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Analyse

Erdoğans Wahldebakel

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei ist es der Opposition gelungen, dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) die empfindlichste Niederlage seiner langen politischen Karriere beizubringen.

Bodo Bost
03.04.2024

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei ist es der Opposition gelungen, dem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) die empfindlichste Niederlage seiner langen politischen Karriere beizubringen. Erdoğan misslang nicht nur der Versuch, die Kontrolle über die sechs größten türkischen Städte zurückzugewinnen, er hat auch die Hälfte der Landbevölkerung verloren.

Ankaras Oberbürgermeister Mansur Yavaş von der oppositionellen kemalistischen und sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP) wurde mit fast 60 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Sein Herausforderer von der AKP bekam nur 33 Prozent. Yavaş' Parteifreund Ekrem İmamoğlu konnte Istanbul mit 51 Prozent verteidigen. Erdoğans ehemaliger Minister für Umwelt und Stadtplanung, Murat Kurum, musste sich mit 40 Prozent zufriedengeben. Dabei hatte Erdoğan sein ganzes politisches Gewicht für Kurum in die Waagschale geworfen.

Erdoğan, der selbst nicht zur Wahl stand, führte offen Wahlkampf an der Seite seines ehemaligen Umweltministers in Istanbul, der Kulturhauptstadt der Türkei, deren Bürgermeister er in den 1990er Jahren selbst gewesen war und in der sein Aufstieg zur Alleinherrschaft begonnen hatte. Noch einen Tag vor der Wahl hielt Erdoğan drei Versammlungen in Istanbul ab und besuchte demonstrativ die Hagia Sophia, die der Präsident vor drei Jahren wieder zur Moschee umfunktionieren ließ. Die türkischen Wähler ließen sich von diesen Werbe- und Kraftpossen ihres Langzeitherrschers nicht beeindrucken, der die beiden letzten Wahlsiege als Präsident nur den Deutschtürken zu verdanken hatte, die ihn mit übergroßer Mehrheit und mit wahlrechtlichen Tricksereien knapp an der Macht hielten.

Massive Geldentwertung
İmamoğlu gelang es, die Spaltungen innerhalb der Opposition zu überwinden, und dies obwohl ihm die Medien wenig Raum ließen, sich der breiten Masse zu präsentieren. Doch die Hartnäckigkeit, mit der Erdoğan versucht hat, ihn zu diskreditieren, hat offenbar nicht ausgereicht. Die Wiederwahl des derzeitigen Bürgermeisters von Istanbul, der wirtschaftlichen Lunge des Landes, macht diesen nun zum Favoriten bei den Präsidentschaftswahlen 2028. Aber in den vier Jahren bis dorthin droht der Türkei ein gefährlicher Stillstand, den Erdoğan nutzen wird, um seinen Nachfolger im Kreise seiner Schwiegersöhne aufzubauen, damit er selbst nach seinem Machtabtritt straffrei ausgehen wird für seine ungezählten Verfassungs- und Rechtsbrüche.

Millî-Görüş-Bewegung
Die CHP konnte diesmal neben den großen Städten auch die Hälfte der Provinzen sogar in Anatolien für sich gewinnen, eigentlich traditionelle Hochburgen von Erdoğans AKP. Die prokurdische Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM Parti) ging als Siegerin in den großen Städten im Südosten mit kurdischer Mehrheit hervor – darunter Diyarbakir, die informelle Hauptstadt der Kurden in der Türkei –, und dies, obwohl sie kaum Werbung machen durfte und mehr als die Hälfte ihrer Führer wegen Präsidentenbeleidigung in Haft sitzt.

61 Millionen Wähler der insgesamt 85 Millionen Einwohner der Türkei bestimmten im ganzen Land ihre Bürgermeister, aber auch Stadträte, Bezirksbürgermeister und Muhtars (Vorsteher von Stadtvierteln). Die Wahlbeteiligung betrug 76 Prozent und damit nur ein Dutzend Prozentpunkte mehr als die Inflation. Diese massive Geldentwertung, die Erdoğan mit einer islamischen Wirtschaft bekämpfen wollte, kostete die erfolgsverwöhnte AKP viele Sympathien und Stimmen. Zusätzlichen Gegenwind erhielt Erdoğans nationalistisch-radikal-islamische Partei diesmal aus der Millî-Görüş-Bewegung von der neuen ebenfalls radikal-islamischen Neuen Wohlfahrtspartei. Die AKP konnte nicht mehr wie früher die neue Bildungsbürgerschicht in den Städten erreichen.

Die AKP, die ursprünglich neoliberale Werte verfolgte, hat sich zu einer autoritären, ultranationalistischen und radikal-islamischen Partei gewandelt und wurde jetzt abgewählt. Aber die Türken müssen sie noch vier lange Jahre lang erdulden. Die Deutschen werden wird die in dieser Zeit sicher weitergehenden Eskapaden Erdoğans bezahlen müssen, denn die Türken stellen schon jetzt die zweitgrößte Gruppe unter den Asylsuchern in Deutschland.


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