgs betrieben. Dafür waren Balgtreter notwendig.

Die „Schorgel“ greift das Element der Gruppen-Dynamik bei der Inszenierung der Orgel auf. Das Objekt tourt in diesem Sommer durch Oberösterreich und bringt den ungewöhnlichen Bruckner-Erlebnis-Raum in verschiedene Orte, die einen Bezug zum Komponisten haben.

In einem Podcast wird Bruckner auf die Couch gelegt und von Österreichs bekanntesten forensischen Psychiaterin, Heidi Kastner, unter die Lupe genommen. Sie ist der Meinung, dass einiges dafür spricht, dass Bruckner eine neurotische Persönlichkeit hatte. Sein Verhalten war oft geprägt von Ängsten, Unsicherheiten, Zwängen und einer Tendenz zur Kränkbarkeit. In einem Podcast über den Musiker äußert sie: „Bei Mozart hab ich immer das Gefühl gehabt, der hat eine Begabung fürs Leben gehabt. Beethoven schon weniger, Bruckner gar nicht. Der hat sich an der Tischkante entlanggehangelt und war gekränkt, wenn der Tisch aus war.“

Das „BruQner“ getaufte Musik-Happening im Mariendom von Linz bringt am 4. September moderne Technik und Wissenschaft in Verbindung mit der Musik Bruckners. Während Kirchenorgeln den Klang liefern, werden verschränkte Photonen mit Hilfe von Lasern, Spiegeln, und Polarisatoren zum Einsatz gebracht, um Bruckners „Perger Präludium“ einen völlig neuen, hochmodernen Ausdruck zu verleihen.

Der Junge aus armen Verhältnissen, der als Sängerknabe zum Stift Sankt Florian kam; der Komponist und Organist, der als bescheiden und neurotisch bezeichnet wurde; Bruckner, der gefeierte Sinfoniker, der mit seinen Improvisationen an der Orgel in London und Paris 70.000 Menschen begeisterte – sein Weg führte ihn am Ende seines Lebens auf das Schloss Belvedere. Kaiser Franz Joseph I. stellte ihm dort mietfrei ein Zimmer in einem Nebengebäude zur Verfügung. Ein mehr als würdiges Ende für ein Leben, das der Musik gewidmet war.

Buchtipps: Norbert Trawöger, Bruckner: Journal einer Leidenschaft, Residenz Verlag 2024, 160 Seiten, 22 Euro; Andrea Harrandt, Thomas Leibnitz, Anton Bruckner: Der fromme Revolutionär, Residenz Verlag 2024, 256 Seiten, 34,90 Euro; Klaus Petermayr, Alfred Weidinger (Hg.), Anton Bruckner: Eine Biografie, Verlag Anton Pustet 2023, 352 Seiten, 30 Euro; Felix Diergarten, Anton Bruckner: Ein Leben mit Musik, Metzler Verlag 2023, 243 Seiten, 29,99 Euro. Bruckner: Complete Symphonies Edition, Christian Thielemann & Wiener Philharmoniker, 11 CD-Box-Set, Sony Music. Alle Termine zum Bruckner-Geburtstag: www.anton-bruckner-2024.at


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Kommentare

Peter Faethe am 31.08.24, 08:11 Uhr

AVierzig Jahre nach seinem Tod wurde Anton Bruckner vom nationalsozialistischen Regime als einer der wichtigsten deutschen Komponisten gefeiert. Doch wie kam es zur Verehrung Bruckners durch
die Nazis? Einer der Hauptgründe war schlichtweg, dass Adolf Hitler
selbst ein großer Anhänger der Musik Bruckners war und sich geradezu mit ihm identifizierte. Mit Akribie suchte Hitler Gemeinsamkeiten
zwischen seiner und Anton Bruckners Biografie. Er sah in dem Komponisten eine Art Leidensgenossen, was das Leben in Wien betraf. Seiner
Meinung nach wurden sie beide von der „feinen Wiener Gesellschaft“
ignoriert und als Außenseiter wahrgenommen-Bruckner. at ....

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