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Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall erzählt Udo Bartsch in zwei Interviews von seinen Erlebnissen
Das Buch „Kein Weg nach Arkadien. Verordnetes Leben im Sozialismus, Verlorene Illusionen im geeinten Deutschland“ bringt zwei Gespräche mit dem Zeitzeugen Udo Bartsch über sein Leben in der DDR sowie seine Erfahrungen in der Wendezeit 1989/90 und den Anfängen im vereinten Deutschland. Die Interviewpartnerinnen von Bartsch sind die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Mechthild Günther, und die Geschichtsprofessorin Andrea Brait aus Innsbruck.
Die Gespräche fanden etwa fünf Jahrzehnte nach den erlebten Ereignissen statt. Es ist erstaunlich, wie der Autor sich zum Teil sehr detailliert erinnert. Die beigefügten Dokumente und Fotografien aus dem Jahr 1961 und der Wendezeit stützen das. Beide Gespräche könnten auch als gesonderte Publikationen erscheinen.
Geboren in Niederschlesien
Bartsch, 1942 in Waldenburg/Niederschlesien geboren, entstammt einer bürgerlich-mittelständischen Familie, sein Vater war Großhandelskaufmann. Mit dieser Herkunft war er für die DDR kein Arbeiterkind, und das hatte Folgen: Er konnte trotz guter schulischer Leistungen kein Abitur machen und kein Studium aufnehmen. Allerdings gab es auch in diesem Staat für ihn die Möglichkeit, nach bis zu drei Jahren Bewährung in der Produktion als Agronom in der Landwirtschaft zu arbeiten. Das aber war überhaupt nicht „sein Ding“.
Immerhin konnte er bis zum 13. August 1961 auch als Bewohner des sowjetisch besetzten Teils von Berlin den westlichen Teil der Stadt besuchen. Hiervon machte er sehr reichlich Gebrauch. Er beschreibt, wie er in diesen Zeiten des noch freien Übergangs von Ost nach West und zurück seine politischen Überzeugungen von der Freiheit des Individuums stärkte.
Haft nach Fluchtversuchen
Es entwickelte sich die grundsätzliche Ablehnung eines Systems, das den verfügbaren sozialistischen Menschentyp nach dem Bild der SED heranzog. Folgerichtig legte er in West-Berlin das Abitur ab und immatrikulierte sich an der Freien Universität in den Fachrichtungen Volkswirtschaft und Ethnologie. Der Mauerbau verhinderte jedoch die Aufnahme des Studiums. Nach der Rückkehr zur Familie im Ostsektor geriet er sofort in die Fänge des Staatsapparates, das heißt der Staatssicherheit (Stasi). In der Folge unternahm Bartsch drei Fluchtversuche, die allesamt scheiterten.
Er wurde für die Versuche, die Republik zu verlassen, zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Die brutalen, grausamen und unmenschlichen Praktiken in den Haftanstalten der DDR, die Zehntausende von Menschen ertragen mussten – viele haben ihre Schicksale geschildert – werden vom Autor mit bedrückender Klarheit beschrieben. Nach seiner Entlassung landete er in untergeordneter Stellung im Bibliothekswesen und beim Zentral-Zirkus der DDR.
Hier zeigte sich deutlich, dass es eine freie Wahl des Berufs oder des Arbeitsplatzes in der DDR nicht gab, sondern Staat und Partei setzten nach eigenen Bedürfnissen ein. Allerdings konnte dies durch Eintritt in die SED umschifft werden. Diesen Schritt konnte und wollte Bartsch nicht gehen.
Nach einigen Jahren durfte er ein Fernstudium in Kultur- und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität aufnehmen, nicht als Direktstudium. Er beendete das Fernstudium mit Bestnote und war danach Diplom-Kulturwissenschaftler. In dieser Funktion half er, das Institut für Ästhetik und Kulturwissenschaften bei der Akademie der Wissenschaften aufzubauen.
Inzwischen war er in die Blockpartei CDU eingetreten, die ihre Position nicht im Marxismus-Leninismus sah und doch mit der SED-Führung verstrickt war. Lesenswert sind die Ausführungen des Autors über die politisch-ideologische Arbeit im Zirkuswesen sowie über Glasnost und Perestrojka in der Führung der SED und in der Bevölkerung. Zwar ist das Erfahrungsfeld relativ schmal, nämlich nur die Kulturszene, doch seine Analysen über das politische und gesellschaftliche System DDR gültig bleiben, auch nach 50 Jahren zeitlichen Abstandes.
Mitglied der CDU
Das zweite Gespräch mit der Historikerin Brait zeigt die Zerrissenheit, in der sich der Autor in der Zeit des Umbruchs befunden haben muss: trotz grundsätzlicher Ablehnung der SED-Herrschaft blieb der Glaube an die Möglichkeit der weiteren Existenz einer demokratischen DDR, sein Bemühen, positive Elemente des Kulturlebens des sozialistischen Staates in das vereinte Deutschland hinüberzuführen. In der letzten frei gewählten DDR-Regierung de Maizière wurde Bartsch Staatssekretär im Ministerium für Kultur. In dieser Funktion verhandelte er für den Bereich Kultur und Kunst als Vertreter der DDR den Einigungsvertrag mit den Delegierten der Bundesrepublik Deutschland. Nach seiner Schilderung müssen es komplizierte Verhandlungen mit unterschiedlichen Interessen gewesen sein.
Hauptziel war die Erhaltung der kulturellen Substanz des „Ostens“ als eines unverzichtbaren Teils der gemeinsamen deutschen Kulturlandschaft. Hierzu zählen unter anderem das klassische Weimar, Schlösser und Gärten, Theater und Konzerthallen wie das Gewandhaus in Leipzig oder das Grüne Gewölbe in Dresden, der Komponist Bach und vieles andere.
Verantwortung im Bereich Kultur
Ein Konflikt war die höchste politische Verantwortung für den Bereich Kunst/Kultur: ein Kulturministerium wie in der DDR oder die föderale Verantwortung der Länder, wie es im Grundgesetz festgeschrieben steht. Konsens herrschte wohl bei den deutsch-deutschen Vertretern in der Überzeugung, dass Kunst und Kultur ein wichtiger Faktor für die innere Einheit des zusammenwachsenden Landes sei. Ein Bundeskultusministerium wurde nicht etabliert, und Bartsch wurde nicht Staatssekretär, sondern Direktor der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Dies könnte eine verlorene Illusion gewesen sein.
Das Buch bietet interessante Informationen über zwei Bereiche der deutschen Geschichte seit 1945. Es sollte deshalb seine Leser finden, zumal nach dreieinhalb Jahrzehnten vieles in Vergessenheit geraten ist und die Zeitzeugen immer weniger werden. Warum aber der Autor konsequent statt West-Berlin die von der SED verfügte Schreibweise Westberlin benutzt, bleibt sein Geheimnis. Es ist die Bezeichnung für die „selbstständige politische Einheit Westberlin“.
Udo Bartsch: „Kein Weg nach Arkadien. Verordnetes Leben im Sozialismus, Verlorene Illusionen im geeinten Deutschland“, OEZ Berlin-Verlag, Berlin 2019, Taschenbuch, 221 Seiten, 12,90 Euro