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Unterzeichnung des Friedens von Sèvres vor 100 Jahren

Erfolgreicher Widerstand gegen einen Diktatfrieden

Als einzige Verlierer des Ersten Weltkriegs verweigerten die Türken dem ihnen oktroyierten Pariser Vorortvertrag die Anerkennung

Wolfgang Kaufmann
09.08.2020

Als „einen Verbrecher, der auf seine Aburteilung wartet“, bezeichnete der britische Außenminister George Curzon am 4. Juli 1919 das Osmanische Reich. Und der englische Premier Lloyd George prognostizierte: „Wenn die Friedensbedingungen verkündet werden, wird man sehen, zu welch harten Strafen die Türken wegen ihrer Verrücktheit, ihrer Blindheit und ihrer Morde verurteilt werden ... Die Strafen werden so fürchterlich sein, dass selbst ihre ärgsten Feinde zufriedengestellt sein werden.“ Wie die anderen Mittelmächte Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Bulgarien bekam auch das Osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg von den siegreichen alliierten und assoziierten Mächten einen harten Frieden diktiert.

Der vor 100 Jahren, am 10. August 1920, in Sèvres unterzeichnete fünfte und letzte der Pariser Vorortverträge reduzierte das Territorium des Osmanischen Reiches auf einen Bruchteil. Syrien, Mesopotamien und die anderen arabischsprachigen Provinzen des Osmanischen Reiches im Nahen Osten und Nordafrika sollten größtenteils an die alliierten Hauptmächte und europäischen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich und Italien gehen. Ausgenommen hiervon waren Palästina, das die Juden bekommen sollten, und der im Ersten Weltkrieg als Königreich selbstständig gewordene Hedschas im heutigen Saudi-Arabien mit den heiligen Stätten von Mekka und Medina. Griechenland erhielt Ostthrakien zugesprochen. Darüber hinaus kam die von den Truppen Athens besetzte Hafenstadt Smyrna, das heutige Izmir, samt Umland formell unter griechische Verwaltung. Den Kurden wurde ein eigener Staat in Ostanatolien in Aussicht gestellt, was insofern zum Problem geriet, als die Sieger Armenien ebenfalls ausgedehnte Gebiete in dieser Region zuschanzen wollten. Des Weiteren enthielt der Vertrag noch zahlreiche Regelungen zur Staatsangehörigkeit und dem Schutz von Minderheiten, zur Verfolgung türkischer Kriegsverbrecher und der fast vollständigen Auflösung der Streitkräfte des Osmanischen Reiches sowie zur internationalen Kontrolle der Meerengen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ägäis.

Die Bedingungen des Friedens von Sèvres waren noch härter als die vorangegangenen Pariser Vorortverträge und gefährdeten die Existenz eines wie auch immer gearteten türkischen Staates. Vor diesem Hintergrund verweigerte die Große Nationalversammlung in Ankara, die an die Stelle des von Sultan Mehmed VI. aufgelösten Parlaments in Istanbul getreten war, die Ratifikation des Vertragswerks. Dessen osmanische Unterzeichner wurden neun Tage nach der Vertragsunterzeichnung zu Vaterlandsverrätern erklärt. Die Türken waren damit die einzigen Kriegsverlierer, welche die Anerkennung des ihnen zugedachten Pariser Vorortvertrags verweigerten. Und sie kamen damit durch.

Der seitens Griechenland mit Einverständnis der Briten unternommene Versuch vom Brückenkopf Smyrna aus, weitere Teile der Türkei zu erobern, um die Türken zur Ratifikation des Vertrages von Sèvres zu zwingen, scheiterte auf ganzer Linie. Das Fiasko führte schließlich zur Abdankung des griechischen Königs Konstantin I. und zur Hinrichtung von Ministerpräsident Dimitrios Gounaris wegen Hochverrates.

Härtester der Vorortverträge

Ebenso wie in diesem 1922 beendeten Griechisch-Türkischen Krieg war die türkische Seite auch in dem am 24. September 1920 ausgebrochenen Türkisch-Armenischen Krieg erfolgreich. In dem diesen beendenden Vertrag von Alexandropol vom 2. Dezember 1920 verpflichtete sich die damals für wenige Jahre bestehende Demokratische Republik Armenien, auf die im Vertrag von Sèvres zugesicherten Gebiete in Ostanatolien zu verzichten.

Großbritannien und Frankreich sahen dem Scheitern der Griechen und Armenier praktisch tatenlos zu, widmeten sie ihre Aufmerksamkeit zwischenzeitlich doch eher dem russischen Bürgerkrieg und dem Polnisch-Sowjetischen Krieg. Darüber hinaus war es der Regierung in Paris augenscheinlich wichtiger, Deutschland zur Einhaltung der Bestimmungen des Versailler Diktats zu nötigen.

Vor diesem Hintergrund verlief der bewaffnete türkische Widerstand gegen die Bestimmungen des Friedens von Sèvres immer erfolgreicher. Bald vermochten es die Türken auch, die französische Besetzung Kilikiens zu beenden. Ein entsprechender bilateraler Vertrag wurde am 20. Oktober 1921 in Ankara unterzeichnet.

Revision durch Frieden von Lausanne

Schließlich gaben die Sieger des Ersten Weltkrieges den Versuch auf, auf der türkischen Anerkennung der Bestimmungen des Friedens von Sèvres zu bestehen. Das Ergebnis dieses Einlenkens war der vom Völkerbund initiierte Vertrag von Lausanne. Dieser am 24. Juli 1923 zwischen den Hauptvertragspartnern des Friedens von Sèvres geschlossene Vertrag lief auf eine formelle Revision des inzwischen drei Jahre alten Diktatfriedens hinaus. Beispielsweise erhielt die Türkei Ostanatolien und Ostthrakien nun für immer zugesprochen. Ebenso gab Italien seine Ansprüche auf das Gebiet um Antalya auf, wenn die Türkei dafür auch die italienische Souveränität über die Inselgruppe des Dodekanes vor der türkischen Südküste anerkennen musste.

Der durch den Vertrag von Lausanne beendete sogenannte Türkische Befreiungskrieg ist in mehrfacher Hinsicht bis in die Gegenwart von Bedeutung. Die Türkei erhielt ihre heutigen Grenzen. Und der angeblich „kranke Mann am Bosporus“ machte die Erfahrung, dass er sein heutiges Territorium gegen den Widerstand der Griechen und der europäischen Westmächte erstreiten musste und erstreiten konnte. Das war nicht geeignet, bei den Türken Minderwertigkeitsgefühle oder Wohlwollen gegenüber dem Westen zu erzeugen.


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Kommentare

Siegfried Hermann am 10.08.20, 10:03 Uhr

Soweit, so gut.
Man aber muss auch sehen, das nach 1918, die Spanische Grippe überall tobte und noch mehr Tote als der 1. WK forderte. Franzosen und Briten waren finanziell stark angeschlagen, ohne die Repressionszahlungen aus Deutschland wäre das in Frankreich noch ganz anders gelaufen. Die Bevölkerung war absolut kriegsmüde und hatte keine Lust weitere Belastungen, im "Fernen Orient" wo der Hund verfroren ist, aufzunehmen.
Die Griechen wiederum waren einfach zu gierig und hätten sich dem Ionischen Gebieten an der Westküste der Türkei , die sie seit 2500 Jahren (!!) besiedelten zufrieden geben sollen und haben die noch vorhandenen militärischen Handlungsfähigkeit der Rest-Osmanischen Armee komplett unterschätzt.
Kemal Attatürk wiederum hatte von vorherein das heutige Gebiet der Türkei im Sinn und hat den Verlust der Altlasten keine Träne hinterher geweint. Vielmehr hatte er glaubt, so auch den Islam weiter verdrängen zu können und sein Volk nach westlichen Vorbild in die Moderne hieven zu können, was bis heute nach seinen Tod auch komplett gescheitert ist.
Die Kurden warten bis heute auf ihren Staat. Und den Armenierin hat man weder den Holocaust auch nur in irgendeiner Form entschädigt und ebenfalls die Gebietsansprüche völlig unklar.
In Bulgarien und Griechenland lebt zudem eine große Minderheit Türken, die zunehmend Probleme machen und damals eigentlich abgeschoben werden sollte. Und guter letzt hat der MIT nichts besseres zutun, als im Kaukasus, seit die Russen weg sind, überall neue "Ölfässer anzuzünden". Und weil das immer noch nicht reicht, wird sich gleich noch mit den Syrern und den Völkergemisch im Nordirak angelegt.
Das ist eine hochexplosive Mischung, die jederzeit Kleinasien ins Inferno stürzen wird, nicht nur, aber auch, weil damals alles politisch verfuscht worden ist, was nur zu verfuschen war.

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