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Übersee

Es brodelt in Frankreichs Kolonien

EU-Territorien in der Karibik und im Indischen Ozean als Einfallstor der illegalen Migration nach Europa

Bodo Bost
09.09.2024

Viele Beobachter der Olympischen Spiele von Paris stellten mit Verwunderung fest, dass die Surfwettbewerbe gar nicht in Europa stattfanden, sondern in dem 13.000 Kilometer weit entfernten französischen Überseegebiet von Tahiti. Die Welt schien noch in Ordnung zu sein in dieser pazifischen Inselwelt, die auch als Französisch-Polynesien bekannt ist und deren 118 Inseln eine Landmasse von 4000 Quadratkilometern einnehmen. Das Meeresgebiet ist in etwa so groß ist wie das Territorium der Europäischen Union.

Dagegen brodelt es seit einigen Monaten in dem mehrere Tausend Kilometer entfernten Neukaledonien, das ebenfalls zum französischen Übersee-Territorium gehört. Dort wurden soziale Unruhen durch die Unabhängigkeitsrebellen der Volksgruppe der Kanaken ausgelöst. Die Einheimischen sollen vom fernen Aserbaidschan aufgestachelt worden sein, weil Frankreich das mit Baku verfeindete Armenien unterstützt.

Der Transfer der verurteilten neukaledonischen Rädelsführer in ein Gefängnis ins elsässische Mülhausen hat die Gemüter weiter erhitzt. Ein Ende der Unruhen, bei denen es um den Status der einheimischen Inselbevölkerung geht, ist nicht in Sicht. Beide Gebiete, Tahiti und Neukaledonien, haben nicht den Status eines Überseedepartements wie etwa die Inseln La Réunion im Indischen Ozean oder Martinique in der Karibik, die zur EU gehören und die den Euro als Währung haben. Dagegen sind die französischen Überseegebiete im Pazifik weder ein Teil der EU noch des Euro-Raums.

Inzwischen haben die sozialen Spannungen auch in zwei Überseegebiete übergegriffen, die sowohl zu Frankreich als auch zur EU gehören, nämlich in Ma­yotte im Indischen Ozean und im Karibik-Departement Französisch-Guyana im Norden des südamerikanischen Festlands. Dort hat die Attraktivität der EU als Migrationsziel mit vollkommener Versorgung die Ärmsten der Armen aus den Nachbarregionen zu Zigtausenden in die französischen Departements ziehen lassen, um von dort weiter nach Europa gelangen zu können.

Die kleine französisch-muslimische Insel Mayotte gehört eigentlich zu den Komoren. Im Jahr 1975 sollte sie jedoch die Unabhängigkeit der Komoren nicht mitvollziehen und verblieb bei Frankreich, während die übrigen Komoren Mitglied der Arabischen Liga wurden.

Seit Ma­yotte im Jahr 2014 Teil der EU geworden ist, ziehen immer mehr Komorer nach Mayotte und vegetieren in Elendshütten am Rande der Siedlungen. Wie die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika entlastet auch Frankreich seine Exklave Mayotte mit Migrationsflügen nach Europa. Im Gegenzug kommen immer mehr französische Polizisten, um die Proteste der Armutsflüchtlinge niederzuknüppeln.

Freiflüge ins Mutterland
Noch extremer ist die Lage in Frankreichs größtem Überseedepartement Guyana, ein Gebiet von der Größe Bayerns und mit Landgrenzen von 1200 Kilometern mit Brasilien und Surinam. Die dortige Bevölkerung von 300.000 besteht schon zu über der Hälfte aus Armutsmigranten aus Haiti, die Kreolisch sprechen, das mit dem Französischen verwandt ist.

Neben den Haitianern kommen in jüngster Zeit auch immer mehr Venezolaner und Kolumbianer und sprechen das Zauberwort „Asyl“ in Französisch-Guayana aus. Da die Aufnahmezentren der französischen Asylbehörde Ofpra vollkommen überlastet sind, bekommen diese Zuwanderer oft Freiflüge ins Mutterland, aus dem sie dann weiter in die gesamte EU ziehen können. In Luxemburg und in Spanien gehören Immigranten aus Venezuela und Kolumbien bereits zu den drei stärksten Asylbewerbergruppen.

In Französisch-Guayana kommt hinzu, dass in diesem Sommer das Land eine beispiellose humanitäre Katastrophe erlebte. Am 27. Juli wurden Tausende von Menschen durch einen Brand in Mont Baduel, einem der größten Slums in der Hauptstadt Cayenne, obdachlos. Angesichts der Notlage beschlagnahmte die Präfektur mehrere Schulturnhallen, um die Aufnahme und medizinische Versorgung der Betroffenen zu organisieren.

Da inzwischen das neue Schuljahr begonnen hat und die Turnhallen geräumt werden müssen, stellt sich für die Behörden die Frage der Umsiedlung. Französisch-Guayana war im 19. Jahrhundert ähnlich wie Neukaledonien für Frankreich das, was Australien für England war: eine Sträflingskolonie. Die ersten Europäer trafen dort nur gezwungenermaßen als Sträflinge ein. Die letzten Strafanstalten in Französisch-Guayana wurden erst in den 1970er Jahren geschlossen. Daraufhin schickte Frankreich einen Teil der Boatpeople aus seiner ehemaligen Kolonie

Vietnam dorthin, die sich dort unter ähnlichem tropischen Klima wie in ihrer Heimat sehr rasch integrieren konnten.

Seit Jahrzehnten fühlen sich Tausende von Migranten von Französisch-Guayana angelockt, das in der in der wirtschaftlich schwachen Region auch wegen des dort angesiedelten europäischen Weltraumbahnhofs in Kourou eine Oase des relativen Wohlstands darstellt. Seit Jahren ist die Erstaufnahmestelle für Asylbewerber, die für die Registrierung aller Erstanträge in Französisch-Guyana zuständig ist, mit einem beispiellosen Zustrom solcher Armutsmigranten vorzugsweise aus Haiti und Venezuela konfrontiert. Das von Straßenbanden beherrschte Haiti und das von einem sozialistischen Diktator regierte Venezuela, der ein Drittel der Bevölkerung seines einst reichen Landes in den Ruin getrieben hat, sind ausreichend Gründe für diese Wanderbewegungen.


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