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Vor 200 Jahren starb Jean Paul – Dieser geniale Außenseiter der deutschen Literatur sitzt bis heute zwischen allen Stühlen
An Sonderlingen mangelt es der deutschen Literatur wahrlich nicht. Von dem Spätaufklärer Johann Karl Wezel über den vor 200 Jahren geboren Conrad Ferdinand Meyer (siehe PAZ 10. Oktober) bis hin zu dem „Heidedichter“ Arno Schmidt reicht die Riege der Käuze, die abseits des Literaturbetriebs ebenso Absonderliches wie Vergnügliches zu Papier brachten.
Jean Paul – nein, nicht Sartre, Belmondo oder Gaultier –, sondern der deutsche Schriftsteller Jean Paul, der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß und seinen Vornamen aus Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau französisierte, gehört ebenfalls in diese Reihe der unvergessenen Einzelgänger. Schon die Titel einiger seiner Werke hören sich schräg an: „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“, „Hesperus oder 45 Hundposttage“, „Leben des Quintus Fixlein, aus funfzehn Zettelkästen gezogen; nebst einem Mustheil und einigen Jus de tablette“, „Siebenkäs. Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel“, „Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten; nebst der Beichte des Teufels bey einem Staatsmanne“.
Diese satirischen Prosawerke brachten zu Jean Pauls Lebzeiten ein großes Lesepublikum zum Lachen. Heute sind diese Werke wegen ihrer zahlreichen Einschübe, Abschweifungen, Exzerpte, zeitgenössischen Anspielungen und Fußnoten nur noch schwer konsumierbar. Es sind häufig Kabarettisten, die sich auf Jean Paul berufen und ihn als ihren Lehrmeister für Gesellschaftssatire bezeichnen. Alle anderen tun sich schwer mit diesem dem Bier- und Tabakgenuss nicht abgeneigten Exzentriker. Das gilt auch für die Literaturwissenschaft, die das Andenken der Klassiker zu wahren weiß.
Aber schon da beginnt ein Missverständnis. Jean Pauls Werk ist so absonderlich, dass die Hüter der Literatur nicht wissen, in welches Regal sie es schieben sollen. Weil der Einzelgänger Jean Paul ebenso wie seine Zeitgenossen Kleist und Hölderlin irgendwo zwischen den Stühlen sitzt, wurde für diese Autoren der exklusive Club der „Gegenklassik“ erfunden. Was dieses Trio gemein hat, um unter dieses Label zu fallen? Unklar. Es scheint, als handele es sich um eine unklassifizierbare Resterampe.
Preußen-Königin Luise als Freundin
Tatsächlich entzieht sich das Werk dieser Autoren den klaren klassischen Dichtkunstregeln eines Goethe oder Schiller wie auch dem wildwuchernden Erzählstil der nachfolgenden Romantikergeneration. Bezeichnend dafür ist, dass Jean Paul mit seinem Liebes- und Intrigenroman „Hesperus“ 1795 berühmt wurde, dem Jahr also, in dem auch die Romane „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ des Klassikers Johann Wolfgang Goethe und „William Lovell“ des Romantikers Ludwig Tieck erschienen sind. Dabei haben diese Romane trotz ihres unterschiedlichen Stils mehr gemeinsam, als man denkt: Es kommt zu Liebes-Verschwörungen, Entführungen, Duellen, Raubüberfällen und anderen Mauscheleien, die man eher der Kolportageliteratur zuordnen könnte. An skurrilem Witz aber ist Jean Paul nicht zu überbieten.
Er ist ein Worterfinder, wie es ihn seit Martin Luther nicht mehr gegeben hat. „Gänsefüßchen“, „Doppelgänger“, „Fallschirm“, „Ehehälfte“ und den Begriff „Weltschmerz“ hat er in die deutsche Sprache ebenso eingeführt wie die „Waschmaschine“ – und zwar lange bevor sie überhaupt erfunden wurde. Auch dank solcher Neologismen hat man in Jean Pauls Werken einen Wortschatz mit über 100.000 Wörtern gezählt. Damit übertrifft er sogar den Kosmopoliten Goethe, der nach seinen Reisen der italienischen und französischen Sprache mächtig war.
Jean Paul, dieser Einzelgänger, hat aber niemals deutsche Grenzen überschritten. Er bewegte sich nur selten über Wunsiedel, wo er 1763 geboren wurde, und Bayreuth, wo er von 1804 an lebte, hinaus. Berlin blieb eine Ausnahme. Hier wohnte er vier Jahre lang, heiratete eine Berlinerin und freundete sich mit Königin Luise an. Ihr und ihren drei Schwestern widmete er sein Hauptwerk „Titan“.
„Asyl“ bei Richard Wagner
In seiner Phantasie malte er sich die abenteuerlichsten Welten aus. Sein 800-Seiten-Romankoloss „Titan“, neben den „Flegeljahren“ sein heute bekanntestes Werk – der Komponist Gustav Mahler nahm es als Inspiration für seine gleichnamige erste Sinfonie –, hat die Isola Bella im Lago Maggiore zum Schauplatz, deren arkadisch anmutende Intrigenwelt er in allen Einzelheiten beschreibt. Bis nach Rom und Neapel lässt er die Hofgesellschaft reisen. Er selbst war niemals dort und teilt damit das Los bildungsbeflissener Dichter wie Wieland oder Hölderlin, die in ihren Werken vom antiken Griechenland allenfalls nur geträumt haben, ohne das Land jemals betreten zu haben.
Jean Pauls Außenseitertum machte ihn zu einem der größten Träumer der deutschen Literatur. Er gleicht damit dem armen Schulmeisterlein Maria Wutz – als Idylle in seinem Roman „Die unsichtbare Loge“ von 1793 eingefügt –, der sich seine eigene „Taschendruckerei“ schreibt, weil er sich keine Bücher leisten kann. Um nach dem frühen Tod des Vaters nicht als Hilfslehrer oder Dorfpfarrer zu enden, schrieb sich Jean Paul aus tausenden Zetteln und Notizen ein enzyklopädisches Wissen an. Rechnet man diesen Manuskriptbestand zu den etwa 10.000 Seiten seiner veröffentlichten Werke hinzu, käme man auf eine vielfache Seitenanzahl.
In der „Unsichtbaren Loge“ bezeichnete Jean Paul seine Produktion als „satirische Essigfabrik“. Der Autor, der in seiner abgeschiedenen Idylle, zumeist in einer Gartenlaube in Bayreuth, wie am Fließband schrieb, gilt damit als einer der produktivsten Schriftsteller der deutschen Literatur. Und doch haben ihm andere längst den Rang abgelaufen.
Selbst in Bayreuth, wo er am 14. November 1825 starb, spielt er nur noch die zweite Geige, nachdem Richard Wagner alljährlich die Festspielgemeinde in die Stadt gelockt hat. Wagner gewährt Jean Paul posthum sogar noch eine Art „Asyl“. Denn im Wagner-Haus „Wahnfried“ findet am 200. Todestag Jean Pauls ein Festakt mit Kammerkonzert und Lesung statt. Und im früheren Wohnhaus des Komponisten, dem Chamberlainhaus in der Wahnfriedstraße 1, sorgt das rührige Jean-Paul-Museum für das Andenken des schreibenden Sonderlings.
Weitere Veranstaltungen in Bayreuth anlässlich des 200. Todestags von Jean Paul im Internet unter: www.bayreuth-tourismus.de/sehenswertes/jean-paul/jubilaeum-2025