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Ob Migration, Klimapolitik oder Infrastruktur: Die britischen Konservativen verheddern sich in Streit
Etwa ein Jahr ist es noch bis zur nächsten Parlamentswahl in Großbritannien, und die regierende Konservative Partei wirkt erschöpft. Seit vielen Monaten liegt sie in den Umfragen weit hinter der linken Labour-Partei zurück, Premierminister
Rishi Sunaks persönliche Zustimmungswerte sich ebenfalls drastisch gesunken. In der Partei, die diese Woche ihre Jahreskonferenz in Manchester abhielt, bezweifeln einige, dass es noch möglich sein wird, eine schwere Niederlage zu verhindern. Welche Themen auch immer sie setzen, ob Migration, Klimapolitik, Verbrenner-Autos – immer verheddern sich die Tories auch in internem Streit.
Beispiel Migration. Innenministerin Suella Braverman bezeichnete vergangene Woche in Washington in einer aufsehenerregenden Rede die massenhafte Immigration als „existentielle Bedrohung“ für den Westen. Außerdem geißelte sie ein Versagen, Immigranten zu integrieren. Dieses liege am „verfehlten Dogma des Multikulturalismus“, so Braverman, die Tochter indischstämmiger Einwanderer ist. Applaus gab es für diese Rede vom rechten Parteiflügel. Sunak, auch er Kind indischer Einwanderer, meldete sich aber zu Wort und sagte, er sehe Multikulturalismus positiv. Und Abgeordnete aus dem wohlhabenden Südosten Englands und aus London fürchten, dass die rechte Innenministerin liberale Wähler verschrecke. Einige kritisierten sie sogar als „Hetzerin“.
Jahreskonferenz in Manchester
Ein paar Tage zuvor hatte Premier Sunak versucht, mit einem Vorstoß zu Klimazielen zu punkten. Er hat das Verbot von Benzin- und Dieselautos von 2030 auf 2035 verschoben. Es gab viel Aufregung über die Kehrtwende. Klimaschutzorganisationen reagierten wütend, Labour tobte. Sogar Ex-US-Vizepräsident Al Gore, der als großer Klimaprophet auftritt, meldete sich zu Wort. „Schockierend und enttäuschend“ sei die Wende der britischen Politik. Dennoch glaubt Sunak, mit dem Thema Autofahrer für sich zu gewinnen. Beim Parteitag in Manchester präsentierte er Pläne, wie Autofahren bezahlbar bleiben soll. In London gibt es unter Autofahrern viel Ärger über die vom Labour-Bürgermeister aufs ganze Stadtgebiet ausgeweitete Umweltzone ULEZ. Ältere Fahrzeuge müssen nun eine happige Tagesgebühr von umgerechnet 15 Euro zahlen. Die Kontroverse darum hat Labour einen Sieg bei einer Nachwahl gekostet. Einige Konservative glauben, das könnte nun ein Gewinnerthema für sie im ganzen Land werden.
Dem steht aber gegenüber, dass sich in vielen anderen Bereichen die realen Probleme auftürmen und die Bürger darüber tief verbittert sind. Nach dem Schulanfang in diesem Herbst mussten mehr als hundert Schulen zeitweilig schließen, weil bröckelnder Beton ein Sicherheitsrisiko darstellt. Die Infrastruktur des Landes ist in Teilen marode. Das Magazin „The Spectator“ schrieb eine Titelgeschichte „Broken Britain“ (Kaputtes Britannien). In den Krankenhäusern des Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) gibt es eine wahnsinnig lange Warteliste von Patienten.
Viel Streit gibt es auch über den geplanten Ausbau einer Hochgeschwindigkeitsbahn namens „High Speed 2“ (HS2), die von London nach Birmingham und dann nach Manchester führen soll. Neue Berechnungen zeigen, dass die Schnellbahn bis zu 100 Milliarden Pfund (umgerechnet etwa 116 Milliarden Euro) teuer werden könnte und zudem um viele Jahre verspätet kommen wird. Der Premier überlegt deshalb, das letzte Stück nach Manchester zu streichen. Aber Kritiker – aus den Reihen der eigenen Partei – sagen, dass damit das ganze Projekt sinnlos werde.
Kein zündendes Wahlkampfthema
Ein Jahr vor der Parlamentswahl fehlt den Tories jegliche zündende Idee, um das politische Ruder nach dreizehn Jahren an der Regierung noch einmal herumzureißen. Labour liegt in Umfragen um bis zu 20 Prozentpunkte vorne. Schon 43 Abgeordnete der Konservativen haben angekündigt, dass sie bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten wollen. Laut einer neuen Umfrage könnten gleich sechs Kabinettsmitglieder, darunter Finanzminister Jeremy Hunt, ihre Sitze verlieren. Den Tories droht eine verheerende Niederlage wie 1997, als Tony Blair für „New Labour“ einen Erdrutschsieg errang.
Der jetzige Labour-Vorsitzende Keir Starmer, der zwar als langweilig, doch seriös gilt, hat die Partei auf einen linksliberalen Kurs gebracht. Den linksextremen Vorgänger Jeremy Corbyn warf er raus aus der Fraktion. Bei ihrem Parteitag nächste Woche in Liverpool wird die Partei sich feiern. Noch halten wichtige Zeitungen wie das Massenblatt „The Sun“ und die seriöse „Times“ den regierenden Tories mehr oder weniger die Treue. Beide gehören zum Medienimperium des Australiers Rupert Murdoch, der sich soeben aus der Unternehmensspitze zurückgezogen hat. Sein Biograph meinte, es sei gut möglich, dass die britischen Murdoch-Zeitungen auf einen Labour-Unterstützungskurs wechseln könnten. Das wäre dann wohl das endgültige Aus für die Tories.